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Kontakt mit saisonalen Coronaviren begünstigt milden Verlauf von COVID-19
Ein Forscherteam der Universitätsmedizin Münster konnte in zwei Studien einen Zusammenhang von Infektionen mit einem saisonalen Coronavirus und einem milden Verlauf von SARS-CoV-2-Infektionen belegen. Demnach treten bei einer früheren Infektion mit dem saisonalen Coronavirus OC43 schwere Krankheitsverläufe bei COVID-19 seltener auf. Die Hypothese für diese Schutzwirkung entstand aus den Daten von genesenen COVID-19-Patienten, die im Frühjahr 2020 einem Aufruf des UKM für eine Coronaplasma-Studie gefolgt waren.
COVID-19 verhindern kann sie nicht, aber sie hat nach aktuellen Erkenntnissen eines Forscherteams der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster am Universitätsklinikum Münster (UKM) einen protektiven Effekt: eine frühere Infektion mit dem saisonalen Coronavirus OC43. Gleich zwei Studien der Arbeitsgruppe zeigen, dass vorausgegangene Infektionen mit diesem der vier bereits vor der Pandemie global zirkulierenden humanen Coronaviren (HCoV-229E, HCoV-NL63, HCoV-HKU1 und HCoV-OC43), die meist nur saisonale, harmlose Infekte der oberen Atemwege auslösen, vor einem schweren Verlauf von COVID-19 schützen können. „Unsere daraus abgeleitete Empfehlung ist, dass OC43-Antikörper bei stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten gemessen und als Teil der Risikobewertung betrachtet werden“, sagt Prof. Hartmut Schmidt, Direktor der Medizinischen Klinik B (Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Klinische Infektiologie) am UKM.
Die COVID-19-Pilotstudie aus Münster mit 60 Patienten zur Bedeutung von früheren Infektionen mit saisonalen Coronaviren auf den Krankheitsverlauf wurde im International Journal of Infectious Diseases publiziert (https://doi.org/10.1016/j.ijid.2021.02.085). Die Ergebnisse konnten jetzt in einer Multicenter-Validierungsstudie mit knapp 300 Patienten aus Deutschland und Frankreich bestätigt werden, die im Journal of Clinical Virology veröffentlicht wurde (https://doi.org/10.1016/j.jcv.2021.104847). Diese Ergebnisse stellen einen Ausgangspunkt für weitere Studien dar und könnten zu einem wichtigen Baustein in der Therapie von COVID-19-Patienten werden.
Prof. Martin Dugas: „Patienten haben bereits ab 40 Jahren ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf, insbesondere Männer“
„Beide Studien belegen, dass im Vergleich zu anderen COVID-19-Patienten vor allem jene Patienten kritisch erkrankten, bei denen sich keine Antikörper gegen das sogenannte Nukleokapsid-Protein von HCoV OC43 nachweisen ließen“, erklärt Prof. Martin Dugas, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der WWU Münster. Neben einer vorausgegangenen Infektion spielen zudem der Zeitpunkt ab dem 40. Lebensjahr und das Geschlecht eine erhebliche Rolle. In der Pilotstudie waren 17 der 19 Patienten mit Intensivtherapie Männer im Alter von 50 bis 65 Jahren. „Wir haben auch in der Folgestudie keine signifikanten Unterschiede im Krankheitsverlauf feststellen können, unabhängig davon, ob die Patienten 40, 60 oder 80 Jahre alt waren, sofern keine schweren Vorerkrankungen vorlagen. Patienten in der zweiten Lebenshälfte, insbesondere Männer ohne OC43-Antikörper, hatten generell ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf“, so Dugas. Er fordert mit Blick auf die Daten, „die aktuelle Impfstrategie auf Personen ab 40 Jahren auszurichten“. Insgesamt waren etwa 20 Prozent der untersuchten Patienten OC43-Antikörper negativ.
UKM testet Patienten seit März auf OC43-Antikörper
Aufgrund der Erkenntnisse plädiert das Forscherteam außerdem dafür, sich bei COVID-19-Patienten bei der Risikobewertung nicht rein auf ein fortgeschrittenes Alter und Vorerkrankungen zu stützen. „Mit der zusätzlichen Bestimmung der Antikörper haben wir in der Pandemie einen weiteren Baustein, um diese sehr komplexe Erkrankung COVID-19 zu verstehen“, sagt Prof. Joachim Kühn, Ärztlicher Leiter der Klinischen Virologie am UKM. Die Testung auf OC43-Antikörper sei mittels eines preiswerten kommerziellen Testes zuverlässig möglich. „Mit einer Blutprobe können wir innerhalb kurzer Zeit ein Ergebnis liefern“, so Kühn. „Damit ist es kein Problem, diesen Parameter bei allen stationär aufgenommenen Patienten zu erheben.“ Am Universitätsklinikum Münster erfolgt das bereits seit März für alle COVID-19-Patienten, um diese je nach Ergebnis sehr engmaschig zu überwachen. „Wir haben mit der Testung erstmalig eine Screeningmöglichkeit, aus der wir eine Prognose für den Krankheitsverlauf ableiten und neue Therapiemöglichkeiten bei COVID-19 für diejenigen Patienten nutzen können, die sie am meisten benötigen“, sagt Prof. Hartmut Schmidt. „Diese Chance sollten wir nutzen.“
Die Idee, vorangegangenen Infektionen auf den Grund zu gehen, stammt unter anderem aus den Ergebnissen der im Frühjahr 2020 initiierten Coronaplasma-Studie des UKM mit 4010 Teilnehmern aus ganz Deutschland. „Unter den Personen mit mildem COVID-Verlauf hatten sehr viele Kontakt zu Kindern unter zehn Jahren“, erklärt Studienleiter Schmidt. Daraus sei die Hypothese entstanden, dass eine sogenannte childhood-related infection, also zum Beispiel eine Erkältung, die Eltern und Pädagogen von Kindern weitergegeben bekommen, einen protektiven Effekt gegen COVID-19 haben kann. Die Ergebnisse dieser Befragung wurden bereits im vergangenen Jahr publiziert, ebenfalls im International Journal of Infectious Diseases (https://doi.org/10.1016/j.ijid.2020.09.003).