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Der Herzaktivität optisch und elektrisch auf der Spur
Bisher ist nicht geklärt, inwiefern Interaktionen zwischen den verschiedenen Zelltypen des Herzens den normalen Herzrhythmus beeinflussen und möglicherweise auch lebensbedrohliche Rhythmusstörungen auslösen. Eine an der Universität Bern neu entwickelte Messmethode erlaubt es erstmals, die Herzaktivierung gleichzeitig optisch und elektrisch zu erfassen und so umfassende Antworten auf diese Fragen zu finden.
Die normale Funktion des Herzens beruht darauf, dass dessen Schrittmacher in regelmässigen Abständen elektrische Impulse (‚Aktionspotentiale‘) generiert, die sich schnell über die gesamte Herzmuskulatur ausbreiten und in der Folge eine geordnete Kontraktion des Muskels und damit den Herzschlag auslösen. Bis anhin nahm man an, dass die Ausbreitung der Aktionspotentiale ausschliesslich Sache der Muskelzellen des Herzens sei. Neuste Erkenntnisse legen aber nahe, dass möglicherweise auch andere Zelltypen des Herzens wie Bindegewebszellen und Makrophagen die Erregungsausbreitung beeinflussen und damit die Herzfunktion massgeblich mitbestimmen. Diese Erkenntnisse wurden mit Hilfe einer neuen Methode, der Optogenetik, erlangt. Bei dieser wird das elektrische Verhalten definierter Zelltypen mittels Licht kontrolliert und die daraus resultierenden Folgen für die Erregungsausbreitung untersucht.
Um diesem vielversprechenden Ansatz im Bereich der Herzforschung zum Durchbruch zu verhelfen, entwickelten Forschende um Stephan Rohr vom Institut für Physiologie der Universität Bern ein neues Experimentiersystem, genannt Panoramic Opto-Electrical Measurement and Stimulation (POEMS) – System. Dieses System erlaubt es erstmals, die Herzaktivierung im gesamten Bereich der grossen Kammern gleichzeitig optisch und elektrisch zu erfassen bzw. optisch oder elektrisch zu beeinflussen. Dies eröffnet neue Perspektiven in der Erforschung der Ursachen von Herzrhythmusstörungen. Die entsprechende Studie wurde im Fachjournal Nature Commmunications publiziert.
Bindegewebszellen als Ursache von Herzrhythmusstörungen?
Zellkulturversuche der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Herzmuskelzellen elektrisch mit aktivierten Herzbindegewebszellen kommunizieren und sich in der Folge Herzrhythmusstörungen einstellen können. Ob dieser Mechanismus aber auch beim intakten Herzen zu Rhythmusstörungen führen kann, ist bislang unbekannt, da herkömmliche elektrophysiologische Methoden diese Frage nicht beantworten konnten.
Erst die noch junge Methode der Optogenetik erlaubt es heute, Fragen dieser Art direkt anzugehen. Die Optogenetik ermöglicht es, mit sogenannten ‚Reportern‘ die elektrischen Signale ausschliesslich einer Zellsorte (z.B. Herzbindegewebszellen) zu erfassen, oder, mittels ‚Aktuatoren‘ die elektrischen Eigenschaften dieser Zellen gezielt zu verändern. Diese Experimente sind aber äusserst geräteintensiv. Zudem ist es nicht möglich, gleichzeitig zu den optischen Experimenten auch die Erregungsausbreitung mittels Oberflächenelektroden zu messen, womit der Spielraum möglicher Experimente stark eingeschränkt wird.
POEMS System schafft neue Möglichkeiten
«Mit dem neu entwickelten POEMS System werden nun all diese Nachteile hinfällig, da die gesamte Oberfläche der Herzkammern mit einer Mischung optischer und elektrischer Mess- und Stimulationspunkte bedeckt ist, welche ein freies Kombinieren beider Modalitäten zulässt», sagt Professor Stephan Rohr, Letztautor der Studie. Der Kern des neuen POEMS Systems besteht aus einer Hohlform, dessen Dimension einem Mausherzen entspricht und dessen Innenfläche von 294 optischen Fasern und 64 Elektroden gebildet wird. Die optischen Fasern und Elektroden können sowohl als Mess- wie auch als Stimulationspunkte eingesetzt werden. Somit lassen sich unterschiedlichste Experimentalprotokolle realisieren, die exakt auf die spezifischen Eigenschaften der zum Einsatz gelangenden optogenetischen Moleküle zugeschnitten sind.
Simultan durchgeführte optische und elektrische Messungen am stimulierten Herz zeigten, dass das POEMS System kongruente und hochpräzise Messungen der Erregungsausbreitung im Mausherzen ermöglicht. Dies zeigte sich unter anderem an den geringen Differenzen zwischen optisch und elektrisch bestimmten Aktivierungszeiten, welche sich weit unter einer tausendstel Sekunde bewegten. Darüber hinaus erlaubt die ausgeprägte Benutzerfreundlichkeit des Systems eine effiziente Versuchsdurchführung. «Mit unserem Ansatz müssen die isolierten Mausherzen lediglich im massgeschneiderten Container platziert werden, anschliessend kann das Experiment unmittelbar gestartet werden», sagt Studien-Koautor Michael Rieger der das System zusammen mit weiteren Mitarbeitenden des Instituts für Physiologie entwickelte.
Diese für die Herzen schonende Behandlung sowie die Steigerung des Informationsgehaltes einzelner Experimente ist auch in Bezug auf den verantwortungsvollen Umgang mit Tierversuchen relevant: Die neue Methode entspricht den 3R-Prinzipien (Replace, Reduce, Refine), da die Anzahl notwendiger Tierexperimente zur Beantwortung einer gegebenen Frage verringert werden kann.
«Im Vordergrund des Einsatzes des POEMS Systems steht für uns jetzt die Untersuchung der ursprünglichen Frage, ob Herzrhythmusstörungen auch durch Nicht-Herzmuskelzellen wie aktivierte Bindegewebszellen hervorgerufen werden können», sagt Stephan Rohr. Falls sich dies bestätigen sollte, würden sich der Behandlung von Herzrhythmusstörungen vollständig neue Wege eröffnen.
Die Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstützt.
Publikationsdetails:
Michael Rieger, Christian Dellenbach, Johannes vom Berg, Jane Beil-Wagner, Ange Maguy, Stephan Rohr: Enabling comprehensive optogenetic studies of mouse hearts by simultaneous opto-electrical panoramic mapping and stimulation, Nature Communications (2021), https://doi.org/10.1038/s41467-021-26039-8.
Institut für Physiologie
Die Physiologie ist die Lehre von den Lebensprozessen und beschreibt die physikalischen, biochemischen und informationsverarbeitenden Funktionen von Lebewesen, Organen und Zellen. Das Institut für Physiologie der Universität Bern unterrichtet Studierende der Human-, Zahn-, und Veterinärmedizin und beteiligt sich an weiteren Studiengängen im Bereich der Lebenswissenschaften. Das Institut betreibt schwerpunktmässig Forschung in den Bereichen Herz- und Neurophysiologie.
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