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Genmutationen entdeckt, die Sprachstörungen, ADHS und Muskelschwäche auslösen

Wissenschaftler*innen der Universitäten Köln und Turin zeigen, dass Defekte des Proteins CAPRIN1 die Ursache für verschiedene neurologische Beeinträchtigungen sind / Publikation in „Brain“ und „Cellular and Molecular Life Sciences“

Zwei Studien zeigen, dass bestimmte Störungen des CAPRIN1-Gens erhebliche Folgen für Menschen haben. Zum einen zeigt das Forschungsteam, dass eine unzureichende Produktion des Protein CAPRIN1 im Gehirn zu Einschränkungen führen kann – darunter Autismus-Spektrum-Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Sprachstörungen. Weiterhin identifizierten die Wissenschaftler*innen eine spezifische Mutation im CAPRIN1 Gen (CAPRIN1P512L), die zu einer abnormalen Ansammlung von Eiweißen führt, was einen unsicheren Gang und Muskelschwäche auslöst. Die Studien wurden in den Fachjournalen Brain und Cellular and Molecular Life Sciences veröffentlicht.

Die Erkenntnisse hat das Team mit Hilfe von Exomanalysen gewonnen, bei denen beobachtet wird, welche Gene in einer Zelle verändert vorliegen. Zudem nutzen die Forscher*innen die Datenbank GeneMatcher – eine Plattform, auf der sich Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen über Veränderungen in den Genen und die dazugehörigen Erkrankungen austauschen.

Das Forschungsteam identifizierte zwölf Patient*innen, die Mutationen im CAPRIN1-Gen aufwiesen. Bei ihnen wurde nur die Hälfte der Proteinmenge hergestellt. Lisa Pavinato, Doktorandin von Professor Dr. Alfredo Brusco an der Universität Turin und DAAD-Stipendiatin von Professorin Dr. Brunhilde Wirth an der Universität zu Köln, zeigte in der Studie, dass ein Zusammenhang zwischen der mangelnden Produktion des Eiweißes und bestimmten neurologischen Beeinträchtigungen vorlag. Die Betroffenen wiesen alle Sprachstörungen auf, 82 Prozent hatten ADHS und 67 Prozent waren von Autismus-Spektrum-Störungen und weiteren neurologischen Entwicklungsstörungen betroffen. Bestätigt wurde die Funktion von CAPRIN1 in Laborexperimenten mit humanen induzierten pluripotenten Stammzellen, bei denen durch die Genschere CRISPR/Cas9 das CAPRIN1-Gen, ähnlich wie bei den Betroffenen, ausgeschaltet wurde. Zellen mit einer CAPRIN1-Mutation entwickeln verkürzte Prozesse und fehlerhafte Schaltkreise, die im Vergleich zu den gesunden Neuronen ohne Mutation eine verringerte elektrische Aktivität aufweisen. Kontrollneuronen ohne die CAPRIN1-Mutation bilden hingegen lange Fortsätze, die sich zu komplexen Netzwerken ausbilden. Des Weiteren hat das Team auch Veränderungen in der Translation, einem der wichtigsten zellulären Prozesse für die fehlerfreie Ausbildung von Zellen und ihrer Funktionen, entdeckt. Tatsächlich begannen die mutierten Neuronen aufgrund der fehlerhaften Translation nach einigen Tagen zu degenerieren und Klumpen zu bilden. Diese Ergebnisse wurden in dem Artikel „CAPRIN1 haploinsufficiency causes a neurodevelopmental disorder with language impairment, ADHD and ASD“ im Fachjournal Brain veröffentlicht.

In der zweiten Studie wurde mit GeneMatcher drei Kindern aus unterschiedlichen Familien identifiziert, die eine neu-entstandene Punktmutation an einer bestimmten Stelle des CAPRIN1-Gens haben. An Position 512 fand hier ein Aminosäureaustausch von Prolin zu Leucin statt. Alle drei Kinder zeigen die gleichen Symptome von früh einsetzenden Bewegungsstörungen (Ataxie), Beeinträchtigung der Sprechmotorik (Dysarthrie), Gedächtnisstörungen und Muskelschwäche. Andrea delle Vedove, Doktorand von Professorin Wirth, zeigte, dass genau diese Mutation zu vielen Eiweißklumpen in neuronalen Zellen führt, ähnlich wie bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer oder Ataxie. Zudem war die Aktivität der Nervenzellen verringert. Die Studie „CAPRIN1P512L causes aberrant protein aggregation and associates with early-onset ataxia“ ist in Cellular and Molecular Life Sciences erschienen.

„Die neuen Forschungsergebnisse sind nicht nur für Betroffene und ihre Familien wichtig, die oft jahrelang nach Antworten suchen, um die Ursache ihrer Erkrankung zu verstehen, sondern auch für Ärzt*innen, die jetzt schnellere und genauere Diagnosen stellen können“, sagt Professorin Dr. Brunhilde Wirth, Direktorin des Instituts für Humangenetik an der Uniklinik Köln, die die Studien zusammen mit nationalen und internationalen Teams geleitet hat.

Veröffentlichungen:

Pavinato L, Delle Vedove A, Carli D et al., CAPRIN1 haploinsufficiency causes a neurodevelopmental disorder with language impairment, ADHD and ASD, Brain, 2022: https://doi.org/10.1093/brain/awac278
Delle Vedove A, Natarajan J, Zanni G et al., CAPRIN1P512L causes aberrant protein aggregation and associates with early‑onset ataxia, Cellular and Molecular Life Sciences, 2022: https://doi.org/10.1007/s00018-022-04544-3