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Multiple Sklerose Therapie: Durch die Nase ins Gehirn
Die Multiple Sklerose führt zur Schädigung von Nervenfasern im Zentralnervensystem. Aktuell gibt es keine Behandlung, die die Regeneration dieser Nerven fördert. Dies liegt unter anderem daran, dass viele Wirkstoffe die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können. Eine neue Studie von Forschenden des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern zeigt nun einen vielversprechenden neuen Ansatz: Die Zuführung von Wirkstoffen über die Nase mittels eines spezialisierten Verabreichungssystems.
Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems, von der rund eine Million Menschen in Europa betroffen sind. Die Krankheit verläuft anfänglich in Schüben und führt zu neurologischen Beschwerden wie Muskelschwäche, Sehstörungen und Empfindungsstörungen. Verantwortlich hierfür sind Entzündungen, die zu einer Schädigung der Myelinscheide (Schutzhülle der Nervenfasern) und der darunterliegenden Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark führen. Dies hat zur Folge, dass Reize nicht mehr ordnungsgemäss weitergeleitet und verarbeitet werden können.
Ein vielversprechender Ansatzpunkt zur Behandlung von Multipler Sklerose ist das körpereigene Protein (Eiweiss) Nogo-A. Dieses beeinträchtigt die Wiederherstellung der geschädigten Nervenfasern. In Studien, insbesondere an Tiermodellen, wurde nachgewiesen, dass spezifische Antikörper die Fähigkeit besitzen, an das Nogo-A Protein zu binden und dieses somit zu hemmen. Dadurch konnten die geschädigten Nervenfasern wieder nachwachsen.
Lücke in der Blut-Hirn-Schranke
Damit die Nogo-A-Antikörper wirksam sind, müssen sie jedoch kontinuierlich das Zentralnervensystem erreichen können. Die grösste Herausforderung dabei besteht darin, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Diese schützt das Gehirn effektiv vor Krankheitserregern und schädlichen Substanzen, erschwert aber auch vielen medizinischen Wirkstoffen den Zugang. Es gibt aber Bereiche, die durchlässiger sind. Solche Stellen befinden sich auch in den Riechnerven der Nase, die die Nasenriechschleimhaut mit dem Gehirn verbinden.
Eine neue Verabreichungsmethode macht sich diese Lücke zu Nutze. Diese spezialisierte Methode wurde von einem multidisziplinären Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. med. Andrew Chan, Chefarzt der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital, und Prof. Dr. Vincent Pernet, Leiter des Neuroimmunologischen Labors am Inselspital, entwickelt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Nasensprays, die Wirkstoffe grossflächig in der unteren Nasenhöhle verteilen, ermöglicht die neue Methode eine gezielte Verabreichung direkt auf die Riechschleimhaut (Regio olfactoria). Von dort aus gelangen die Wirkstoffe über den Riechnerv geradewegs ins Gehirn.
Neue Methode bewährt sich im Mausmodell
In einer kürzlich in der Fachzeitschrift «Cell Death Discovery» veröffentlichten Studie konnten die Forschenden die Wirksamkeit ihres Ansatzes bei Mäusen nachweisen. Für ihre Studie verwendete das Team ein etabliertes Mausmodell zur Erforschung der Multiple Sklerose. Solche komplexen Erkrankungen können nur in einem lebenden Organismus abgebildet werden, weshalb in diesem Fall Tierversuche erforderlich waren.
Im Versuch erhielt eine Gruppe der Mäuse über einen Zeitraum von 30 Tagen mithilfe des neu entwickelten Verabreichungssystems den Nogo-A-Antikörper namens 11C7, während die Kontrollgruppe einen wirkungslosen Antikörper erhielt, der als Placebo fungierte.
Verbesserung der Symptome nach 25 Tagen
Die Forschenden konnten nachweisen, dass sich die durch die Riechschleimhaut verabreichten Antikörper rasch und breit im Zentralnervensystem verteilten. Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse, dass die motorischen Fähigkeiten der mit 11C7 behandelten Mäuse nach 25 Tagen signifikant verbessert waren im Vergleich zur Kontrollgruppe. Diese Verbesserung liess sich darauf zurückführen, dass die 11C7-Mäuse einen bis zu dreifach geringeren Abbau der Myelinscheiden im Vergleich zur Kontrollgruppe aufwiesen. Dieser Unterschied war besonders deutlich bei den Nervenfasern im Bereich des Rückenmarkes der Brust- und Lendenwirbelsäule.
Diese Erkenntnisse ermöglichen neue Wege in der Entwicklung therapeutischer Ansätze. Andrew Chan erklärt: «Aktuell gibt es keine Behandlung, die die Regeneration von Nervenfasern bei Multipler Sklerose unterstützt. Bei komplexen und grossen Wirkstoffen wie den Nogo-A-Antikörpern liegt dies vor allem daran, dass sie nicht gut in das Zentralnervensystem hineingeschleust werden können. Die nicht-invasive Verabreichung über die Nase mithilfe der von uns weiterentwickelten spezialisierten Methode könnte diese Hürde überwinden.»
Multidisziplinäre Zusammenarbeit notwendig
Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf Zusammenarbeiten im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojekt «N2B-patch» und dessen Folgeprojekt «Bio2Brain». Bei diesem ist auch das Unternehmen CSL Behring beteiligt, das einen Sitz im Schweizerischen Institut für Translationale Medizin und Unternehmertum (sitem-insel) hat. Andrew Chan unterstreicht die Bedeutung solcher multidisziplinären Forschungspartnerschaften für die translationale Forschung: «Um komplexe medizinische Herausforderungen erfolgreich anzugehen, ist die sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen Forschung, Technologie und Unternehmertum unerlässlich. Die räumliche Nähe zu unserem Forschungspartner CSL Behring im sitem-insel fördert diese Zusammenarbeit.»
In einem nächsten Schritt werden die Forschenden die Wirksamkeit ihres neu entwickelten Systems zur Verabreichung von Wirkstoffen auch für andere Erkrankungen, die mit einer Schädigung im zentralen Nervensystem zusammenhängen, testen. Parallel dazu werden sie die Methode weiterentwickeln und dabei erneut auf die Expertise eines multidisziplinären Teams setzen.
Links
- Neurologie: Universitätsklinik für Neurologie (insel.ch)
- https://www.n2b-patch.eu
- https://bio2brain.eu
Publikation
Pernet, V., Joly, S., Spiegel, S. et al. Nogo-A antibody delivery through the olfactory mucosa mitigates experimental autoimmune encephalomyelitis in the mouse CNS. Cell Death Discovery9, 290 (2023). https://doi.org/10.1038/s41420-023-01588-7
Experten
- Prof. Dr. med. Andrew Chan, Chefarzt und Stv. Klinikdirektor, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, und Universität Bern
- Prof. Dr. Vincent Pernet, Leiter, Neuroimmunologisches Labor, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, und Universität Bern