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Wie molekulare Signale verletzte Haut zum Reagieren bringen
Nur wenige Sekunden braucht es, dass eine Wunde in der Haut entsteht. Meist vergehen dann mehrere Stunden, bis Wundheilungsprozesse im Gewebe beobachtet werden können. Was genau passiert dort zwischen der Verletzung und deren Heilung? Das biomedizinische Forschungsteam von SHoW hat einen Erklärungsansatz für diese Frage erarbeitet. Wir möchten Ihnen in der Folge einen Einblick in aktuelle Ergebnisse der Wissenschaftler:innen geben. So viel vorweg: Biologie und Orchestermusik haben mitunter mehr gemeinsam als Sie denken.
Stimmengewirr und ein aufgeregtes Durcheinander kennzeichnen einen Konzertsaal, bevor ein klassisches Orchester auf die Bühne tritt. Unmittelbar vor dem Konzertbeginn dann das drastische Umschlagen der Geräuschkulisse: Eine erwartungsvolle Stille macht sich breit. Nur noch letzte, vereinzelte Huster sind zu hören. Dann betreten die Musiker:innen den Raum. Sie nehmen ihre Plätze ein, so, wie es die Orchesterordnung vorsieht. Auch die Verteilung der Rollen, die die einzelnen Instrumente übernehmen, ist innerhalb des Orchesters klar abgestimmt. Wenn schließlich noch der/die Dirigent:in dazukommt, ist es endlich so weit: Das Konzert kann beginnen. Musik bitte!
Was aber hat diese Situation mit der biomedizinischen Forschung bei SHoW zu tun? In welchem Zusammenhang stehen nun Wunde, Blutung, Heilungsprozess und ein klassisches Konzert? Wir hoffen nun auf erwartungsvolle Stille Ihrerseits. Es folgt: ein mikroskopisch genauer Einblick in das Gewebe der Haut im Ausnahmezustand, ausgelöst durch eine Verletzung.
Zelluläre Antwort auf Verwundung
Wird die Haut durch eine Verletzung geschädigt, folgt unmittelbar darauf die Blutung. Das Tempo der Vorgänge dabei ist in Presto gehalten, wenn wir musikalisch bleiben möchten. Bis dann die Prozesse der Wundheilung zu beobachten sind, vergeht allerdings einiges an Zeit. Was genau zwischen Verwundung und Heilung in der Haut passiert und wie die Zellen dort auf diese Veränderung reagieren, ist aktuell noch weitgehend unbekannt. Die biomedizinischen Forscher:innen von SHoW setzen sich daher intensiv mit eben jenem Zeitraum auseinander, der zwischen der Gewebeschädigung und den beobachtbaren Heilungsprozessen liegt. Nadja Ring, Helene Dworak und ihre Kolleg:innen in der Arbeitsgruppe von Mikolaj Ogrodnik können bislang zeigen, dass infolge einer Verletzung in der Haut von Schweinen das ribosomale Protein S6, kurz rpS6, innerhalb von Minuten in einer klar definierten Zone um die Wunde aktiviert wird. Das geschieht, indem in den Zellen dieser Aktivierungszone an das Protein rpS6 eine Phosphatgruppe angehängt wird. Dieser Vorgang wird als Phosphorylierung bezeichnet. Sie erfüllt eine wichtige regulierende Funktion für die biologischen Abläufe innerhalb von Zellen. Mit der Aktivierung von rpS6 signalisieren die gesunden Zellen in der Wundumgebung kurz nach der Verletzung dem Gewebe, dass die vorhandene Situation eine nicht- alltägliche Reaktion erfordert. Das Gewebe setzt diese Reaktion schließlich in Form von Wundheilung um.
Biologisch-musikalische Parallelitäten
Wie in einem gut eingespielten klassischen Orchester übernehmen die Zellen im Gewebe der geschädigten Schweinehaut ihre jeweils spezifischen Rollen. Die Orchestermusiker:innen bringen in Interaktion miteinander und gut abgestimmt aufeinander die Noten auf den Blättern vor sich als Musik zum Klingen. Das Gewebe wiederum interpretiert die Aktivierung von rpS6 in den gesunden Zellen, die die Wunde in der Haut von Schweinen umgeben, und übersetzt diese Signale in Wundheilung. Sowohl bei der Verletzung als auch beim Orchesterspiel hängt der Erfolg stark von der funktionierenden Kommunikation zwischen den Mitwirkenden (Zellen bzw. Musiker:innen) ab. Wenn sie gelingt, stehen am Ende eine verheilte Wunde in der Haut oder eben ein gelungenes Konzert.
In der Folge setzen wir hier rein biologisch fort. Das Orchester tritt ab, Musik und Applaus sind verhallt. Vorhang auf für weitere Details aus unserer biologischen Forschungsgruppe.
