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Herausforderungen im Kampf gegen Tuberkulose in Europa

Eine internationale Studie unter wesentlicher Mitwirkung des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Forschungsorganisation TBnet zeigt, dass sich exorbitant teure Medikamente, der Mangel an wirksamen Medikamenten und die eingeschränkte Diagnostik in einer Reihe von europäischen Ländern ungünstig auf die Behandlung der multiresistenten Tuberkulose auswirken.

Die Tuberkulose (TB) ist die weltweit häufigste tödlich verlaufende bakterielle Infektionskrankheit. Die EndTB-Strategie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll, so war es zumindest vorgesehen, die TB bis 2035 nahezu eliminieren. Die Realität sieht jedoch anders aus. In den letzten zehn Jahren hat sich die TB-Inzidenz, das heisst die Anzahl der Fälle pro 100’000 Einwohner, weltweit kaum verändert, während die Zahl der tuberkulosebedingten Todesfälle nun erstmals seit Jahrzehnten steigt. Besonders besorgniserregend ist die Zunahme der antibiotikaresistenten Fälle von Tuberkulose.

In einigen osteuropäischen Ländern ist der Anteil der Patientinnen und Patienten mit multiresistenter Tuberkulose, bei der herkömmliche Antibiotika versagen, besonders hoch. In den Nachbarländern der Europäischen Union, also der Russischen Föderation, Belarus, der Republik Moldau und der Ukraine, leiden mehr als 25 Prozent der Betroffenen an multiresistenter Tuberkulose, in den Ländern der Europäischen Union sind es weniger als 3 Prozent. Insgesamt können zwar mehr als 85 Prozent aller Tuberkulosebetroffenen geheilt werden; bei Patientinnen und Patienten mit multiresistenter Tuberkulose ist die Prognose jedoch wesentlich ungünstiger. Derzeit haben weniger als 60 Prozent dieser Betroffenen Aussicht auf Heilung.

Die Tuberculosis Network European Trials Group (TBnet), ein europaweites Netzwerk von Tuberkuloseforschenden, hat die aktuelle Verfügbarkeit von Medikamenten zur Behandlung von Menschen mit Tuberkulose, die Kosten der Behandlungen und die Verfügbarkeit von Tests, um Antibiotikaresistenzen bei Tuberkulosebetroffenen nachzuweisen, in 43 europäischen Ländern analysiert. Die Ergebnisse, die in der Zeitschrift Clinical Microbiology and Infection veröffentlicht wurden, sind alarmierend.

Der Erstautor, PD Dr. med. Gunar Günther, Leitender Arzt an der Universitätsklinik für Pneumologie des Inselspitals, Universitätsspital Bern, erläutert dazu: «Die neuen, hochwirksamen Tuberkulosemedikamente Bedaquilin und Delamanid sind nur in 36 (84 Prozent) beziehungsweise 24 (56 Prozent) der untersuchten Länder verfügbar. Und dies, obwohl diese Medikamente auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO stehen. Rifapentin, ein Medikament, das die Standard-Tuberkulose-Therapie von sechs Monaten auf vier Monate und die vorbeugende Therapie gegen Tuberkulose von drei Monaten auf einen Monat verkürzen kann, ist nur in 6 der 43 Länder (14 Prozent) erhältlich. Eine Kombinationstherapie für Betroffene mit extrem antibiotikaresistenter Tuberkulose (der sogenannten XDR-TB) steht nur in 17 (40 Prozent) der 43 Länder zur Verfügung. Gleichzeitig sind die Kosten der Medikamente in einigen europäischen Ländern exorbitant hoch. Dort kann sich die Behandlung einer Patientin oder eines Patienten auf mehrere Hunderttausend Euro belaufen.»

Ebenfalls besorgniserregend ist die Erkenntnis, dass in einigen Ländern zwar die neusten Medikamente verfügbar sind, es dort aber häufig an Tests zum Nachweis von antibiotikaresistenten Bakterien mangelt. «Ohne Antibiotikaresistenztests erhalten die Betroffenen lediglich Standardtherapien, ohne zu wissen, ob der Medikamentencocktail überhaupt wirksam ist», sagt Professor Christoph Lange vom Forschungszentrum Borstel und vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, der zu den Koordinatoren des TBnet-Projekts gehört.

«Dies führt zwangsläufig zur Selektion und Ausbreitung antibiotikaresistenter Stämme von Tuberkulosebakterien. Eine massgeschneiderte Behandlung mit den optimalen Medikamenten muss für alle Patientinnen und Patienten zugänglich und erschwinglich sein – unabhängig vom Ausmass der Antibiotikaresistenz der Bakterien. Zudem müssen die diagnostischen Kapazitäten in zahlreichen Ländern dringend verbessert werden.»

Unter den gegebenen Umständen ist die Elimination der Tuberkulose bis 2035 sehr unwahrscheinlich. Auch wenn es sich in Westeuropa und in der Schweiz um eine seltene Erkrankung handelt, müssen im gesamteuropäischen und globalen Kontext Investitionen in Prävention, Diagnose, Behandlung und Forschung massiv ausgebaut werden, wollen wir Tuberkulose in absehbarer Zeit in den Griff bekommen.

Publikation:

Günther G, Guglielmetti L, Leu C, Lange C, van Leth F for the TBNET (2022). Availability and costs of medicines for the treatment of tuberculosis in Europe. Clinical Microbiology and Infection: doi.org/10.1016/j.cmi.2022.07.026