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„Lp(a) sollte mindestens einmal im Leben gemessen werden“
ExpertInneninterview mit Florian Kronenberg
Eine hohe Konzentration von Lipoprotein(a) – kurz Lp(a) – gehört zu den wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dennoch wurde es bisher zu wenig beachtet. Florian Kronenberg, Direktor des Instituts für Genetische Epidemiologie an der Med Uni Innsbruck, hat federführend mit 22 weltweiten ExpertInnen einen Konsens darüber hergestellt, wie mit Lp(a) in der Praxis umgegangen werden soll. Heute präsentiert er die Arbeit beim Kongress der European Society of Cardiology in Barcelona.
Lipoprotein(a) wird immer wieder als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen bezeichnet. Worum handelt es sich dabei?
Florian Kronenberg: Lipoprotein(a) ist ein eigenständiger Bestandteil der Blutfette, von dem wir in den vergangenen 30 Jahren lernen mussten, dass hohe Konzentrationen davon ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Aortenklappenstenosen (Verengungen der Herzklappen, Anm.) und periphere Gefäßverkalkungen ist. Bis vor wenigen Jahren hat dieses Lipoprotein in der Praxis eher ein Schattendasein geführt, war aber Gegenstand intensiver Forschungen. Diese haben nun dazu geführt, dass Medikamente entwickelt werden, die sich gerade in der Testphase befinden und die Lp(a) im Blut massiv reduzieren.
Was macht Lp(a) so einzigartig?
Kronenberg: Die Höhe der Konzentrationen und damit auch das damit verbundene Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ist sehr stark genetisch festgelegt. Aufgrund genetischer Untersuchungen war es möglich, nachzuweisen, dass Lp(a) ursächlich mit kardiovaskulären Komplikationen in Zusammenhang steht. Das war eine Grundvoraussetzung für Überlegungen, Lp(a) therapeutisch zu beeinflussen.
Bei wem sollte nun Lp(a) gemessen werden?
Kronenberg: Nicht nur unser Konsens-Paper sondern auch mehrere kardiologische Leitlinien geben hier eine sehr klare Empfehlung ab: Prinzipiell sollte Lp(a) bei jedem Erwachsenen mindestens einmal im Leben gemessen werden. Die Messung kann im Zuge einer Blutentnahme bei der Hausärztin oder dem Hausarzt vorgenommen werden, die Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten für eine einmalige Lp(a)-Bestimmung. In den allermeisten Fällen reicht eine einmalige Messung deswegen aus, weil der Wert aufgrund der starken genetischen Regulation meistens stabil bleibt. Wenn bei jemandem hohes Lp(a) festgestellt wird, dann sollten sich auch die übrigen Familienmitglieder Lp(a) messen lassen. Gerade in Familien, in denen kardiovaskuläre Komplikationen gehäuft auftreten, liegen oft hohe Lp(a)-Konzentrationen vor.
Ab welchen Lp(a)-Konzentrationen sprechen wir von einem erhöhten Risiko?
Kronenberg: Generell gilt die Regel: Je höher die Konzentrationen, umso höher ist das damit verbundene Risiko. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung haben Konzentrationen unter 30 mg/dL (oder 75 nmol/L). Man geht davon aus, dass diese niedrigen Konzentrationen mit keiner relevanten Risikoerhöhung verbunden sind. Konzentrationen von 30 mg/dL sind mit einer ca. 20-prozentigen Risikoerhöhung verbunden, 50 mg/dL (oder 125 nmol/L) mit einer 30-prozentigen Risikoerhöhung. Wenn die Konzentrationen auf über 100 mg/dL (oder 250 nmol/L) und mehr ansteigen, kann es sogar zu einer Verdopplung des Risikos kommen.
Gibt es ein Zusammenspiel zwischen Lp(a) und klassischen Risikofaktoren?
Kronenberg: Lp(a) ist ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Probleme. Das bedeutet aber nicht, dass es egal ist, welche anderen Risikofaktoren man hat. Für das Gesamtrisiko gilt: Je höher Lp(a) und je mehr andere Risikofaktoren vorhanden sind, umso höher steigt das Gesamtrisiko an. Wir haben dazu im Konsens-Paper einen Algorithmus vorgestellt, mit dem das individuelle Risiko berechnet werden kann. Aus diesem geht sehr klar hervor, dass im Falle eines Menschen mit hoher Lp(a)-Konzentration das Gesamtrisiko für kardiovaskuläre Komplikationen massiv unterschätzt wird, wenn Lp(a) außer Acht gelassen wird.
Was wird Menschen mit sehr hohen Lp(a)-Konzentrationen empfohlen?
