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Gendermedizin: Richtig zu kommunizieren reicht allein (noch) nicht
Der Umgang mit gendergerechter Sprache ist derzeit in aller Munde. Doch wie verhält sich das eigentlich in der Medizin? Eine ge-schlechtssensible Kommunikation mit Patientinnen und Patienten ist ein wichtiger Baustein, sagt Prof.in Dr. Dr. Bettina Pfleiderer vom UKM, um Patienten und Patientinnen optimal zu behandeln. Die Expertin empfiehlt jedoch, grundsätzlich den Fokus für das Ge-schlecht zu schärfen, denn Krankheitssymptome differieren bei Frauen und Männern teils stark, Erkrankungen verlaufen unter-schiedlich und Arzneimittel können anders wirken.
Leiden Männer tatsächlich schlimmer als Frauen? Und wie hoch ist der Wahrheitsgehalt der Schlussfolgerung, dass Frauen genau deshalb die Rolle des Kinderkriegens zugeteilt wurde, weil Männer angeblich an den Schmerzen einer Geburt verzweifeln würden? Prof.in Dr. med. Dr. rer. nat. Bettina Pfleiderer ist ausgewiesene Expertin für geschlechtssensible Medizin – und kennt damit nahezu jeden Mythos, der sich um physische wie psychische Unterschiede von Männern und Frauen rankt. „Wir haben mittlerweile einschlägige Fakten, dass es unabdingbar ist, Patientinnen und Patienten differenziert zu betrachten und zu therapieren“, stellt die Leiterin der Arbeitsgruppe Cognition & Gender der Klinik für Radiologie am UKM (Universitätsklinikum Münster) klar. So sei die Männergrippe beispielsweise keine Erfindung. „Das Immunsystem von Frauen kann erwiesenermaßen besser mit Viren umgehen und wenn eine Erkältung oder sogar die Grippe im Anflug sind, können sie diese besser abwehren, während Männer stärker krank werden“, so Pfleiderer. Bei dem Mythos mit den Schmerzen verhält es sich allerdings genau andersherum: Frauen sind messbar schmerzempfindlicher als Männer. „Aber sie haben Strategien entwickelt, um damit im Alltag gut umgehen zu können“, erklärt die Hirnforscherin.
Genau deswegen muss geschlechtssensible Medizin im medizinischen Alltag auf mehreren Ebenen angegangen werden. Bei vielen Erkrankungen zeigen Frauen zum Beispiel andere Symptome als Männer; das gilt für einen Herzinfarkt ebenso wie für psychische Erkrankungen. „Wenn Männer depressiv sind, zeigen sie aggressives Verhalten, oft noch eine Suchtproblematik wie Alkoholkonsum. Frauen haben meist klassische Symptome wie Antriebsschwäche und Niedergeschlagenheit. Dies findet man bei Männern weniger, weshalb bei ihnen eine Depression oft sehr spät oder gar nicht erkannt wird“, sagt Pfleiderer, die von 2016 bis 2019 Präsidentin des Weltärztinnenbundes war. Neben dem gendermedizinischen Wissen seien für Ärztinnen und Ärzte weitere Grundlagen zum Erkennen dieser Unterschiede wichtig: Zeit – „weniger messen und testen, mehr sprechen“ – und Kommunikation. Während Männer häufig eher Fakten und kurze Sätze lieben, ist für Frauen solch eine Ansprache meist nicht die richtige. „Ärztinnen und Ärzte sollten deshalb unterschiedlich kommunizieren, je nachdem, ob ihnen eine Frau oder ein Mann gegenübersitzt.“ Andersherum sollte ihnen bewusst sein, dass einem Arzt eher verziehen wird, wenn er nicht empathisch wirkt, während Patientinnen und Patienten gegenüber einer Ärztin eine andere Erwartungshaltung haben.
Patienten benennen Schmerzempfinden gegenüber einer jungen Ärztin anders als bei einem älteren Arzt
Das Geschlecht des behandelnden Arztes oder der Ärztin wiederum hat ebenfalls Auswirkungen: Beim Thema Schmerz gibt es Unterschiede, ob ein männlicher Patient vor einer jungen Frau oder einem älteren Mann sitzt. „Das hat mit den gesellschaftlich geprägten Rollenbildern zu tun, dass Männer vor einer jungen Frau keine Schwäche zeigen möchten und dann schon mal eher sagen, das passe schon, so schlimm ist es gar nicht“, erklärt Pfleiderer, die sich schon lange dafür einsetzt, dass Themen wie geschlechtssensible Medizin und Diversity ins Staatsexamen des Medizin-Studiums aufgenommen werden. Denn auch bei der Gabe von Arzneimitteln ist eine gewisse Sensibilität gefragt. Studien zeigen, dass Frauen deutlich häufiger mit Nebenwirkungen von Medikamenten ins Krankenhaus kommen als Männer. „Ein Grund dafür ist, dass die Dosierung zu hoch ist, weil man lange nicht davon ausging, dass es Unterschiede gibt und ausschließlich junge Männer in Studien eingebunden hat. Das hat sich inzwischen aber geändert“, weiß die Expertin.
Ein weiterer notwendiger Schritt im Bereich der geschlechtssensiblen Medizin wurde zur Freude von Pfleiderer im vergangenen Jahr vollzogen: Die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) hat es in ihren Richtlinien zur Bedingung gemacht, dass nun bei wissenschaftlichen Arbeiten Geschlechtsunterschiede zu benennen und zu berücksichtigen sind. „Das zeigt, dass auch in diesen Gremien angekommen ist, dass tatsächlich genug belastbare Daten vorliegen, dass es Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt.“