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Mit Proxidrugs gegen krankmachende Proteine

Zellen verfügen über ein effizientes System zur Abfallentsorgung. Proxidrugs nutzen es für neue Therapien gegen Krebs, Infektionen und Alzheimer. Gemeinsam mit Partnern forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie ITMP an der Entwicklung dieser neuen Medikamentenklasse.

Nachhaltigkeit bei der Wirkung von Medikamenten ist das Thema von Dr. Aimo Kannt, Abteilungsleiter für Wirkstoffforschung und Präklinische Forschung am Fraunhofer ITMP in Frankfurt. »Klassische Medikamente binden an krankmachende Proteine und hemmen sie dadurch. Proxidrugs hingegen vernichten die krankmachenden Proteine und haben damit eine nachhaltigere Wirkung«, sagt der Wissenschaftler. Er ist davon überzeugt, dass die neue Medikamentenklasse der Proxidrugs (kurz für proximity-inducing drugs) der Medizin bisher ungeahnte Perspektiven eröffnen wird. »Mit den jetzigen pharmazeutischen Wirkstoffen sind 80 Prozent aller möglichen Zielstrukturen nicht zugänglich. Mit Proxidrugs könnten wir viele davon erreichen und Therapien für bislang unheilbare Erkrankungen entwickeln.« Weltweit wird intensiv an dem Thema geforscht. Erste klinische Studien laufen bereits. Bis die neuen Wirkstoffe in der Praxis ankommen, ist es aber noch ein weiter Weg. Ein Stück des Wegs ebnet Aimo Kannt gemeinsam mit einem Konsortium aus Universitäten und Industrie mit dem Projekt PROXIDRUGS. Das Vorhaben wird im Clusters4Future-Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums gefördert.

Proxidrugs bekämpfen die Ursache der Erkrankung

Die Hemmwirkung klassischer Medikamente lässt sofort nach, wenn das Medikament im Körper abgebaut wird. Daher müssen Medikamente wie etwa Blutdrucksenker regelmäßig eingenommen werden. Proxidrugs dagegen bekämpfen die krankmachenden Proteine und damit die Ursache der Erkrankung. Zur Vernichtung nutzen sie die zelleigenen Protein-Schredder, die Proteasomen. Diese sind Teil einer effizienten Recyclingstrategie. Dazu gehört ein Überwachungssystem, das kontinuierlich nach defekten oder verbrauchten Proteinen sucht. Ist ein solches Protein entdeckt, wird es sozusagen mit einem Fähnchen versehen, einem Molekül namens Ubiquitin. Das Ubiquitin-Fähnchen dient als Erkennungssignal für das Proteasom. In diesen tonnenförmigen Proteinkomplexen wird das Protein entfaltet und dann in kleine Stücke zerlegt.

Abfall für die zelleigene Müllabfuhr

Proxidrugs sorgen dafür, dass krankheitsrelevante Proteine mit einem Ubiquitin-Fähnchen versehen werden. Damit werden sie für die zelleigene Müllabfuhr als Abfall gekennzeichnet und im Proteasom zerlegt. Die technische Umsetzung ist schwierig. Das Ubiquitin-Fähnchen wird von einem speziellen Enzym, der E3 Ligase, an das Protein geheftet. Proxidrugs sind so konstruiert, dass sie mit einer Seite an das Zielprotein binden und mit der anderen Seite an die E3 Ligase. Die räumliche Nähe (engl. proximity), die dabei zwischen Zielprotein und E3 Ligase entsteht, ist namensgebend für die gesamte Substanzklasse. »Im Projekt PROXIDRUGS berücksichtigen wir alle Aspekte, die mit diesen Wirkstoffen verbunden sind«, sagt Aimo Kannt. Zum Konsortium gehören zehn Partner, darunter die Goethe-Universität Frankfurt als koordinierende Institution, die Technische Universität Darmstadt, das Max-Planck-Institut für Biophysik sowie die Pharmaunternehmen Merck und Abbvie.

Im Fokus: Krebs, neurodegenerative Erkrankungen und Infektionskrankheiten

Drei Indikationen stehen im Fokus: Krebs, neurodegenerative Erkrankungen und Infektionskrankheiten. In allen drei Feldern geht es darum, Proteine zu eliminieren, die das Krankheitsgeschehen fördern. Bei Krebs sind das beispielsweise Botenstoffe, die die Tumorzellen zum Wachstum anregen. Im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen, wie zum Beispiel Alzheimer, zielt man auf Proteine, die im zentralen Nervensystem an der Bildung von Ablagerungen beteiligt sind. Bei diesem Teilprojekt ist das Fraunhofer ITMP federführend.

Neue Strategie gegen multiresistente Keime

Für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten bieten Proxidrugs einen völlig neuen Ansatz. Es besteht die Hoffnung, wirksame neue Medikamente gegen multiresistente Bakterien zu finden. Das Projekt befasst sich unter anderem mit dem gefährlichen Krankenhauskeim Acinetobacter baumannii, der vor allem Lungenentzündungen und Wundinfektionen verursacht.

Um die Suche nach wirkungsvollen Proxidrugs effektiver zu gestalten, entwickelt das Fraunhofer ITMP gemeinsam mit weiteren Partnern spezielle Testsysteme, mit denen man Wirkstoffe gegen die verschiedensten Zielproteine identifizieren kann. Parallel dazu etabliert Aimo Kannt im Rahmen des Fraunhofer-Exzellenzclusters für immun-mediierte Erkrankungen CIMD eine institutsübergreifende Plattform für die Entwicklung von Proxidrugs. Dabei soll die gesamte Wertschöpfungskette von der Suche nach geeigneten Wirkstoffen bis zu präklinischen Tests abgebildet werden. Im Fokus stehen entzündliche Darmerkrankungen und fibrotische Lungenkrankheiten. »Proxidrugs scheinen gut verträglich und auch gut wirksam zu sein. Das motiviert uns, intensiv an der Entwicklung dieser neuen Wirkstoffklasse zu arbeiten«, so Kannt.