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Lindert Akupunktur chronische Schmerzen bei Krebsüberlebenden?
Fast die Hälfte aller Krebsüberlebenden leidet unter chronischen Schmerzen, die zu starken Einschränkungen der Lebensqualität führen können. In Standardtherapien werden oftmals hochdosierte Schmerzmittel verordnet, die jedoch weitere Probleme und Folgeerkrankungen nach sich ziehen können, beispielsweise Gewöhnungseffekte und Abhängigkeiten. Daher wird der Einsatz von nicht-pharmakologischen Interventionen für die Medizinforschung relevant. In den USA wurde in einer Studie an 360 Patienten untersucht, ob durch eine spezielle Form der Ohrakupunktur und mittels Elektroakupunkutur chronische Schmerzen des Bewegungsapparates effektiv gelindert werden können.
Gerade angesichts der anhaltenden Opioid-Krise in den USA setzt die medizinische Forschung dort stärker auf die Erforschung von nicht-pharmakologischen Interventionen zur Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen. In die Studie wurden 360 Patienten eingeschlossen, die eine Krebserkrankung überlebt hatten und seit mindestens drei Monaten an Schmerzen des Bewegungsapparates litten. Verglichen wurden dabei die beiden verschiedenen Akupunkturarten mit der gewöhnlichen Schmerztherapie. Die Patienten wurden randomisiert in drei Gruppen eingeteilt: Elektroakupunktur, Ohrakupunktur und Standardtherapie (Analgetika, physikalische Therapie, Injektion von Glukokortikoiden). Der primäre Endpunkt der Studie war die Veränderung der Schmerzschweregradskala, wobei ein Fragebogen ausgewählt wurde, in dem die Schmerzstärke von 0 bis 10 reichte. Die Ausgangshypothese der Studie war die Annahme, dass Elektroakupunktur und Ohrakupunktur die chronischen Schmerzen besser lindert als die Standardtherapie. Zusätzlich sollte, sofern beide Behandlungen wirksam waren, nachgewiesen werden, dass die Ohrakupunktur der Elektroakupunktur in Bezug auf die Schmerzreduktion nicht unterlegen ist. Als sekundäre Endpunkte der Studie wurden erstens mit einem Fragebogen physische und psychische Veränderungen der Lebensqualität abgefragt. Zweitens führten die Studienteilnehmer ein Schmerzmitteltagebuch, sodass durch das Studiendesign ebenfalls nachvollzogen werden konnte, ob der Gebrauch an Analgetika durch Akupunktur gesenkt werden konnte. (1)
Die Elektroakupunktur wurde von ausgebildeten Akupunkteuren durchgeführt, die über mindestens 5 Jahre Erfahrung im onkologischen Bereich verfügten. Es wurden für die Behandlung vier Akupunkturpunkte nahe der schmerzenden Bereiche lokalisiert und mindestens vier weitere Punkte an Stellen des Körpers, die mit weiteren Beschwerden bei Krebsüberlebenden verbunden sind. Die Ohrakupunktur, die nach der Methode der Schlachtfeld-Akupunktur (siehe Exkurs) ausgerichtet war, wurde ebenfalls von den ausgebildeten Akupunkteuren ausgeführt, die die Interventionen mit Elektroakupunktur in der ersten Patientengruppe vornahmen. Somit war für beide Gruppen eine hohe Qualität der Akupunkturbehandlungen gesichert.
Exkurs: Was ist Schlachtfeld-Akupunktur?
Die Ohrakupunktur lief nach einem standardisierten Protokoll ab, das als Schlachtfeld-Akupunktur (engl. Battlefield-Acupuncture, BFA) im Jahre 2001 von Dr. Niemtzow entwickelt wurde. Die auf 5 vorgegebene Punkte beschränkte Akupunkturtechnik war ursprünglich dafür vorgesehen, im Kampfeinsatz angewendet zu werden. Als Indikationen für die Anwendung dieser Akupunkturtechnik wurden akute und chronische Schmerzzustände angegeben, wobei diese Anwendungsgebiete insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden Opioid-Krise in den USA zu berücksichtigen sind.
Folgende Akupunkturpunkte
- Cyngulate Gyrus
- Thalamus
- Omega II
- Nullpunkt
- Shen Men
werden in der aufgezählten Reihenfolge mit einer semipermanenten Dauernadel (ASP) behandelt. Das Besondere an dieser Akupunkturbehandlung besteht darin, dass nach jedem behandelten Punkt abgewartet wird, ob eine Besserung der Schmerzsymptomatik eintritt. Sofern eine deutliche Verbesserung zu verzeichnen ist, werden die weiteren Punkte nicht behandelt. (2)
Elektroakupunktur überlegen
Für beide Akupunkturformen konnte eine Wirksamkeit bezüglich der Reduktion der chronischen Schmerzen nachgewiesen werden: Während die Elektroakupunktur den durchschnittlichen Schmerzschweregrad um 1,9 Punkte nach 12 Wochen reduzierte, konnte die Ohrakupunktur den Schweregrad der Schmerzen um 1,6 Punkte gegenüber der üblichen Behandlung verringern. Somit war in der Studie die Nichtunterlegenheit der Ohrakupunktur gegenüber der Elektroakupunktur nicht nachweisbar. In beiden Akupunkturgruppen wurden darüber hinaus die schmerzbedingte funktionelle Beeinträchtigung sowie die Einnahme von Schmerzmitteln im Vergleich zur Standardtherapie reduziert. Des Weiteren wurde die Lebensqualität der Krebsüberlebenden verbessert. (3)
Einschätzung
Der Einsatz von Akupunktur zur Linderung von Schmerzen des Bewegungsapparats ist eine wirksame nicht-pharmakologische Alternative zu der Verordnung von hochdosierten Schmerzmitteln. Da sich sowohl die Elektroakupunktur als auch die besondere Form der Ohrakupunktur als wirksam in der Reduktion chronischer Schmerzen erwiesen haben, ist ein Einsatz dieser Akupunkturtechniken bei Krebsüberlebenden mit chronischen Schmerzen jenseits von klinischen Studien zu prüfen.
Literatur
(1) und (3) Mao JJ, Liou KT, Baser RE, et al. Effectiveness of Electroacupuncture or Auricular Acupuncture vs Usual Care for Chronic Musculoskeletal Pain Among Cancer Survivors: The PEACE Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2021;7(5):720–727. Artikel
(2) Fleckenstein, J. (2021). Der Mythos Battlefield-Akupunktur. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur, 1-4. Artikel