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Leibniz-Wirkstoff des Jahres 2023 ist ein Tuberkulose-Antibiotikum

BTZ-043 wirkt auch gegen resistente Bakterien

Das neue Antibiotikum BTZ-043 hat einen völlig neuen Wirkmechanismus und gehört zu einer neuen Substanzklasse. Es ist aktuell das einzige neue Antibiotikum aus Deutschland, das in klinischen Studien getestet wird. Der am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI) in Jena entdeckte Wirkstoff wird seit 2014 in Zusammenarbeit mit dem Tropeninstitut am LMU Klinikum München und der Hapila GmbH in Gera entwickelt. BTZ-043 wurde nun im Rahmen der Leibniz-Wirkstofftage in Braunschweig zum Leibniz-Wirkstoff des Jahres 2023 gekürt.

Die Molekülstruktur des Wirkstoffs BTZ-043, ein neues Antibiotikum gegen Tuberkulose. Quelle: Florian Kloß

Während Tuberkulose in Deutschland und anderen Industrienationen relativ selten geworden ist, erkranken vor allem in ärmeren Ländern jedes Jahr rund 10 Millionen Menschen an der bakteriellen Infektion. Tuberkulose ist damit die weltweit häufigste bakterielle Todesursache. Jährlich sterben daran nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) circa 1,6 Millionen Menschen, insbesondere in Südostasien, Afrika und der Westpazifik-Region. Besonders gefährlich ist eine Infektion für Menschen mit geschwächtem Immunsystem, vor allem HIV-Infizierte sind betroffen.

Problematisch ist neben einer mangelnden medizinischen Versorgung in ärmeren Ländern die zunehmende Zahl an Resistenzen gegen gängige Tuberkulose-Therapien. Gleichzeitig werden kaum neue Antibiotika entwickelt. Die am Leibniz-HKI entdeckten und entwickelten Nitrobenzothiazinone (BTZs) sind eine sehr wirksame Klasse von Antibiotika gegen den Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis, einschließlich resistenter Stämme. Als erster Vertreter dieser Substanzfamilie erlangte BTZ-043 für seine Wirkung gegen den Tuberkuloseerreger weltweiten Patentschutz. „Der Wirkstoff bindet irreversibel an ein Enzym, das die Mykobakterien zum Aufbau der Bakterienzellwand benötigen“, erklärt Florian Kloß. Er war als Leiter der Transfergruppe Antiinfektiva am Leibniz-HKI maßgeblich an der Entwicklung des Wirkstoffs beteiligt.

Erste klinische Studien erfolgreich

Die jetzt als Wirkstoff des Jahres gekürte Substanz hat bereits erfolgreich erste klinische Studien durchlaufen. Eine in Deutschland durchgeführte Phase-I-Studie an gesunden Freiwilligen hatte eine gute Verträglichkeit von BTZ-043 gezeigt. Die darauffolgende klinische Studie der Phase IIa wurde an Tuberkulosepatienten in Kapstadt (Südafrika) durchgeführt. Sie bestätigte BTZ-043 als sicher und wirksam – ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung eines neuen Medikaments. Derzeit befinden sich weitere klinische Phase II-Studien in Planung, die BTZ-043 in Kombination mit verschiedenen Standard-Antituberkulotika untersuchen. Damit ist es nun greifbar geworden, dass BTZ-043 eines der herkömmlichen, oft resistenzanfälligen Antibiotika in einer Kombinationstherapie ersetzen und die Behandlungsdauer der Tuberkulose verkürzen könnte.

Für die präklinischen und klinischen Studien kooperiert das Leibniz-HKI seit 2014 eng mit dem Tropeninstitut am LMU Klinikum München. Sie werden durch den Direktor des Tropeninstitutes, Professor Michael Hoelscher, und sein Team beauftragt und begleitet. Die Herstellung der hochwirksamen Substanz erfolgt bei einem mittelständischen pharmazeutischen Unternehmen, der Hapila GmbH in Gera.

Die mehrere Millionen Euro teure Medikamentenentwicklung ist nur durch gemeinsame Finanzierung von öffentlicher und privater Hand möglich: Insbesondere die beiden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbünde InfectControl und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) sind an der Wirkstoffentwicklung beteiligt. Die klinischen Studien finden im Rahmen des über die European & Developing Countries Clinical Trials Partnership (EDCTP) geförderten europäisch-afrikanischen Konsortiums PanACEA II und des Forschungskonsortiums „Academia and Industry United Innovation and Treatment for Tuberculosis“ (UNITE4TB) statt. Letzteres wird auf europäischer Ebene von der Innovative Medicines Initiative (IMI) getragen, einer öffentlich-privaten Kooperation, die heute unter dem Namen „Innovative Health Initiative“ (IHI) firmiert, auf deutscher Ebene durch das BMBF*.

Neben Florian Kloß wurden Sina Gerbach und Freddy Bernal mit dem Preis geehrt. Während Kloß vor allem die chemischen Aspekte der präklinischen und klinischen Entwicklung von BTZ-043 leitete und an mehreren Patentanmeldungen und Veröffentlichungen beteiligt war, leitete Gerbach die Auftragsforschung zur Medikamentensicherheit und zu den von der Zulassungsbehörde geforderten In-vitro-Studien zu möglichen Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln. Bernal entwickelte Computermodelle, um den Zusammenhang zwischen der Struktur von Benzothiazinonen, ihren physikalischen Eigenschaften und ihrer Effektivität zu untersuchen.

*Weitere Informationen zu BTZ-043 und der Finanzierung: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/btz-043-moglicher-gamechanger-im-kampf-gegen-tuberkulose-16225.php

Das Leibniz-HKI

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler*innen des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet entwickelt.

Das Leibniz-HKI verfügt über acht wissenschaftliche Abteilungen und drei Forschungsgruppen, deren Leiter*innen überwiegend berufene Professor*innen der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut. Gemeinsam mit der FSU betreibt das Leibniz-HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 Promovierende.

Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics und des Leibniz-Zentrums für Photonik in der Infektionsforschung. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
www.leibniz-hki.de

Die Leibniz-Gemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.

Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen knapp 21.000 Personen, darunter fast 12.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei zwei Milliarden Euro.
www.leibniz-gemeinschaft.de