Kronenberg: Solange es keine zugelassenen Medikamente für die Senkung von Lp(a) gibt – und auch danach – wird im Vordergrund stehen, dass man die anderen eventuell vorhandenen und beeinflussbaren Risikofaktoren möglichst gut in den Griff bekommt. Es gibt sehr gute Beobachtungsstudien, die zeigen, dass Menschen trotz hoher Lp(a)-Konzentrationen aber möglichst geringer Anzahl von anderen Risikofaktoren ein deutlich niedrigeres Gesamtrisiko haben, als Menschen mit vielen Risikofaktoren. Das bedeutet, dass man weg sollte vom Rauchen, zu hohem Cholesterin, zu hohem Blutdruck, einer schlechten Stoffwechsellage und damit verbundenen hohen Blutzuckerwerten, zu hohem Gewicht und hin zu einem besseren Lebensstil mit gesünderer Ernährung und mehr Bewegung.
Kann durch einen gesünderen Lebenswandel auch Lp(a) mitgesenkt werden?
Kronenberg: Nein, damit wird man Lp(a) nicht senken, da dieses weder durch Diät noch Sport beeinflussbar ist, aber man kann dadurch sein Gesamtrisiko deutlich vermindern. Besonders wichtig dabei ist, dass man frühzeitig damit beginnt, bevor es zu den ersten Komplikationen kommt – oder man sich die schlechten Angewohnheiten erst gar nicht aneignet. Leider vertreten auch Ärztinnen und Ärzte nicht selten die Ansicht, dass man ja erst einmal zuwarten könne, ob etwas passiert. Wenn etwas passiert, dann ist dieser erste Zwischenfall leider nicht selten der letzte, da zu oft tödlich. Die Entwicklung einer kardiovaskulären Erkrankung erfolgt in der Regel langsam und nicht von heute auf morgen. Das Zauberwort heißt Prävention. Und Prävention heißt nicht, dass man erst aktiv wird, wenn ein Schaden auftritt, sondern dass man frühzeitig proaktiv versucht, einen eventuellen Schaden zu vermeiden.
Wann wird es ein Medikament zur Lp(a)-Senkung geben?
Kronenberg: Es befinden sich mehrere Präparate in Entwicklung. Diese senken Lp(a) recht deutlich um bis zu 80 Prozent ab. Wichtig ist aber, dass man auch zeigt, dass dadurch auch die Rate an kardiovaskulären Komplikationen gesenkt wird. Dazu erwartet man erste Studienergebnisse für das Jahr 2025. Erst dann wird man über deren Effektivität Bescheid wissen und entscheiden, bei welchen Patientengruppen diese Wirkstoffe gegebenenfalls zum Einsatz kommen können.
Noch eine Frage zum Konsens-Paper: Wie muss man sich den Prozess für ein derartiges Dokument vorstellen?
Kronenberg: In unserem Fall haben wir gemeinsam mit der European Atherosclerosis Society 22 ausgewiesene Lp(a)-Expertinnen und Experten ausgewählt, wobei diese weltweit von Australien bis Kalifornien zum Thema Lp(a) forschen, also eine nicht auf Europa beschränkte Gruppe. Wie der Name sagt, sollten wir einen Konsens zu den brennenden Fragen um dieses Lipoprotein herstellen. Wir sind mit großem Respekt an diese Aufgabe herangegangen und wir waren schlussendlich überrascht, dass der Konsens nicht ein sehr niedriger kleinster gemeinsamer Nenner geworden ist, sondern wir nach vielen sehr stimulierenden und datenbasierten Diskussionen eine sehr klare Einigkeit erzielen konnten. Das ist für das wissenschaftliche Umfeld und für die zukünftige PatientInnenversorgung von sehr hoher Wichtigkeit.
Zur Person:
Florian Kronenberg studierte in Innsbruck Medizin und absolvierte die Ausbildung zum Facharzt für Medizinische Genetik. Nach Forschungsaufenthalten in den USA und Deutschland wurde er 2004 als erster Professor für Genetische Epidemiologie in Österreich an die Medizinische Universität Innsbruck berufen. Neben Studien zu Lipoprotein(a) liegt sein Forschungsfokus auf der Genetik komplexer Erkrankungen wie Atherosklerose, Nierenerkrankungen oder Diabetes mellitus. Florian Kronenberg wurde im Juli 2022 als Mitglied in der Academia Europaea aufgenommen.
Forschungsarbeiten:
Kronenberg F, et. al.: Lipoprotein(a) in atherosclerotic cardiovascular disease and aortic stenosis: a European Atherosclerosis Society consensus statement. Eur Heart J (in press) https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac361.
Sonderband mit 13 Reviews und 15 Originalarbeiten zum Thema „Lipoprotein(a)“:
https://www.sciencedirect.com/journal/atherosclerosis/vol/349/suppl/C
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Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.
Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.