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Was telemedizinische Versorgungsprogramme Diabetiker:innen bringen
Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) untersuchte, wie telemedizinische Versorgungsprogramme für Diabetiker:innen evaluiert werden können und welche Evidenz zu etwaigen Versorgungseffekten vorliegt. Es zeigten sich dabei neben dem klinischen Nutzen auch organisatorische und soziale Versorgungseffekte.
Diabetes mellitus stellt Gesundheitssysteme weltweit vor große Herausforderungen. Global wurde die Zahl der Betroffenen im Alter von 20 bis 79 Jahren im Jahr 2021 auf insgesamt rund 537 Millionen geschätzt. Bis 2045 könnten es laut Prognosen 783 Millionen Diabetes-Patient:innen sein. In Österreich leben Expert:innen zufolge über 700.000 Menschen, die an einer Form von Diabetes erkrankt sind. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher sein, bei wahrscheinlich 30 bis 35 Prozent der Betroffenen ist die Stoffwechselerkrankung noch nicht diagnostiziert, heißt es nun in einer AIHTA-Studie, die den medizinischen, sozialen und organisatorischen Nutzen von telemedizinischen Versorgungsprogrammen für Diabetiker:innen international untersucht hat.
Die Telemedizin soll vor allem für chronisch kranke Menschen die Behandlungsqualität verbessern und die intensive, regelmäßige ärztliche Betreuung vereinfachen – besonders in ländlichen Regionen, in denen die hausärztliche Versorgung nicht mehr flächendeckend gewährleistet ist. Meist werden telemedizinische Versorgungsprogramme für Diabetiker:innen mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) verknüpft, etwa einem elektronischen Diabetestagebuch. Das heißt, der oder die Patient:in muss nicht mehr jedes Mal persönlich beim behandelnden Arzt oder der Ärztin erscheinen, um die Therapie an die Zuckermesswerte abzustimmen, sondern er oder sie trägt täglich Blutdruck- sowie Zuckerwerte, das Gewicht und seine/ihre persönliche Einschätzung des Wohlbefindens entweder beispielsweise in eine App ein oder die Daten werden automatisch an den Arzt/die Ärztin übermittelt. Durch dieses engmaschige Monitoring sollen Auffälligkeiten und Abweichungen schnell erkannt und Patient:innen bei Bedarf rasch zur Abklärung in die Ordination beordert werden können. Damit soll etwa die Steuerung der Patient:innenströme, die Therapietreue, das Selbstmanagement und schließlich die Lebensqualität der Diabetiker:innen verbessert werden.
Die Situation in Österreich
In Österreich gibt es bislang zwei Pilotprojekte zur telemedizinischen Versorgung von Diabetiker:innen: Eines davon heißt „Diabcare“ und wird in Tirol angeboten. Österreichweit soll der „Gesundheitsdialog Diabetes mellitus“ die Versorgungssituation verbessern. Das nationale Programm ist bislang nicht für alle in Österreich lebende Diabetiker:innen verfügbar, sondern wird nur für Diabetiker:innen zur Verfügung gestellt, die bei der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB) versichert sind. „Das ist grundsätzlich kein Nachteil, denn vor einem flächendeckenden Einsatz sollte geprüft werden, ob die telemedizinschen Versorgungsprogramme auch einen Nutzen haben. Indem die Pilotprojekte noch nicht für alle Diabetiker:innen angeboten werden, sind umfassende vergleichende Evaluierungen möglich. Das heißt, es können Regionen, in denen die Programme umgesetzt wurden, mit solchen verglichen werden, in denen sie nicht implementiert wurden“, erklärt Studienleiter Goetz.
Derzeit sind die für die beiden österreichischen Pilotprojekte entwickelten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) „DiabCare“ und „DiabMemory“ noch Insellösungen und müssen in erster Linie mit der Software des Arztes oder der Ärztin kompatibel sein. Eine Anbindung an die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) ist derzeit nicht möglich, sei aber geplant, heißt es im Bericht. Verbesserungsbedarf besteht dem Experten zufolge vor allem in der Definition der Zielsetzung und der Evaluierung der beiden Programme: „Die Ziele sind sehr breit und damit etwas ungenau formuliert. Für eine aussagekräftige Evaluation sind jedoch klare Zielsetzungen notwendig, die wiederum die Wahl der Messinstrumente bestimmen.
