Das GesundheitsPortal für innovative Arzneimittel, neue Therapien und neue Heilungschancen
Bakterien mit Aufnahmefunktion erfassen Darmgesundheit
Forschende der ETH Zürich, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern statten Darmbakterien mit einer Datenlogger-Funktion aus und überwachen damit, welche Gene in den Bakterien aktiv sind. Die Mikroorganismen sollen dereinst auf nicht-invasive Weise Krankheiten diagnostizieren und die Gesundheitsauswirkungen einer Diät erfassen.
In unserem Darm hausen unzählige Bakterien, die uns helfen, die Nahrung zu verdauen. Doch was machen die Mikroorganismen im Innern unseres Körpers genau? Welche Enzyme stellen sie wann her? Und wie verstoffwechseln die Bakterien gesundheitsfördernde Nahrungsmittel, die uns helfen, Krankheiten zu vermeiden?
Um Antworten auf solche Fragen zu erhalten, haben Forschende des Departements für Biosysteme der ETH Zürich in Basel Bakterien so verändert, dass sie als Datenlogger funktionieren und Informationen zur Genaktivität aufzeichnen. Gemeinsam mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern am Inselspital, Universitätsspital Bern und der Universität Bern haben sie diese Bakterien nun in Mäusen getestet. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die «Sensorbakterien» künftig in der Medizin anzuwenden, etwa um Mangelernährungen zu diagnostizieren oder um zu verstehen, welche Diät für eine Patientin oder einen Patienten die richtige ist.
Immunsystem wird zum Datenlogger
Die Datenlogger-Funktion wurde in den vergangenen Jahren von Forschenden der ETH Zürich unter der Leitung von Randall Platt, Professor für Biologisches Engineering, mit seinem Team Florian Schmidt und Tanmay Tanna entwickelt. Sie nutzten dazu den Crispr/Cas-Mechanismus, eine Art bakterielles Immunsystem, das in vielen Bakterienarten vorkommt: Werden die Bakterien von Viren befallen, können sie Schnipsel des viralen Erbguts in einem Bereich ihres eigenen Erbguts, der als Crispr-Array bezeichnet wird, einbauen. Auf diese Weise erinnern sich die Bakterien an Viren, mit denen sie Kontakt hatten, und sie können diese bei einem künftigen erneuten Befall schneller bekämpfen.
Um diesen Mechanismus als Datenlogger nutzen zu können, richten die Forschenden ihren Blick nicht auf Erbgutschnipsel von viralen Eindringlingen, sondern auf etwas Anderes: Der Mechanismus lässt sich so nutzen, dass die Bakterien Schnipsel ihrer eigenen Boten-RNA in den Crispr-Array einbauen. Boten-RNA sind Bauanleitungsmoleküle, welche Zellen zur Herstellung von Proteinen verwenden. Die Boten-RNA-Schnipsel geben daher Auskunft darüber, welche Gene gerade für die Herstellung von Proteinen verwendet werden.
Damit das gut funktionierte, brachten die Forschenden den Crispr-Array der Bakterienart Fusicatenibacter saccharivorans in einen Stamm des Darmbakteriums Escherichia coli ein, der als sicher gilt und als sogenanntes Probiotikum zugelassen ist. Teil des Transfers war die Bauanleitung eines Enzyms namens Reverse Transkriptase, welches RNA in DNA umschreiben kann. Dieses Enzym schreibt auch die Information der Boten-RNA in die DNA-Form um, welche zum Einbau in den Crispr-Array nötig ist.
Untersuchung, ohne den Körper zu stören
Forschende des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern um Prof. Dr. med. Andrew Macpherson und Jakob Zimmermann verabreichten nun Mäusen im Labor derart veränderte Darmbakterien. Das Team sammelte Kotproben dieser Tiere, isolierte daraus die bakterielle DNA und analysierte diese mittels Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung. Aus einem riesigen Datenwust konnten die Forschenden mittels Bioinformatik die genetische Information der Boten-RNA-Schnipsel rekonstruieren. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter konnten so nicht-invasiv bestimmen, wie oft welches Boten-RNA-Molekül von den Darmbakterien während ihres Aufenthalts im Körper hergestellt wurde, und somit, welche Gene aktiv sind.
«Mit der neuen Methode können wir Informationen direkt aus dem Darm gewinnen, ohne dabei die Darmfunktion stören zu müssen», sagt Andrew Macpherson, Professor und Chefarzt Gastroenterologie am Inselspital Bern, Universitätsspital Bern. Damit hat die Methode Vorteile gegenüber einer Darmspiegelung, die für Patientinnen und Patienten unangenehm sein kann und bei der immer auch die Darmfunktion gestört wird, weil der Darm für die Untersuchung leer sein muss.
