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Neuer, vielversprechender Ansatz in der Gentherapie: Schädliche Mutationen erfolgreich überlisten
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Zoya Ignatova von der Universität Hamburg hat eine neuartige Strategie entwickelt, mittels künstlich konstruierter Transfer-RNAs (tRNA) genetisch bedingte Mutationen zu unterdrücken. Diese Mutationen können zu schweren Krankheiten führen. Die Tests, die erfolgreich an Patientenzellen und Mäusen durchgeführt wurden, könnten einen neuen Ansatz zur Bekämpfung verschiedener und heute unheilbarer Krankheiten liefern. Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
Bei der Proteinsynthese werden in den Zellen des menschlichen Körpers verschiedene lebenswichtige Proteine nach einem Bauplan hergestellt, der in der Desoxyribonukleinsäure (DNA) gespeichert ist. Im ersten Schritt, der Transkription, wird die Information für das entsprechende Protein im Zellkern ausgelesen und auf eine Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) umgeschrieben. Die RNA ist genau wie die DNA eine Nukleinsäure, die aber im Gegensatz zur DNA den Zellkern verlassen und den genetischen Bauplan für die Herstellung des Proteins zu den Ribosomen, den Proteinbiosynthesemaschinen der Zellen, transportieren kann.
Dort findet der zweite Schritt statt: die Translation. Die mRNAs werden von den Ribosomen mithilfe der tRNAs in die gewünschten Proteine übersetzt. Dabei lagern sich die funktionellen Einheiten der tRNA, die sogenannten Anticodons, an die komplementär passenden funktionalen Einheiten der mRNA an, den sogenannten Codons. Um zu markieren, wo das zu synthetisierende Protein anfängt und wo es endet, gibt es auf dem mRNA-Bauplan spezielle Start- und Stoppmarkierungen, die Start- und Stoppcodons.
Vererbbare Nonsense-Mutationen wandeln ein normales Codon auf der mRNA in ein Stoppcodon um, was ähnlich dem Abreißen eines Bauplanteiles dramatische Auswirkungen hat, denn die Proteinsynthese stoppt dann vorzeitig und es entsteht ein unvollständiges Protein. Da das notwendige Protein nicht hergestellt werden kann, fehlt den betroffenen Menschen auch die damit verbundene biologische Funktion. Die Folge sind verheerende und bisher unheilbare Krankheiten wie die spinale Muskelatrophie, Mukoviszidose, Muskelschwund oder auch Wachstumshormonmangel. Schätzungsweise elf Prozent aller Erbkrankheiten werden durch Nonsense-Mutationen verursacht.
Einige Mikroorganismen begegnen diesen Mutationen mit sogenannten Suppressor-tRNAs, die durch Mutation in der tRNA entstehen und die Zelle befähigen, die mRNA trotz neuer mutationsbedingter Stoppcodons vollständig auszulesen. Menschliche Zellen verfügen nicht über einen solchen Reparaturmechanismus. Diesen Ansatz aber hat sich das internationale Forschungsteam unter Leitung der Biochemikerin und Letztautorin Prof. Dr. Zoya Ignatova vom Fachbereich Chemie der Universität Hamburg zunutze gemacht und eine neuartige Strategie entwickelt, um tRNAs in effiziente Suppressoren von Nonsense-Mutationen umzuwandeln.
Die Forschenden generierten zuerst verschiedene Suppressor-tRNAs am Computer, die sie anschließend synthetisierten und ausführlich testeten. Das Ergebnis waren schließlich Suppressor-tRNAs, die an den Ribosomen funktionieren und mutationsbedingte Stoppcodons effektiv unterdrückten, wodurch der Syntheseprozess nicht unterbrochen und das Protein vollständig aufgebaut wurde. „Unser Ziel ist es, das vorzeitige mutationsbedingte Stoppcodon zu überlisten und dabei mit unseren Suppressor-tRNAs die normalen Stoppsignale möglichst wenig zu beeinflussen“, sagt die Erstautorin Dr. Suki Albers vom Fachbereich Chemie der Universität Hamburg.
Das größte Problem für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist aber der Transport, denn dabei werden die tRNAs im Körper, aber auch in den Zellen abgebaut. „Deshalb haben wir uns mit dem US-amerikanischen Unternehmen Arcturus Therapeutics, einem führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Gentherapien und RNA-basierten Impfstoffe, zusammengetan“, erklärt Ignatova. Arcturus hat Lipid-Nanopartikel entwickelt, in die die tRNAs eingekapselt werden können und dadurch gut geschützt sind, aber gleichzeitig ihre volle Wirkung entfalten können. Ähnliche Lipid-Nanopartikel wurden in den von BioNtech/Pfizer oder Moderna entwickelten Anti-Covid-Impfstoffen verwendet.
„In der aktuellen Studie konnten wir zeigen, dass unsere in Lipid-Nanopartikel eingekapselten Suppressor-tRNA in Mäusen und in aus Patienten stammenden Zellen einen hohen klinischen Nutzen aufweisen und die Funktion des Krankheitsproteins wiederherstellen konnten“, sagt Ignatova. „Damit haben wir einen neuartigen Gentherapieansatz, der genetische Krankheiten auf der mRNA-Ebene korrigiert und den Weg zu einer neuen Klasse von Therapeutika mit hohem Sicherheitsprofil und ohne Nebenwirkungen eröffnet.“
Für die entwickelten tRNA-Technologien besitzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg bereits zwei erteilte Patente und drei neue Anmeldungen, von denen die Firma Arcturus bereits zwei lizensiert hat.
Originalpublikation:
Suki Albers, Elizabeth C. Allen, Nikhil Bharti, Marcos Davyt, Disha Joshi,, Carlos G. Perez-Garcia, Leonardo Santos, Rajesh Mukthavaram, Miguel Angel Delgado-Toscano, Brandon Molina, Kristen Kuakini, Maher Alayyoubi, Kyoung-Joo Jenny Park, Grishma Acharya, Jose A. Gonzalez, Amit Sagi, Susan E. Birket, Guillermo J. Tearney, Steven M. Rowe, Candela Manfredi,, Jeong S. Hong,, Kiyoshi Tachikawa, Priya Karmali, Daiki Matsuda, Eric J. Sorscher, Pad Chivukula, Zoya Ignatova: Engineered tRNAs suppress nonsense mutations in cells and in vivo. Nature (2023): https://doi.org/10.1038/s41586-023-06133-1