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Das macht einen Unterschied: Frauen richtig behandeln
Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer über Gendermedizin
Frauen und Männer sind unterschiedlich. Was für uns ganz logisch scheint, wurde in der Medizin lange Zeit vernachlässigt. Warum? Wie unsere Gesellschaft auch ist die Medizin patriarchalisch geprägt. Ausgegangen wurde lange Zeit nur vom männlichen Patienten. So orientieren sich medizinische Leitlinien, Medikamente und Forschungen vornehmlich an Männern.
Das bedeutet einen – mitunter gefährlichen – Nachteil für Frauen. Vor allem seit den 1990er Jahren beschäftigen sich Mediziner*innen deswegen zunehmend mit Geschlechter sensibler Medizin.
Professorin Dr.in Alexandra Kautzky-Willer wurde 2010 zur ersten Professorin für Gendermedizin in Österreich an die MedUni Wien berufen. Sie leitet seitdem auch den ersten Universitätslehrgang für Gender Medizin in Europa. Sie beantwortet die wichtigsten Fragen rund um Gendermedizin.
Gendermedizin wird oft auch mit „Frauenmedizin“ gleichgesetzt. Stimmt das?
Nein! Gendermedizin betrifft nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Bei den Frauen herrscht aber der größte Aufholbedarf. Warum? Weil die ganze Medizin patriarchal strukturiert war und der Mann im Mittelpunkt stand.
Ganz generell befasst sich die Gendermedizin mit den Unterschieden, aber auch den Gemeinsamkeiten zwischen Männern und Frauen in der Medizin. Und zwar in der Gesundheitsförderung ebenso wie in der Entstehung und Behandlung von Krankheiten.
Für Männer sind hier zum Beispiel Osteoporose oder Depressionen wichtige Krankheitsbilder, die lange Zeit nicht sensibel genug erforscht wurden.
Bei Frauen sind die Lücken ja weitaus größer. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden, dass Frauen medizinische Nachteile haben?
Das ist mir erst klar geworden, als ich mich damit beschäftigt habe. Mein Thema war Schwangerschaftsdiabetes. Eine Nische, für die sich männliche Kollegen nicht interessierten. Für mich war das eine Chance. Ich habe gesehen, dass Frauen unterversorgt sind. Im Unterschied zu anderen Ländern war in Österreich der Zucker-Belastungstest nicht für alle Schwangeren vorgesehen. Ich habe mich sehr dafür engagiert, dass dieser in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen wird. Mit dieser mittlerweile verpflichtenden Untersuchung wird zum einen überhaupt erkannt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Zum anderen werden die Frauen so auch rechtzeitig behandelt. Ohne Behandlung sind Mutter und Kind durch Schwangerschaftsdiabetes einem hohen Risiko für Komplikationen ausgesetzt. Nicht nur in der Schwangerschaft, sondern auch im späteren Leben.
In meiner Forschung zu Schwangerschaftsdiabetes bin ich auch auf weitere Unterschieden zwischen den Geschlechtern gestoßen: Ich habe gesehen, dass sich eine Diabetes-Erkrankung der Mutter unterschiedlich auf die Gesundheit des Kindes auswirkt. Je nachdem, ob es ein Mädchen oder Junge ist.
Und auch das Geschlecht des Kindes beeinflusst das Risiko der Mutter, überhaupt an Schwangerschaftsdiabetes zu erkranken.
Sie sprechen hier die Schwangeren an, eine besondere Gruppe unter den Frauen. Warum?
Absolut. Weil sie in Studien praktisch nicht vorkommt. Jede Krankheit hat Effekte auf die Schwangerschaft – und die Schwangerschaft selbst kann Krankheiten verändern. Frauen werden während der Schwangerschaft krank oder sind es, wenn sie schwanger werden. Es ist ein Problem, dass Medikamente nicht gegeben werden können, weil es keine Daten gibt.
Schwangere sind bei Medikamenten- und auch Impfstudien ausgeschlossen. Wie problematisch das ist, haben wir durch Covid-19 gesehen. Nur, weil Frauen zufällig bereits schwanger waren, konnte man bei den Studien sehen, dass die Impfung sicher ist und sogar schützt. Erst viel später hat man begonnen, eigene Studien zu Schwangeren und der Covid-19-Impfung zu machen. Und letztlich wurden Schwangere sogar priorisiert. Sie haben ein besonders hohes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Sie profitieren besonders von einer Impfung.
Covid-19 hat auch weitere Unterschiede zwischen Männern und Frauen enthüllt. Welche sind das?
Männer sterben häufiger und erkranken schwerer an Covid-19. Frauen sind jedoch vermehrt von den psychischen Erkrankungen betroffen, die in der Pandemie zugenommen haben. Zusätzlich sind sie öfter von Long Covid betroffen. Einmal ganz zu schweigen von Arbeitslosigkeit und finanziellen Verlusten, die Frauen ebenfalls häufiger treffen. Die Auswirkungen der Pandemie sind extrem vielschichtig.
Es spielen also nicht nur biologische Faktoren eine Rolle?
Keineswegs! Wir haben auf der einen Seite die Biologie, die Hormone und die Geschlechtschromosomen.
Auf der anderen Seite müssen wir immer die psychosozialen Faktoren berücksichtigen. Gender ist ein soziales, ein kulturelles Konstrukt. Da geht es darum, welche Rollen wir einnehmen und welche Unterstützung wir bekommen.
Frauen werden als Patientinnen noch immer anders wahrgenommen. Das hat viele Gründe: weil sie weniger selbstbewusst auftreten, teilweise älter und kränker, oder multimorbid sind. All das gemeinsam bedingt, dass Frauen im Vergleich zu Männern weniger gut behandelt werden.
Geht es denn nur um Männer und Frauen?
Das ist ein berechtigter Vorwurf, dass wir in der Gendermedizin noch binär sind, also mit dem Mann-Frau-Modell arbeiten. Noch gibt es zur Geschlechtervielfalt keine belastbaren Daten. In Zukunft sollen diese aber genauso einfließen.
Und: Natürlich wird innerhalb der Geschlechter nach sozialen Gruppen weiter unterschieden. Es ist ja auch nicht so, dass alle Frauen gleichbehandelt werden sollen und alle Männer. Da muss man dann innerhalb des Geschlechts noch einmal alle anderen Faktoren beachten. Das Alter, Sozialstatus, Bildung, Umweltfaktoren, Biomarker und genetische Faktoren – um nur einige zu nennen. Es geht letztlich immer um personalisierte Medizin.