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Großangelegte Studie findet zehn neue Risikogene für Morbus Crohn
Die Ergebnisse der internationalen Studie mit Beteiligung des Exzellenzclusters PMI weisen auch auf einen bisher nicht bekannten Entstehungsweg der chronisch entzündlichen Darmkrankheit hin.
Das Besondere an der Studie ist zum einen die Größe und zum anderen der methodische Ansatz. Um Auffälligkeiten im Genom von Patientinnen und Patienten mit Morbus Crohn nachzuweisen, verglich ein internationales Konsortium DNA-Proben von etwa 30.000 Menschen mit Morbus Crohn und 80.000 Kontrollpersonen ohne diese Erkrankung. Ziel war es, Genvarianten zu finden, die anfällig für die chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) machen. Untersuchungsmethode war die sogenannte Exom-Sequenzierung. Hierbei werden alle genomischen Bereiche sequenziert, die für Proteine kodieren. Bisher wurde insbesondere in genomweiten Assoziationsstudien nach Auffälligkeiten im Genom von Erkrankten gesucht. „In der neuen Studie haben wir genetische Varianten in zehn Genen identifiziert, die die Anfälligkeit für Morbus Crohn erhöhen. Dabei wurden Veränderungen von sechs Genen in Regionen identifiziert, die bisher nicht mit Morbus Crohn in Verbindung gebracht worden waren“, erklärt Professor Andre Franke vom Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI), der mit seiner Arbeitsgruppe an der Studie beteiligt war. Die Ergebnisse sind im renommierten Fachmagazin Nature Genetics erschienen und liefern neue Ansatzpunkte für die weitere Erforschung der Krankheitsursachen. „Mit der Entdeckung neuer Risikogene hat uns die Gruppe um Professor Franke enorm in der Klinik geholfen. Durch diese Gene die in bisherigen Genomstudien noch nicht aufgefallen sind, werden sich neue Ansätze für Therapieverfahren ergeben“, sagt PMI-Sprecher Professor Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel und Direktor am Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem UKSH, Campus Kiel.
Genstudien dienen der Suche nach Krankheitsursachen
Morbus Crohn ist eine die Lebensqualität einschränkende Erkrankung, die durch schubweise auftretende, chronische Entzündungen des Magen-Darm-Trakts gekennzeichnet ist. Die Ursachen der Krankheit sind nur unzureichend erforscht. Man nimmt an, dass sie durch eine überschießende Immunreaktion bei genetisch anfälligen Personen ausgelöst wird. Zwar gibt es Medikamente, die bei vielen Betroffenen eine Linderung der Symptome bewirken, doch eine Heilung ist nicht möglich, und schwere Krankheitsschübe sind häufig.
Frühere genomweite Assoziationsstudien (GWAS) haben mehr als 200 Regionen des Genoms identifiziert, die mit Morbus Crohn assoziiert sind. Diese Studien sind jedoch darauf beschränkt, nach bestimmten, vorher bekannten Varianten zu suchen. „Zudem fallen in diesen Studien meist Veränderungen auf, die sich nicht in einer Protein-kodierenden Region befinden. Das macht es schwieriger, die Gene zu identifizieren, die betroffen sind“, erklärt Co-Autorin Dr. Britt-Sabina Löscher, Postdoktorandin in Frankes Arbeitsgruppe am IKMB. Zur Ergänzung von GWAS, zur besseren Definition von biologischen Zielen und zur Identifikation von seltenen Varianten erfolgte daher die großangelegte Exom-Sequenzierungs-Studie unter Leitung von Arbeitsgruppen des Broad Institute am Massachusetts Institute of Technology, Harvard University, und des Wellcome Sanger Institute, Cambridge, USA. In die Studie flossen Proben aus mehr als 35 Zentren weltweit ein, darunter auch solche von der CED-Kohorte des Exzellenzclusters PMI. Dadurch kamen insgesamt Proben von rund 30.000 Patientinnen und Patienten und 80.000 Kontrollen zusammen. Nur mit diesen großen Probenzahlen ist es möglich, auch seltene Varianten zu erkennen, die die Krankheit antreiben.
„Die neu entdeckten Risikovarianten für Morbus Crohn unterstreichen nicht nur die zentrale Rolle der angeborenen und erworbenen Immunzellen sowie der Autophagie (das „Recyclingprogramm“ der Zelle) bei der Krankheitsentstehung, sondern decken auch die Rolle mesenchymaler Zellen bei der Darmentzündung auf. Damit tragen sie dazu bei, die genetischen Wurzeln der entzündlichen Darmerkrankung zu ergründen und liefern neue Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Therapien“, betont Co-Autor Professor Stefan Schreiber. Mesenchymale Zellen sind eine Art von Stammzellen im Darm. Sie spielen eine Rolle bei der Reifung, Migration und Rekrutierung von Immunzellen. Offenbar trägt eine Störung dieser Zellen dazu bei, Darmentzündungen auszulösen und aufrechtzuerhalten.
Methoden zur Genomanalyse
Next-generation sequencing, kurz NGS, ist eine Technologie zur Hochdurchsatz-Analyse von DNA, die in der modernen genetischen Diagnostik häufig zur Abklärung genetisch bedingter Erkrankungen eingesetzt wird. In diesem Verfahren können sämtliche Gene des Humangenoms parallel sequenziert werden, um kleinste Veränderungen, wie zum Beispiel Mutationen zu identifizieren. Für die Untersuchung genügt eine Blut- oder Gewebeprobe, aus der die DNA gewonnen werden kann. NGS kann zur Untersuchung des Erbguts, entweder des gesamten Genoms oder zum Beispiel nur des protein-kodierenden Bereichs (Exom) genutzt werden.
Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) suchen nach Risikofaktoren für Krankheiten. In solchen Studien fahnden die Forschenden nach typischen Veränderungen im gesamten Genom und schauen, ob diese Veränderungen bei Menschen mit bestimmten Krankheiten häufiger vorkommen. Dazu werden mehrere Hunderttausend bis einige Millionen Positionen des Erbguts mit sogenannten Biochips (SNP-Arrays) analysiert. Es wird hierbei nur nach bestimmten Positionen im Genom gezielt gesucht, von denen bekannt ist, dass sie variabel sind. Die veränderten Genregionen müssen nicht zwangsläufig ursächlich mit der Krankheit zu tun haben. Sie sind aber mit der Krankheit assoziiert, stehen also auf eine bekannte oder unbekannte Weise mit ihr in Verbindung.
Originalpublikation
Sazonovs A et al. Large-scale sequencing identifies multiple genes and rare variants associated with Crohn’s disease susceptibility. Nat Genet. 2022 Aug 29.
doi: 10.1038/s41588-022-01156-2