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Blutgefäße des Knochenmarks kontrollieren die Bildung von roten Blutkörperchen
Weitere Bestätigung, dass Blutgefäße die Organfunktion in Gesundheit und Krankheit steuern können
Gestörte Differenzierung der Sinusendothelzellen im Knochenmark. In rot Endothelzellmarker Endomucin, in grün Kollagen IV, ein Strukturprotein der Basalmembran. Oberes Bild: Im Knochenmarksausschnitt einer Kontrollmaus weisen die Sinusendothelzellen eine schwache Endomucin- und keine Kollagen IV-Expression auf. Unteres Bild: Sinusendothelzellen von genetisch veränderten Mäusen mit Blutbildungsstörung zeigen eine verstärkte Endomucin- und Kollagen IV-Expression.“
Ein Forscherteam der Klinik für Dermatologie und des European Center for Angioscience (ECAS) der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg hat mit seiner aktuellen, im renommierten Journal Nature Communications veröffentlichten Arbeit* erneut einen Beweis dafür erbracht, dass Blutgefäße wichtige Organfunktionen steuern können. In der aktuellen Studie untersuchen die Wissenschaftler um Privatdozent Dr. Philipp-Sebastian Reiners-Koch und Professor Dr. Sergij Goerdt (Direktor der Dermatologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim, UMM) die Bedeutung von Endothelien des Knochenmarks bei der Steuerung der Blutbildung.
Die Blutbildung (Hämatopoese) ist eine wichtige Funktion des Knochenmarks. In einem kontinuierlichen Prozess entwickeln sich dabei aus hämatopoetischen Knochenmarksstammzellen mittels Teilung und Differenzierung reife Blutzellen. „Wir konnten zeigen, dass Funktionsstörungen der Blutgefäße im Knochenmark direkt zu einer gestörten Blutbildung führen, und dass die Endothelzellen, die die sogenannten Sinusoide im Knochenmark auskleiden, die Differenzierung und Ausreifung von roten Blutkörperchen steuern“, fasst Reiners-Koch die Ergebnisse zusammen.
Das Team der von Professor Goerdt und Privatdozent Dr. Reiners-Koch geleiteten Arbeitsgruppe „Angiodiversität und Organfunktion“ widmet sich speziell den Funktionen von organspezifischen Endothelzellen. In früheren Arbeiten hatten die Wissenschaftler bereits zeigen können, dass sinusoidale Endothelzellen der Leber wichtige Steuer- und Wächterfunktionen bei der Steuerung von Organfunktionen wahrnehmen, wie beispielsweise die Steuerung des Eisenstoffwechsels oder den Schutz vor Organfibrose.
Bisher war gezeigt worden, dass die Gefäß(-neu)bildung, die Knochenbildung und die Erhaltung und Differenzierung von hämatopoetischen Stamm- und Vorläuferzellen in dem sehr heterogenen Gefäßsystem des Knochenmarks von unterschiedlichen Gefäßtypen kontrolliert werden. Die genaue Rolle der hochspezialisierten sinusoidalen Knochenmarks-Endothelzellen, des am häufigsten vorkommenden Zelltyps unter den verschiedenen Gefäßtypen des Knochenmarks, bei der Erhaltung und Differenzierung hämatopoetischer Stammzellen war jedoch kaum definiert.
Dass Sinusendothelzellen im Knochenmark die Blutbildung steuern, demonstrieren die Wissenschaftler nun in Ihrer aktuellen Arbeit mithilfe eines Mausmodells, bei dem die Differenzierung der Sinusendothelzellen auf genetischer Ebene mittels Aktivierung des Wnt/β-Catenin-Signalwegs gestört ist. Die Dysregulation hat einen strukturellen und funktionellen Umbau des Sinusendothels sowie eine Neubildung der löslichen Faktoren FGF23 (Fibroblast Growth Factor 23) und DKK2 (Dickkopf-verwandtes Protein 2) zur Folge, was zu einer massiven Störung der Ausreifung von roten Blutkörperchen führt. Das klinische Bild ähnelt dem einer schwer ausgeprägten Blutarmut (Anämie), wie sie auch im Rahmen von Knochenmarksneoplasien, bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks, vorkommen kann.
Die vorliegende Arbeit trägt zu einem besseren Verständnis der Kommunikation zwischen dem sinusoidalen Gefäßsystem des Knochenmarks und der hämatopoetischen Stamm- und Vorläuferzellnische im Rahmen von Krankheitsprozessen am Beispiel von Anämien bei. „Dass Funktionsstörungen der Blutgefäße im Knochenmark zu einer gestörten Blutbildung führen, bestätigt, dass Blutgefäße die Organfunktion – und damit auch Krankheitsprozesse – kontrollieren können“, folgert Professor Goerdt. „Darüber hinaus ist mit FGF23 ein potenzieller neuer vaskulärer Angriffspunkt für eine mögliche Therapie von Blutbildungsstörungen identifiziert worden“, ergänzt Erstautor Dr. Victor Olsavszky, auch stellvertretend für seinen Co-Erstautoren Joschka Heil.
Die wissenschaftliche Arbeit ist im Rahmen des an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) angesiedelten Sonderforschungsbereichs 1366 „Vaskuläre Kontrolle der Organfunktion“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Kooperation zwischen Arbeitsgruppen des European Center for Angioscience (ECAS) der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) sowie der Technischen Universität München (TUM) entstanden.
*Publikation
Heil, J., Olsavszky, V., Busch, K. et al.
Bone marrow sinusoidal endothelium controls terminal erythroid differentiation and reticulocyte maturation.
Nat Commun 12, 6963 (2021).
DOI: 10.1038/s41467-021-27161-3