Ein weiteres Manko sieht der Experte darin, dass die Compliance, also die aktive Mitwirkung der Patient:innen an den telemedizinischen Diabetesprogrammen, mit Drop-Out-Raten bis zu 40 Prozent relativ gering war.
Daneben gibt es derzeit in Österreich Bemühungen, einen transparenten Prozess für die Bewertung respektive die Erstattung von DiGAs zu konzeptionieren. „Hier ist es wichtig, dass die in der Zukunft zum Einsatz kommenden Kriterien und Anforderungen für eine breite Erstattung bzw. Implementierung (z. B. Datenschutz, Nutzenbewertung, etc.), ebenfalls für in telemedizinische Versorgungsprogramme eingebettete DiGAs zur Anwendung kommen“, erklärt Goetz.
Was die telemedizinische Versorgung Diabetiker:innen bringt
Für die Evaluation internationaler telemedizinisch-begleiteter Diabetes-Projekte konnten 20 Studien in 25 Publikationen identifiziert werden, in denen insgesamt 17 Endpunkte erhoben wurden. Die Endpunkte zielten darauf ab, etwaige medizinische, soziale und organisatorische Versorgungseffekte zu überprüfen. Die meisten Endpunkte wurden quantitativ erhoben, wobei vorrangig standardisierte Fragebögen zum Einsatz kamen.
Für die systematische Übersichtsarbeit zum Zusatznutzen telemedizinischer Versorgungsprogramme im Vergleich zur üblichen Diabetesversorgung wurden ausschließlich randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) berücksichtigt. Es zeigte sich dabei, dass es Anhaltspunkte für etwaige medizinische, soziale und organisatorische Versorgungseffekte gibt. So war etwa zu beobachten, dass manche telemedizinisch begleitete Versorgungsprogramme etwa mit einer Verbesserung der Lebensqualität, einer Erhöhung der Zufriedenheit/Akzeptanz mit der Diabetestherapie sowie mit einer Reduktion der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen einherging. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Versorgungseffekte stark kontextabhängig sind: Die organisatorischen Rahmenbedingungen der Versorgungsprogramme waren sehr heterogen (etwa im Hinblick auf Personal-Ressourcen, Schulungen, Coaching-Elemente).
Für die Weiterentwicklung der österreichischen telemedizinischen Versorgungsprogrammen können diese Ergebnisse als Inspiration für eine konzeptionelle Verbesserung herangezogen werden. Hier ist jedoch eine sorgfältige Planung unter Berücksichtigung der Gesundheitskompetenz und IKT-Affinität der betroffenen Patient:innen-Population angeraten, um die Compliance zu stärken.
Außerdem begnügt man sich in Österreich mit Beobachtungsstudien, die keine kausalen Schlüsse zum Nutzen telemedizinischer Versorgungsprogramme zulassen. „Dass aber RTCs auf Basis validierter Messinstrumente möglich sind, hat die Analyse internationaler Studien gezeigt“, betont der Studienleiter. Wichtig sei außerdem, „dass die Zielsetzung vorab klar definiert ist und die verschiedenen Endpunkte wie etwa die Gesundheitskompetenz, die Lebensqualität, die Verbesserung des Selbstmanagements oder die Notwendigkeit einer Therapieanpassung mit bereits etablierten – sprich validierten – Messinstrumenten ermittelt wird“, erklärt Goetz.
Originalpublikation:
Goetz G, Hofer V, Jeindl R, Wild C und Walter M. Telemedizinische Diabetesversorgung in Österreich: Eine systematische Analyse von Evaluierungsmethoden. AIHTA Projektbericht Nr.: 143; 2022. Wien: HTA Austria – Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH. https://eprints.aihta.at/1370/