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Bei Hunger baut die Zelle um

Die Bedeutung der MTM1-vermittelten endosomalen PI(3)P-Signalgebung bei der mitochondrialen metabolischen Neuverdrahtung infolge der veränderten Form des ER als Reaktion auf Nährstoffmangel.

In mit Nährstoffen ausreichend versorgten Zellen bilden erste Endosomen Kontakte mit ER-Tubuli. Tubuläre ER-Membranen erleichtern die Mitochondrienspaltung und dienen als Quelle für die Bildung von Lipidtröpfchen. Die durch Nährstoffmangel ausgelöste Hydrolyse von endosomalem PI(3)P durch MTM1 reduziert die Membrankontakte zwischen dem tubulären ER und den Endosomen. Der daraus resultierende Verlust der peripheren ER-Tubuli induziert die Bildung mitochondrialer Netzwerke und die Lieferung von Fettsäuren an die Mitochondrien zur Aufrechterhaltung der zellulären Energieversorgung.

Körperzellen verbrennen Fettreserven, wenn die Versorgung mit Nährstoffen aus der Nahrung unterbleibt. Ein Team um Prof. Volker Haucke und Dr. Wonyul Jang vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) hat nun einen bislang unbekannten Mechanismus entdeckt, wie dieser „Hungerstoffwechsel“ in Gang kommt – und was ihn hemmen kann. Die Ergebnisse wurden im angesehenen internationalen Fachblatt Science veröffentlicht.

Damit unser Körper funktioniert, brauchen Zellen Energie – und zwar zu jeder Zeit. In Hunger-Phasen, während derer keine Nährstoffe aufgenommen werden, muss sich der zelluläre Stoffwechsel also umstellen, damit die Versorgung mit Energie sichergestellt bleibt.

Neue Erkenntnisse über diesen grundlegenden Mechanismus in der menschlichen Zelle gewannen Forschende des FMP, als sie eine seltene, erblich erworbene Muskelstörung untersuchten, die X-chromosomale Myotubuläre Myopathie (XLCNM). Bei dieser Erkrankung, die meist Jungen betrifft, ist ein Gen auf dem X-Chromosom defekt, was zu einer Entwicklungsstörung der Skelettmuskulatur führt. Diese Muskelschwäche ist so stark ausgeprägt, dass betroffene Kinder oft beatmet werden und im Rollstuhl sitzen müssen. Sie erreichen ein maximales Alter von etwa 10 bis 12 Jahren, in schweren Fällen sterben sie bereits nach der Geburt.

Der bei dieser Erkrankung vorliegende Gendefekt betrifft die Lipidphosphatase MTM1. Dieses Enzym steuert den Umsatz eines Signallipids des Endosoms, eine bläschenartige Struktur in der Zelle, die an der Sortierung von Nährstoffrezeptoren beteiligt ist. Als die Forschenden die Struktur mutierter humaner Muskelzellen aus Patienten studierten, entdeckten sie Veränderungen am Endoplasmatischen Retikulum (ER), einem Membrannetzwerk, das sich über die ganze Zelle erstreckt. In gesunden Zellen stellt das ER eine Mischung miteinander verbundener ausgedehnter, „plattgewalzter“ Membransäcke in der Nähe des Zellkerns und dünner Schläuche in der Zellperipherie dar. In den kranken Zellen ist dieses Gleichgewicht in Richtung der dünnen Schläuche verschoben und die Membransäcke sind zudem durchlöchert. Eine ganz ähnliche Anreicherung dünner ER-Schläuche und durchlöcherter Membransäcke fanden die Forscher in Zellen im Hungerzustand, in denen MTM1 genetisch inaktiviert wurde.

„Muskeln sind sehr hungersensibel, ihre Energiereserven halten nicht lange. Deswegen begannen wir zu vermuten, dass der Defekt in Zellen von XLCNM-Patienten mit einer inkorrekten Antwort auf Hunger zu tun haben könnte“, berichtet Volker Haucke. Bei Hunger entsteht in Zellen ein Mangel an Aminosäuren. Daraufhin, so fanden die Forschenden heraus, verändert das ER in gesunden Zellen seine Form, die äußeren dünnen Schläuche bilden sich zurück und werden zu flachen Membransäcken umgebaut. Diese veränderte Struktur des ER ermöglicht es den Mitochondrien – rundliche Organellen, die die Zelle mit Energie (Adenosintriphosphat, ATP) versorgen und mit dem ER in ständigem Kontakt stehen –, miteinander zu verschmelzen. „Solche etwa zehnfach vergrößerten ‚Riesen-Mitochondrien‘ sind viel besser in der Lage, Fette zu verstoffwechseln“, erläutert Dr. Wonyul Jang, Erstautor der Studie.

Sowohl der Transport als auch die Verbrennung der Fette funktioniert allerdings nicht in Zellen, in denen MTM1 defekt ist. Die Schlüsselrolle spielt dabei das von MTM1 gesteuerte Endosom. Bei Hunger lösen sich in der gesunden Zelle die Kontaktstellen zwischen Endosom und ER auf, das sich in der Folge verformen kann. In Zellen von XLCNM-Patienten bleibt die Kontaktablösung jedoch aus: Das Endosom „zieht“ am ER, so dass periphere Schläuche gebildet werden und die Membransäcke fenestrieren. Da periphere ER-Schläuche für die Teilung der Mitochondrien verantwortlich sind, bleiben diese in Abwesenheit von MTM1 klein. In dieser Form sind sie viel schlechter in der Lage, Speicherfette zu verbrennen, was zu einem massiven Energiemangel in der Zelle führt (1).

„Wir haben einen komplett neuen Mechanismus gefunden, wie verschiedene Kompartimente in der Zelle so miteinander kommunizieren, dass der Zellstoffwechsel je nach Nahrungsangebot umgebaut wird“, fasst Volker Haucke zusammen. Dabei zeigt die aktuelle Arbeit, dass Hungern für die Muskelzellen von XLCNM-Patienten absolut schädlich ist. Sie brauchen stetige Nahrungszufuhr, um einen Abbau der Muskelproteine zu Aminosäuren zu verhindern. In einer zweiten Arbeit (2) konnten Forschende des FMP zeigen, dass sich Defekte infolge des Verlustes der Lipidphosphatase MTM1 durch Inaktivierung des „entgegengesetzten“ Enzyms, der Lipidkinase PI3KC2B, grundsätzlich wieder reparieren lassen. Ob das bei XLCNM-Patienten funktionieren könnte, wird die Zukunft erweisen. Aktuell arbeitet ein Team um Volker Haucke daran, einen passenden Hemmstoff zu finden, der PI3KC2B ausschalten kann. Dass das grundsätzlich möglich ist, konnten sie bereits in Zellkultur nachweisen.

Publikationen:

(1) Jang, W., Puchkov, D., Samso, P., Liang, Y.T., Nadler-Holly, M., Sigrist, S.J., Kintscher, U., Liu, F., Mamchaoui, K., Mouly, V., Haucke, V. (2022) Endosomal lipid signalling reshapes the endoplasmic reticulum to control mitochondrial function. Science [advance online]

(2) Samso, P.*, Koch, P.A.*, Posor, Y., Lo, W.T., Belabed, H., Nazare, M., Laporte, J., Haucke, V. (2022) Antagonistic control of active surface integrins by myotubularin and phosphatidylinositol 3-kinase C2b in a myotubular myopathy model. Proc Natl Acad Sci USA 119, e2202236119