Das GesundheitsPortal für innovative Arzneimittel, neue Therapien und neue Heilungschancen
Darmbakterien beeinflussen das Wachstum von Pilzen
Bestimmte Bakterienarten weisen auf hohen Anteil von Candida-Hefen im Darmmikrobiom hin
Die Analyse der Stuhlproben erfolgt unter anderem anhand von DNA-Analysen, die mithilfe bioinformatischer Methoden ausgewertet werden. Quelle: Anna Schroll/Leibniz-HKI
Welche Bakterien im Darm vorhanden sind, gibt Aufschluss darüber, wie groß die Mengen von Pilzen der potentiell krankmachenden Gattung Candida sind. Darunter sind überraschenderweise auch Milchsäurebakterien, die für ihre schützende Wirkung vor Pilzinfektionen bekannt sind. Die Ergebnisse der Forschenden des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI) und ihrer Kooperationspartner aus Dänemark und Ungarn fügen einen weiteren Puzzlestein zum Verständnis des menschlichen Darmmikrobioms hinzu.
Das menschliche Darmmikrobiom ist eine extrem komplexe Lebensgemeinschaft, in der sich verschiedene Mikroorganismen gegenseitig in Schach halten. Kommt es durch Antibiotika oder andere Umwelteinflüsse zu einem Ungleichgewicht, können sich jedoch einzelne Arten ausbreiten und zu einer Infektion führen. Pilze der Gattung Candida kommen beispielsweise im Darm vieler gesunder Menschen vor. Sie sind meist harmlos, können jedoch auch gefährliche systemische Infektionen auslösen.
Dieses Zusammenspiel im Darm zu untersuchen ist schwierig. Die mehrere hundert Bakterien- und Pilzarten lassen sich nur teilweise im Labor kultivieren, viele sind noch gar nicht bekannt. Forschende des Leibniz-HKI versuchen deswegen unter anderem mit Metagenom-Studien, mehr Licht ins Dunkel des Darms zu bringen.
Für die jetzt in Nature Communications veröffentlichte Studie untersuchten sie Stuhlproben von 75 Krebspatienten und stellten fest, dass bestimmte Bakterienarten immer dann vermehrt auftreten, wenn gleichzeitig die Menge an Pilzen der Gattung Candida hoch ist. „Mit diesen Daten haben wir ein Computermodell entwickelt, das bei einer anderen Patientengruppe mit einer Genauigkeit von circa 80 Prozent die Candida-Menge allein anhand der Bakterienarten und -mengen vorhersagen konnte“, erläutert Bastian Seelbinder, Erstautor der Studie. Zu diesen Bakterien gehörten vor allem sauerstofftolerante Arten.
Überraschender Fund
Seelbinder forscht in der Abteilung Microbiome Dynamics von Gianni Panagiotou am Leibniz-HKI, die sich intensiv mit dem Darmmikrobiom auseinandersetzt. Überraschend für die Forschenden war weniger, wie gut die Vorhersage der Menge an Pilzen anhand der vorhandenen Bakterienarten funktionierte, sondern vielmehr, welche Bakterien mit hohen Pilzmengen korrelierten. „Wir haben vermehrt Bakterienarten gefunden, die Milchsäure produzieren, darunter Lactobacillus-Arten“, erklärt Seelbinder. Ein Fund, mit dem er nicht gerechnet hatte. „Ich habe das erst kaum glauben können und deshalb mehrfach überprüft, immer mit demselben Ergebnis.“
Der Grund für seine Überraschung: Mehrere Studien bescheinigen Milchsäurebakterien eine schützende Wirkung gegen Pilzinfektionen. Eine davon wurde im vergangenen Jahr von Panagiotous Gruppe ebenfalls im Journal Nature Communications veröffentlicht. „Das Ergebnis zeigt wieder einmal, wie komplex das menschliche Darmmikrobiom ist und wie schwierig sich die Wechselwirkungen verschiedener Mikroorganismen entschlüsseln lassen“, so Panagiotou.
Die Vermutung der Forschenden: Milchsäurebakterien insbesondere der Gattung Lactobacillus begünstigen zwar die Vermehrung von Candida, machen den Pilz aber gleichzeitig weniger virulent. Das könnte daran liegen, dass Candida-Arten ihren Stoffwechsel auf von Milchsäurebakterien produziertes Laktat umstellen können. Sie haben damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Pilzen wie Saccharomyces cerevisiae, wie die Forschenden in zusätzlichen Experimenten herausfanden. Die Umstellung des Stoffwechsels führt aber anscheinend auch dazu, dass Candida in der meist harmlosen kugelförmigen Hefeform bleibt, anstatt Pilzhyphen zu bilden, die in die Darmschleimhaut eindringen könnten.
Strategien für Risikopatienten
„Es gibt außerdem die Vermutung, dass bestimmte Gruppen von Lactobacillus Arten unterschiedliche Auswirkungen haben könnten“, sagt Seelbinder. Um das zu untersuchen, sollen in einem nächsten Schritt noch genauere Genomanalysen der Bakterien durchgeführt werden.
„Für die aktuelle Studie haben wir Stuhlproben von Krebspatienten untersucht, die besonders gefährdet für Pilzinfektionen sind“, erläutert Panagiotou. Für weitere Untersuchungen könnten Proben gesunder Probanden einbezogen werden, um langfristig Strategien für Risikopatienten auf der Grundlage ihres Mikrobioms zu entwickeln.
Für ihre Untersuchungen kooperierten die Forschenden des Leibniz-HKI unter anderem mit Teams des Korányi National Institute of Pulmonology in Ungarn, der Technischen Universität Dänemarks und des Universitätsklinikums Jena.
Die Studie wurde unter anderem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs FungiNet (Transregio) und des Exzellenzclusters Balance of the Microverse sowie durch die Novo Nordisk Foundation und das ungarische National Research, Development and Innovation Office unterstützt.
Originalpublikation
Seelbinder B, Lohinai Z, Vazquez-Uribe R, Brunke S, Chen X, Mirhakkak M, Lopez S, Dome B, Megyesfalvi Z, Berta, J, Galffy G, Dukla E, Wellejus A, Weiss GJ, Bauer M, Hube B, Sommer MOA, Panagiotou G (2023). Candida expansion in the human gut is associated with an ecological signature that supports growth under dysbiotic conditions. Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-38058-8
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler*innen des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet entwickelt.
Das Leibniz-HKI verfügt über acht wissenschaftliche Abteilungen und drei Forschungsgruppen, deren Leiter*innen überwiegend berufene Professor*innen der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut. Gemeinsam mit der FSU betreibt das Leibniz-HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 Promovierende.
Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics und des Leibniz-Zentrums für Photonik in der Infektionsforschung. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
www.leibniz-hki.de
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.
Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen knapp 21.000 Personen, darunter fast 12.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei zwei Milliarden Euro.
www.leibniz-gemeinschaft.de