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Vitamin D: auf Grundversorgung achten
Studienlage zur Schutzwirkung bei COVID-19 weiterhin unklar
Altdorf – Ältere, Bewohner von Pflegeeinrichtungen und chronisch kranke Menschen, die sich nur selten im Freien aufhalten, sollten einen ausgeglichenen Vitamin D-Spiegel anstreben, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE). Die Fachgesellschaft rät, gegebenenfalls täglich Vitamin D in einer Dosierung von 800 bis 2000 IE (internationale Einheiten) einzunehmen. Denn neben der bekannten positiven Wirkung von Vitamin D auf den Knochen- und Mineralhaushalt ist das sogenannte Sonnenvitamin an vielen wichtigen Prozessen des Immunsystems beteiligt. So lieferten Studien Hinweise darauf, dass ein unzureichender Vitamin D-Serumspiegel mit einem erhöhten Risiko für akute Atemwegsinfekte einhergeht. Ebenso gibt es Anzeichen, dass es das Risiko für Diabetes, einige Krebsarten und Infektionen senken könnte. Dies gilt auch für SARS-CoV-2. Hier wird ein Zusammenhang zwischen einem Vitamin D-Mangel und einem erhöhten Risiko, an COVID zu erkranken sowie einen schweren Verlauf zu erleiden, diskutiert. Für alle diese Beobachtungen sind die Kausalitäten jedoch bislang nicht eindeutig belegt – es könnte sich auch um unabhängige Assoziationen, zurückzuführen auf eine andere gemeinsame Ursache, handeln. Bis belastbare Studiendaten vorliegen, sollten Betroffene vorsorglich auf eine gute Grundversorgung mit Vitamin D achten, so die DGE.
Der Organismus bildet unter Einfluss von Sonnenlicht das lebenswichtige Vitamin. „Dafür reicht es normalerweise schon, mehrfach täglich, auch nur kurz, mit unbedecktem Gesicht und Händen ins Freie zu gehen, auch bei schlechtem Wetter“, sagt Professor Dr. med. Helmut Schatz, Direktor a. D. der Medizinischen Universitätsklinik Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum. Zu einem geringeren Anteil wird es auch mit der Nahrung, etwa fettem Fisch, aufgenommen. Der Körper wandelt das Vitamin D dann in das aktive Hormon 1,25- Vitamin D3 um. Die Versorgungslage in der Bevölkerung ist indes unklar: „Über einen möglichen Vitamin D-Mangel gibt es keinen einheitlichen Konsens“, sagt Privatdozent Dr. med. Stephan H. Scharla aus Bad Reichenhall und Sprecher der Sektion Knochen- und Mineralstoffwechsel der DGE. Die Bestimmung des Vitamin D-Status erfolgt durch die Messung von 25-Hydroxy-Vitamin-D, kurz 25(OH)D, im Blutserum. Er erläutert: „Die meisten Experten bezeichnen eine Serum-Konzentration des 25(OH)D von > 50 nmol/l (20 ng/ml) als ausreichend. Bei Werten von 25 bis 50 nmol/l (10 bis 20 ng/ml) spricht man von einer suboptimalen Versorgung (Vitamin D-Insuffizienz), und bei Werten von < 25 nmol/l (< 10 ng/ml) von einem Vitamin D-Mangel.“ Einzelne Laborwerte seien jedoch mitunter nicht aussagekräftig. Oft müssten sie im Zusammenhang mit anderen Werten und im zeitlichen Verlauf beurteilt werden. „Denn es kann individuell saisonale Schwankungen ohne Krankheitswert geben“, so Scharla.