Ernährungszustand ermitteln
«Bakterien sind sehr gut darin, Umweltbedingungen zu erfassen und ihren Stoffwechsel an geänderte Bedingungen wie etwa die Nahrung anzupassen», erklärt Macpherson. In Experimenten mit Mäusen, die unterschiedliches Futter erhielten, konnten die Forschenden aufzeigen, wie die Bakterien ihren Stoffwechsel dem jeweiligen Nährstoffangebot anpassen. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter berichten darüber in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Science [http://doi.org/10.1126/science.abm6038].
Die Forschenden möchten die Methode weiterentwickeln, um damit dereinst auch in Patientinnen und Patienten zu untersuchen, wie die Ernährung das Darm-Ökosystem beeinflusst und wie sich dies auf die Gesundheit auswirkt. Die Methode soll künftig verwendet werden, um den Ernährungszustand von Kindern oder Erwachsenen zu ermitteln. Basierend darauf könnten Mangelernährungen diagnostiziert werden, oder Ärztinnen und Ärzte könnten entscheiden, ob eine Patientin oder ein Patient Nahrungsergänzungsmittel benötigt.
Ausserdem konnten die Forschenden Entzündungsreaktionen im Darm erkennen. Sie verabreichten Mäusen mit einer Darmentzündung sowie gesunden Mäusen die Sensorbakterien. Auf diese Weise konnten sie das spezifische Boten-RNA-Profil ermitteln von Darmbakterien, die in den Entzündungsmodus wechseln.
Verschiedene Bakterien unterscheiden
Teil der aktuellen Studie im Fachmagazin Science ist auch eine Weiterentwicklung, dank der die Wissenschafterinnen und Wissenschafter zwei Bakterienstämme anhand von individuellen genetischen «Strichcodes» unterscheiden können. Damit lässt sich in Zukunft in Labortieren die Funktion von Genmutationen in Bakterien untersuchen. Forschende können damit das Boten-RNA-Profil von verschiedenen Bakterien vergleichen, zum Beispiel von mutierten Bakterien und solchen ohne Mutation. Dank des molekularen Datenloggers ist es erstmals möglich, dieses Profil zu bestimmen, während die Bakterien den Darm durchlaufen und nicht erst, wenn sie im Kot vorliegen. Somit wissen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter was geschah, als die Bakterien noch im Darm lebten.
Denkbar wäre auch, das System weiterzuentwickeln, um RNA-Profile von Bakterien im Dünn- und Dickdarm zu unterscheiden. Ausserdem könnte man die Datenlogger-Funktion auch in andere Bakterienarten einbauen. Damit würden Anwendungen im Umweltmonitoring möglich. Durch die Analyse von Bodenbakterien aus einem Acker könnte man zum Beispiel nachweisen, ob Herbizide verwendet wurden.
Sichere Anwendung möglich
Die Methode selbst sowie charakteristische RNA-Profile, welche Rückschlüsse auf bestimmte eingenommene Nährstoffe sowie die Darmgesundheit ermöglichen, haben die Forschenden zum Patent angemeldet.
Bevor die Sensorbakterien ausserhalb eines Labors – auch in Patientinnen und Patienten – verwendet werden dürfen, müssen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter noch Sicherheitsfragen und rechtliche Fragen klären. Denn die Bakterien sind gentechnisch verändert. «Grundsätzlich gibt es Möglichkeiten, lebende gentechnisch veränderte Mikroorganismen als Diagnostika oder Therapeutika in der Medizin anzuwenden, wenn dabei einige Bedingungen erfüllt sind», erklärt Randall Platt. So ist es möglich, die Sensorbakterien so zu verändern, dass sie bestimmte Nährstoffe benötigen und dadurch nur innerhalb des Darms einer Patientin oder eines Patienten überleben. Ausserhalb des Darms sterben solche Bakterien ab. Der Einbau entsprechender Sicherheitsmechanismen ist der nächste Schritt hin zu einer Anwendung in der Medizin.
Diese Forschungsarbeit wurde unterstützt durch ERC-Grants an Prof. Randall Platt und Prof. Dr. med. Andrew Macpherson sowie durch einen Grant des Botnar Research Center for Child Health. Die Studien mit Mäusen wurden an in der Clean Mouse Facility der Universität Bern durchgeführt, die durch die Forschungsstiftung Genaxen unterstützt wird.