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Komplexe Zuckerstrukturen auf der Zelloberfläche sollen Aufschluss über die Entstehung von Krebs geben
Die Glycocalyx ist eine hochkomplexe Struktur aus Zuckern, die jede Zelle im Körper umgibt. Wie die molekulare Organisation der Glycocalyx aussieht, wie sie durch genetische Veränderungen beeinflusst wird und wie diese auf zelluläre Prozesse rückkoppeln, ist Gegenstand der Forschung von Leonhard Möckl, Leiter der Forschungsgruppe ›Physikalische Glycowissenschaften‹ am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen. Für seine Forschungsvorhaben erhielt der Wissenschaftler gleich drei Grants in Höhe von insgesamt circa 580.000 Euro.
Die Glycocalyx ist die äußerste Schicht auf der Oberfläche von Zellen. Man kann sie sich als Umhüllung vorstellen, – und tatsächlich bedeutet Glycocalyx „süßer Mantel“. Dieser Mantel ist der erste Teil der Zelle, der mit der Umgebung interagiert, etwa mit anderen Zellen, Nährstoffen oder Krankheitserregern. Leonhard Möckl vermutet, dass die Glycocalyx einer der Grundpfeiler für das Funktionieren von Zellen ist. In seiner Forschung hat er bereits gezeigt, wie die Glycocalyx die Entstehung und Metastasierung von Krebs antreibt, wie sie mit Pathogenen interagiert und wie sie entscheidend an der Regulation des Immunsystems beteiligt ist. Dank dieser Ergebnisse und der Arbeiten anderer Gruppen weiß man inzwischen, dass die Glycocalyx für wesentliche zelluläre Prozesse von zentraler Bedeutung ist. Nur wenig erforscht hingegen ist, wie die Organisation der Glycocalyx auf molekularer Ebene jene lebenswichtigen Abläufe in der Zelle beeinflusst. Genau dieses Verhältnis von Struktur und Funktion der Glycocalyx ist es, was Leonhard Möckl verstehen will. Der Zeitpunkt der Grants, eine DFG-Förderung zum Thema „Elucidating the Siglec-sialome axis of immune cell regulation with super-resolution microscopy and single-molecule/-particle tracking”, eine Förderung der Wilhelm-Sander Stiftung mit dem Titel „Demystifying the interplay between oncogenic events, glycocalyx state, and cellular behavior” sowie ein Mittelzuschuss zum Aufbau eines neuartigen Mikroskopiesystems könnte für den Forschungsgruppenleiter nicht günstiger sein. Mit dem Fortschritt der superhochauflösenden Mikroskopie ist nun auch die Technologie auf einem Niveau angelangt, um Leonhard Möckl die tiefgreifenden Einblicke in die Organisation der Glycocalyx zu gewähren, die ihn bereits seit Jahren interessieren.
2010 taucht Leonhard Möckl während seines Studiums an der LMU München in die Welt der Glycocalyx ein. Und dies eher zufällig. „Ich bin ein bisschen in das Thema reingerutscht. Es gab bei der Studienstiftung die Möglichkeit, an Wissenschaftlichen Kollegien teilzunehmen. Einer der Schwerpunkte damals war Glycobiologie, wovon ich im Studium nur sehr am Rande gehört hatte. Ich war einfach neugierig, habe mich beworben und wurde angenommen. Das war der erste Schritt.“, erzählt der Wissenschaftler. Schnell entwickelt er eine Faszination für die nur wenig erforschte Zuckerhülle. Und er stellt fest: Bislang waren kaum mikroskopische Untersuchungen durchgeführt worden, welche die Struktur und die Funktion der Glycocalyx miteinander verbanden. Sowohl während seines Studiums als auch bei seiner nächsten Station an der Universität Stanford setzte es sich Möckl zum Ziel, diese Forschungslücke zu schließen. Seit 2020 ist er Forschungsgruppenleiter am MPL in Erlangen. Auch hier bleibt die Glycocalyx und die Untersuchung ihrer Architektur einer seiner Forschungsschwerpunkte.
Das Interesse des Wissenschaftlers gilt der Aufschlüsselung der enormen Komplexität der Zuckerstruktur und ihrer Bedeutung für die Funktion von Zellen, sowohl in gesunden als auch in erkrankten Geweben. In dem „süßen Mantel“ auf der Zelloberfläche sind zehntausende Verbindungen von kleinen Zuckerbäumen bis zu riesigen Zuckerpolymeren auf engstem Raum dicht gepackt. Diese im Detail zu betrachten war mit bisherigen Technologien nur bedingt möglich. Doch dank jüngsten Entwicklungen in der superhochauflösenden Mikroskopie sind nun Details auf dem Level einzelner Zuckermoleküle erreichbar. „Das ist der Durchbruch, auf den ich seit über zehn Jahren gewartet habe“, betont Leonhard Möckl. Von diesen Erkenntnissen erhofft er sich zum einen ganz neue Einblicke in die Funktionsweise der Zelle. Zum anderen besteht die realistische Hoffnung, diese Einblicke auch in diagnostische und therapeutische Anwendungen zu übersetzen, wie Möckl erklärt: „Es gibt kaum einen zellulären Prozess, in dem die Glycocalyx nicht irgendwie verstrickt ist. Wenn wir verstehen, wie die funktionalen Zusammenhänge zwischen dem Zustand der Glycocalyx und dem Zustand der Zelle sind, dann gibt uns das sofort neue und wirksame Möglichkeiten, Krankheiten zu erkennen. Langfristiges Ziel ist, neue Therapieansätze daraus abzuleiten.“ Leonhard Möckl hat sich viel vorgenommen, weshalb er jetzt nach motivierten PhD-Kandidat*innen sucht.