Studien zeigen widersprüchliche Ergebnisse zu COVID-19 und Vitamin D
Es gibt Hinweise, dass Vitamin D von Bedeutung für das Immunsystem ist: „Einerseits wird das angeborene Immunsystem gestärkt und etwa die Fähigkeit von Makrophagen (Fresszellen) verbessert, Viren und Bakterien abzuwehren. Andererseits wird auch das erworbene Immunsystem moduliert, wobei sowohl die Aktivität von Immunzellen (T-Zellen) als auch die Bildung von Botenstoffen (Interleukine, Tumornekrosefaktor-alpha) beeinflusst werden“, sagt Scharla (1). Dies ist rund um die Corona-Pandemie von großem Interesse. So wurde in epidemiologischen Studien beobachtet, dass ein Vitamin D-Mangel mit dem Auftreten einer COVID-19-Infektion und dem Schweregrad ihres Verlaufs assoziiert ist (2). „Jedoch zeigten sich bei COVID-19-Risikogruppen wie Adipösen oder Menschen mit Diabetes mellitus unabhängig von der Infektion niedrige Vitamin D-Spiegel (< 20 ng/ml). Sie könnten auch aus anderen Gründen ein erhöhtes Risiko für COVID-19 haben“, gibt Scharla zu bedenken. Ebenso wäre es andersherum denkbar: COVID-19 kann über einen verstärkten Verbrauch zu Vitamin D-Mangel führen. „Da bei den vorliegenden Studien der Vitamin D-Wert erst bei der Erkrankung gemessen wurde, ist eine Aussage über den Ausgangswert nicht möglich.“
Aussagekräftiger sind Interventionsstudien, also Studien, in denen Teilnehmende geplant verschiedenen Fragestellungen zugeordnet wurden. Hier konnte in kleineren Untersuchungen ein positiver Effekt einer Vitamin D-Gabe auf den Krankheitsverlauf beobachtet werden. So war es möglich, mit einer 25(OH)D-Behandlung den Anteil der Covid-19-Patienten, die eine Intensiv-Behandlung benötigten, zu senken (3). Auch in einer kleinen randomisierten, doppelblinden Studie bei Mitarbeitenden im Gesundheitswesen war die Zahl der Covid-19-Erkrankungen im Zusammenhang mit einer Vitamin D-Einnahme verringert (4). Doch die Ergebnisse blieben widersprüchlich, so Scharla. So war in einer großen bevölkerungsbasierten englischen Studie trotz Vitamin D-Ergänzung keine Reduktion der COVID-19-Infektionen nachweisbar (5). Die Teilnehmenden der englischen Studie litten jedoch nicht alle an Vitamin D-Mangel, und es wurde auch nicht der Schweregrad der Covid-19-Erkrankung untersucht.
„Nach wie vor fehlen uns durch Studiendesign und -durchführung überzeugende Studien. Deshalb können wir derzeit keine generelle Empfehlung für das Vorbeugen einer SARS-CoV-2-Infektion oder eines schweren Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung durch die Einnahme von Vitamin D-Präparaten geben“, sagt Scharla.
Nachdem aber Vitamin D in der empfohlenen Dosierung äußerst selten Nebenwirkungen habe und auch kostengünstig sei, könne der Ausgleich eines Vitamin D-Mangels insbesondere für die gefährdeten Personengruppen grundsätzlich empfohlen werden.
Vitamin D: Tägliche Einnahme ist besser als schubweise hohe Dosierungen
Vitamin D gibt es als Tabletten, Tropfen, Weich- und Hartkapseln. Da Vitamin D ein fettlösliches Vitamin ist, kann es vom Körper nur zusammen mit Fetten aufgenommen werden. Deshalb rät Scharla grundsätzlich zur Einnahme im Rahmen einer fetthaltigen Mahlzeit – auch wenn einige Präparate bereits mit Öl kombiniert sind. Zudem gewährleiste die tägliche Einnahme von 800 bis 2000 I.E. eine bessere Bioverfügbarkeit und Wirkung als etwa die schubweise Zufuhr hochdosierter Präparate.
„Obwohl die Synthese in der Haut sehr effizient ist – eine kurze Sonnenexposition von Armen und Gesicht entspricht etwa der Aufnahme von 200 IE – lässt sich die Wirksamkeit beim Einzelnen nur schwer vorhersagen und hängt von Hauttyp und Jahreszeit ab. Auch ist die UV-abhängige Vitamin D-Bildung der Haut bei Menschen über 70 Jahre verringert“, sagt Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg und Pressesprecher der DGE. „Wir möchten betonen, dass die Vitamin D-Einnahme andere etablierte Präventions- und Therapiemaßnahmen insbesondere auch bezüglich einer COVID-19 Infektion nicht ersetzt. Nach dem Ende der Corona-Auflagen gewinnen individuelle Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen an Bedeutung.“
Quellen:
1) Scharla, S.H. Pleiotrope Wirkung von Vitamin D mit Berücksichtigung von COVID-19. J. Miner. Stoffwechs. Muskuloskelet. Erkrank. 28, 2–11 (2021). https://doi.org/10.1007/s41970-021-00146-w
(2) Dissanayake HA et al.: Prognostic and Therapeutic Role of Vitamin D in COVID-19: Systematic Review and Meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab. 2022; 107:1484-1502.
(3) Entrenas Castillo M et al.: Effect of calcifediol treatment and best available therapy versus best available therapy on intensive care unit admission and mortality among patients hospitalized for COVID-19: A pilot randomized clinical study. J Steroid Biochem Mol Biol. 2020; 203:105751.
(4) Villasis-Keever MA et al.: Efficacy and Safety of Vitamin D Supplementation to Prevent COVID-19 in Frontline Healthcare Workers. A Randomized Clinical Trial. Arch Med Res. 2022; 53:423-430.
(5) Jolliffe DA et al.: Effect of a test-and-treat approach to vitamin D supplementation on risk of all cause acute respiratory tract infection and covid-19: phase 3 randomised controlled trial (CORONAVIT). BMJ. 2022; 378: e071230.
Weitere Informationen:
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Interessenkonflikte:
Privatdozent Dr. med. Stefan Scharla gibt keine Interessenkonflikte an.
Professor Dr. med. Stephan Petersenn gibt keine Interessenkonflikte an.