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Neuer Blutmarker hilft bei Behandlung und Erforschung der Multiplen Sklerose

Forschungsprojekt des Universitätsspitals und der Universität Basel in «Lancet Neurology» veröffentlicht.

Die Blutspiegel von Neurofilamenten (NfL) erlauben eine zuverlässige Aussage über die aktuelle Krankheitsaktivität bei Multipler Sklerose (MS). Über die NfL Konzentration im Blut lassen sich wertvolle Hinweise über den zu erwartenden Krankheitsverlauf und die Wirksamkeit der Therapie gewinnen.  Forschende des Universitätsspitals und der Universität berichten in der  renommierten Fachzeitschrift «Lancet Neurology», wie sich die Nervenschädigung  bei Multipler Sklerose anhand der Konzentration des nervenspezifischen Proteins NfL erfassen lässt: Dies ermöglicht eine zielgenauere, individuell angepasste Behandlung. Auch bei Menschen mit – nach herkömmlichen Kriterien – scheinbar nicht-fortschreitendem MS-Verlauf, können NfL-Messungen relevante Krankheitsaktivität anzeigen.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Behandlung aufgrund ihres schwer voraussagbaren Verlaufes im Einzelfall schwierig anzupassen ist. Das Protein Neurofilament bietet sich als wertvoller und spezifischer Marker für Nervenschäden an.

«Für MS-Patientinnen und -Patienten geben die Ergebnisse unserer Studie neue Hoffnung auf besser begründete und auf den individuellen Verlauf abgestimmte Therapie. Das ist ein wichtiger Etappenschritt hin zu einer Personalisierung der MS Therapie», so Prof. Dr. Jens Kuhle Leiter des MS Zentrums der Neurologie des Universitätsspitals.

Durch Messung von NfL Konzentrationen in mehr als 20‘000 Blutproben von über 10‘000 MS-Betroffenen und Kontrollpersonen konnten die Effekte des Alterns und des Körpergewichts auf gemessenen Konzentrationen eingeschätzt und für die trennscharfe Bestimmung von krankhaft erhöhten Werten genutzt werden. Mit so genauer bestimmten Messwerten zeigte sich in zwei unabhängigen, großen Gruppen von Personen mit MS ein starker Zusammenhang zwischen erhöhten Konzentrationen von NfL im Blut und aktueller aber auch zukünftiger Aktivität der Erkrankung. Bemerkenswert war, dass mit dieser präzisen Methode erhöhte Konzentrationen von NfL auch bei einem Teil der anhand der neurologischen Untersuchung und im MRI stabil erscheinenden Patient*innen festgestellt wurden. Mit diesen Messungen konnten auch die Wirkungen verschiedener bei MS eingesetzter Therapien im Gruppenvergleich besser miteinander verglichen werden.
Die Arbeitsgruppe für klinische Neuroimmunologie, die in den Departementen Klinische Forschung und Biomedizin beheimatet ist, zeigt in dem Projekt, dass Patienten mit hohen Konzentrationen der leichten Kette der Neurofilamente (NfL) im Blut ein erhöhtes Risiko für künftige MS-Krankheitsaktivität haben. Neu an dieser Herangehensweise ist, dass dieser Biomarker individuell ausgewertet werden kann statt wie bislang auf Gruppenebene. Möglich macht das eine in der aktuell beschriebenen Arbeit angelegte internationale Referenz-Datenbank des Forscherteams, die eine aussagekräftige Einordnung des Messwerts ermöglicht. «Wir haben die Messungen dadurch ‚geeicht‘, indem wir auch alters- und gewichtsabhängige Einflüsse auf die NfL Konzentrationen berücksichtigt haben und können den Biomarker so für die einzelne Person anwenden», berichtet Dr. Pascal Benkert, Erstautor der Studie.

Fortschritte in der MS-Forschung

Eine kürzlich im Fachjournal ‚Science‘ unter Mitarbeit des Basler Gruppe veröffentlichte Studie hat das Epstein-Barr-Virus als einen wichtigen Faktor für die Auslösung von MS gefunden. «Unsere Ergebnisse sind ein Paradebeispiel für ‚translational medicine‘ von bench to bedside – also von der wissenschaftlichen Grundlagenforschung im Labor hin zur Anwendung bei der Behandlung – mit unmittelbarem Nutzen für Betroffene. Unsere Herangehensweise hat gezeigt, dass sie als Standard für die künftige Erforschung von weiteren Biomarkern mittels neuer hochsensitiver Verfahren genutzt werden kann, die höchstwahrscheinlich grosse Fortschritte für eine personalisierte MS-Behandlung mit sich bringen wird», erklärt Prof. David Leppert.

Relevanz für MS-Betroffene

Die Erkenntnis, dass MS-Krankheitsaktivität durch hohe NfL Konzentrationen im Blut gemessen werden kann, hat relevante praktische Bedeutung für Betroffene. Eine mögliche zukünftige regelmäßige Bestimmung dieses Werts würde eine schnellere Justierung der Therapieauswahl sowie eine personalisierte frühzeitige Therapieentscheidung durch die Behandelnden  begünstigen. Dieser Biomarker kann breite Anwendung in Klinik und Praxis finden und wird in seiner Funktion Therapieansprechen anzuzeigen dabei helfen, weitere aussagekräftige Marker zu erkennen und neue MS-Medikamente zur klinischen Anwendung zu bringen.

Über die Basler Studie

Die Basler Studie zeigt, dass anhand der NfL Konzentration die MS-Krankheitsaktivität im Blut gemessen werden kann. Die Resultate zeigen eine höhere Sensitivität dieses Blutmarkers im Vergleich zu den bisher in der Praxis verwendeten Methoden der klinischen Untersuchung und MRI zur Beurteilung der Krankheitsaktivität. Dies ist kein wissenschaftlicher Zufallsfund, sondern Ergebnis einer Untersuchung von über 5’000 systematisch charakterisierten MS-Patienten aus der Schweizerischen MS Kohortenstudie und dem Schwedischen MS Register sowie von über 5’000 gesunden Personen mit über 10’000 Blutproben aus den USA und Europa über zehn Jahre hinweg, welche zur Testung und Validierung der Referenzdatenbank herangezogen wurden.

Weiterführende Informationen

Forschungsgruppe Prof. Dr. Jens Kuhle
Forschungsgruppe Prof. Dr. Tobias Johannes Derfuss

Originalpublikation

Serum neurofilament light chain for individual prognostication of disease activity in people with multiple sclerosis: a retrospective modelling and validation study
Pascal Benkert† PhD, Stephanie Meier† MSc, Sabine Schaedelin MSc, Ali Manouchehrinia PhD, Özgür Yaldizli MD, Aleksandra Maceski MSc, Johanna Oechtering MD, Lutz Achtnichts MD, David Conen MD, Tobias Derfuss MD, Patrice H. Lalive MD, Christian Mueller MD, Stefanie Müller MD, Yvonne Naegelin MD, Jorge R. Oksenberg PhD, Caroline Pot MD, Anke Salmen MD, Eline Willemse PhD, Ingrid Kockum PhD, Kaj Blennow PhD, Henrik Zetterberg PhD, Claudio Gobbi MD, Ludwig Kappos MD, Heinz Wiendl MD, Klaus Berger MD, Maria Pia Sormani PhD, Cristina Granziera MD, Fredrik Piehl MD, David Leppert MD, Jens Kuhle* MD for the RDB in the Swiss Multiple Sclerosis Cohort Study Group. †Equally contributed
https://www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422(22)00009-6/fulltext