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Wie gestresste Tumorzellen dem Zelltod entgehen: neuer Mechanismus entdeckt

Viele Tumoren sind wegen ihres hochaktiven Stoffwechsels anfällig gegenüber einer speziellen Art des Zelltods, der Ferroptose. Dennoch gelingt es Krebszellen häufig, diesem Schicksal zu entgehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum entdeckten nun einen neuen Mechanismus, mit dem sich normale wie auch Krebszellen vor der Ferroptose schützen. Die Kenntnis dieser molekularen Zusammenhänge könnte neue Ansatzpunkte für die Behandlung von Tumoren liefern.

Eine Zelle stirbt an Ferroptose, wenn freie Radikale außer Kontrolle geraten und in einer Kettenreaktion die schützende Zellmembran zerstören. Betroffen sind gelegentlich gesunde Zellen, wenn sie unter oxidativen Stress geraten. Doch insbesondere Krebszellen sind aufgrund ihres hochaktiven Stoffwechsels anfällig für Ferroptose – trotzdem entgehen viele der bösartigen Zellen diesem Schicksal. Weltweit fahnden Forscher nach den Faktoren, die eine Zelle empfänglich oder resistent gegenüber der Ferroptose machen, um diese Art des Zelltods möglicherweise therapeutisch zu beeinflussen. Forscher um Tobias Dick am Deutschen Krebsforschungszentrum entdeckten nun einen neuen, unerwarteten Mechanismus, mit dem sich Zellen vor der Ferroptose schützen.

Erst seit kurzem ist bekannt, dass menschliche Zellen aus der schwefelhaltigen Aminosäure Cystein sogenannte Persulfide herstellen können. Diese kleinen Moleküle charakterisiert eine Gruppe aus zwei Schwefelatomen und einem Wasserstoffatom. Die Bedeutung der Persulfide im Inneren der Zelle war jedoch von Anfang an rätselhaft und blieb unbekannt.

Uladzimir Barayeu vom DKFZ, Erstautor der aktuellen Publikation, beobachtete, dass Zellen ihre Produktion an Persulfiden ankurbeln, sobald sie durch Radikale gestresst sind und Gefahr laufen, den ferroptotischen Zelltod zu erleiden. Dies war der erste Hinweis, dass Zellen versuchen, sich mit Persulfiden zu schützen. Das Forscherteam zeigte, dass Persulfide Membranschäden und Ferroptose effizient unterdrücken, und legte auch die Wirkungsweise dieser Moleküle offen: Persulfide erwiesen sich als hocheffiziente Radikalfänger. Sie unterbrechen die zerstörerische Kettenreaktion, die die Integrität der Zellmembran bedroht.

Die Wirkung der Persulfide beruht auf einem außergewöhnlichen chemischen Mechanismus. Stößt ein Persulfid auf ein freies Radikal, übernimmt es dessen radikalischen Charakter, wird also selbst zum Radikal. Doch das neue Radikal verhält sich ungewöhnlich. Anders als andere Radikale ist es äußerst reaktionsträge und nicht in der Lage, Schäden anzurichten. Es reagiert ausschließlich mit sich selbst und erzeugt in einer Folgereaktion erneut Persulfide. Das bedeutet, dass sich Persulfide bei der Eliminierung freier Radikale kaum verbrauchen. Deshalb kann schon eine sehr niedrige Konzentration von Persulfiden eine viel höhere Konzentration an Radikalen wirksam eliminieren, wie die Forscher zu ihrer Überraschung feststellten.

Die Heidelberger Wissenschaftler zeigten außerdem, dass die Ferroptose-Empfindlichkeit einer Zelle von bestimmten Enzymen des Schwefelstoffwechsels abhängt, die Persulfide erzeugen. „Durch unsere neuen Resultate könnten sich vollkommen neue Ansatzpunkte ergeben, um die innere Widerstandsfähigkeit von Krebszellen zu attackieren, zum Beispiel durch pharmakologische Inhibitoren der Enzyme, die für die Persulfid-Produktion zuständig sind“, sagt Tobias Dick, Letztautor der aktuellen Publikation.

Das Forschungsprojekt ist Teil des DFG-geförderten Schwerpunktprogramms SPP 2306 „Ferroptose: von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung“.

Publikation:

Barayeu U, Schilling D, Eid M, Xavier da Silva TN, Schlicker L, Mitreska N, Zapp C, Gräter F, Miller AK, Kappl R, Schulze A, Friedmann Angeli JP, Dick TP (2022) Persulfides inhibit lipid peroxidation and ferroptosis by scavenging radicals. Nature Chemical Biology, DOI: 10.1038/s41589-022-01145-w

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs. Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.