Aktivierungszone unabhängig von Wundursache
Im Rahmen ihrer Experimente dokumentieren die Wissenschaftler:innen, dass die Aktivierung von rpS6 in der Haut von Schweinen in unterschiedlichen Wundtypen erfolgt. Das heißt, dieser eindeutig abgegrenzte Bereich zeigt sich dort jeweils im Umfeld des geschädigten Gewebes, unabhängig davon, wie die Verletzung passiert ist. Bei einer Brandwunde etwa verläuft die Aktivierungszone parallel zur Oberfläche. Sie liegt unterhalb jenes Hautareals, in dem die Zellen infolge der Verbrennung absterben. Der Tod dieser Zellen erfolgt unkontrolliert, das Gewebe steht dort unter extremem Stress. Dabei tritt das Protein HMGB1 aus dem Zellkern in das Zellplasma aus, ein körpereigener Alarmstoff, der die pathologische Schädigung anzeigt. Unter dem Bereich wiederum, in dem HMGB1 nachgewiesen werden kann, befindet sich eine Zone mit aktiver Caspase 3. Dieses Enzym ist wesentlich daran beteiligt, wenn eine Zelle kontrolliert abgebaut wird.. Die Zelle stirbt geordnet ab, ohne benachbarte Zellen in Mitleidenschaft zu ziehen. Der Bereich in der Schweinehaut, in dem in einer Brandwunde das Protein rpS6 aktiviert wird, beginnt eben dort, wo der Zelltod kontrolliert passiert. Dieser Bereich geht auch noch tiefer in das Gewebe hinein, was aufzeigt, dass nicht nur der absterbende Teil aktiv ist, sondern auch die gesunden Zellen.
Wird die Haut eines Schweins durch einen Schnitt verletzt, verläuft die rpS6-Aktivierungszone entlang dieses Schnitts. Das heißt, die gesunden Zellen reagieren auch hier parallel zur Wunde. Sorgt wiederum ein Nadelstich für einen Gewebeschaden, findet sich die Aktivierungszone unmittelbar rund um den Stichkanal.
Von Schweinen, Mäusen und Menschen
Nicht nur für die Haut von Schweinen können die Wissenschaftler:innen nachweisen, dass knapp nach dem Zeitpunkt einer Verletzung gesunde Zellen in der Umgebung von Wunden dem Gewebe signalisieren, dass es reagieren muss. Auch bei Mäusen bildet sich eine klar definierte Zone aus, in der rpS6 aktiviert wird. Bei diesen Säugetieren ist es für die biomedizinischen Forscher:innen möglich, die Prozesse in der Haut über längere Zeitpunkte hinweg zu beobachten. Dabei ist erkennbar, dass sich rpS6 auch in den Keratinozyten findet. Diese spezialisierten Zellen der obersten Hautschicht bilden die epitheliale Zunge und damit jenen Teil des Gewebes, der von den Rändern der Verletzung in die Wunde einwächst. Die epitheliale Zunge bedeckt schließlich die gesamte Wunde. Darüber hinaus sind in der rpS6-Aktivierungszone in der Haut von Mäusen verstärkt Marker präsent, die wichtige Prozesse der Wundheilung kennzeichnen. Zu diesen Prozessen zählen etwa die Zellvermehrung, die Bildung von Gefäßen und die Seneszenz. Werden Zellen seneszent, können sie sich nicht mehr teilen bzw. vermehren, weil in ihnen der Zellzyklus stillsteht. Seneszente Zellen kommen nach einer Verletzung in der Haut von Mäusen ausschließlich in jenem eindeutig definierten Gewebereich vor, in dem rpS6 aktiviert ist.
Und nicht zuletzt konnten die biomedizinischen Wissenschaftler:innen von SHoW auch für menschliche Haut dokumentieren, dass sich dort infolge einer Verletzung eine klar definierte Zone mit aktiviertem rpS6 im Umfeld der Wunde ausbildet. Diese Ergebnisse sind, wie schon die Nachweise dieser Reaktion im Gewebe von Schweinen und Mäusen, sehr vielversprechend für die weitere Erforschung der Wundheilung.
Wissenschaftlicher Veröffentlichungsprozess läuft
Nadja Ring, Helene Dworak, und ihre Kolleg:innen unter Leitung von Mikolaj Ogrodnik, PhD arbeiten derzeit intensiv an der Publikation ihrer Erkenntnisse in einem wissenschaftlichen Fachmagazin. Im Vorfeld haben die Forscher:innen ihren Erklärungsansatz dafür, was zwischen Verwundung und Heilung in der Haut passiert, bereits auf der Online-Plattform „bioRxiv“ veröffentlicht. Dort finden sich Forschungsbeiträge, die den aufwändigen Beurteilungsprozess hin zur akademisch anerkannten Publikation noch nicht durchlaufen haben. (Text: Nadja Ring, Mikolaj Ogrodnik, Helene Dworak, Conny Schneider & Edeltraud Günthör, 24.01.2023)