Das GesundheitsPortal für innovative Arzneimittel, neue Therapien und neue Heilungschancen

Zell-Organisatoren unter Druck: Mechanismen des embryonalen Zahnwachstums aufgedeckt

Forschungsteam des Exzellenzclusters Physics of Life der TU Dresden, der Universität Kalifornien und des Cedars-Sinai Guerin Children’s Los Angeles veröffentlicht in Nature Cell Biology bisher ungeklärte Mechanismen darüber, wie ein Embryo seine Zellen während des Zahnwachstums organisiert.

Der Aufbau von Geweben und Organen während der Embryonalentwicklung wird von den Zellen bemerkenswert choreografiert. Für diesen Prozess braucht es spezielle sogenannte „Organisatoren“ – bisher war unklar, wie der Embryo diese Organisatoren bildet. In einer aktuellen Veröffentlichung in dem renommierten Fachjournal Nature Cell Biology berichten Forscher:innen des Exzellenzclusters Physics of Life (PoL – Physik des Lebens) der Technischen Universität Dresden (TUD), der University of California in Santa Barbara (UCSB) und San Francisco (UCSF) sowie des Cedars-Sinai Guerin Children’s in Los Angeles, durch welchen Vorgang diese Organisatoren im Gewebe entstehen und wie sie dann die Bildung von Zähnen orchestrieren.

Funktion von Signalzentren erforscht

Um uns in neuen Umgebungen wie komplexen Städten zurechtzufinden, sind wir auf Hilfsmittel wie Karten auf unseren Mobiltelefonen oder markante Wahrzeichen vor Ort angewiesen. Die Zellen in unserem Körper stehen vor einem ähnlichen Problem, wenn sie während der Embryogenese unsere Organe aufbauen: Sie brauchen Orientierung, wohin sie gehen und wie sie sich verhalten sollen. In einem Embryo existieren dafür an einigen Stellen Organisatoren – spezielle Zellverbände – die Signale senden und anderen Zellen helfen, sich beim Organaufbau zu orientieren.

Ein Ort mit Organisator-Zellen ist eine Art Signalzentrum und verschickt die Signale in Form von Molekülen. Die Zellen in der Umgebung empfangen je nach Standort stärkere oder schwächere Signale und reagieren dementsprechend, indem sie sich bewegen bzw. wie sie sich entwickeln. Aber nicht nur die Signale, auch die Verteilung der „Signalzentren“ ist für die Zellen ausschlaggebend – ähnlich wie Handymasten für den Telefonempfang. Kommt es im Embryo zu Fehlern bei der Platzierung der Organisatoren im Gewebe, ist der Empfang weg und die Zellen verlieren ihre Navigationsbefehle. Das führt zu teils tödlichen Fehlbildungen. Die Bedeutung dieser Signalzentren ist Wissenschaftler:innen seit langem bekannt, aber wie sie entstehen, blieb bislang fraglich.

Am Exzellenzcluster PoL der TUD entwickelte Methodik macht Entstehung von Organisatoren sichtbar

Das Forschungsteam um Prof. Otger Campàs (TUD und UCSB) und Prof. Ophir Klein (Cedars-Sinai Guerin Children’s und UCSF) fand heraus, dass der Druck im Inneren des wachsenden Gewebes bestimmt, wo das Signalzentrum entstehen wird.

„Am Exzellenzcluster PoL haben wir die Mikrotröpfchen-Technik entwickelt: Ein Tröpfchen wird in eine wachsende Zelle eingesetzt. Der zunehmende Druck in der Zelle verformt das Tröpfchen andauernd. Das enthüllt unsichtbare Prozesse in der Zelle“, beschreibt Prof. Otger Campàs, geschäftsführender Direktor und Lehrstuhlinhaber für Gewebedynamik am Exzellenzcluster PoL sowie Mitverfasser der Studie.

Wie Menschen, die in einen Raum drängen, beginnen die Zellen, den Druck der anderen während der permanenten Zellteilung zu „spüren“ – es wird eng. Die Forschenden fanden heraus, dass die Zellen, in deren Umgebung ein besonders starker Druck entsteht, aufhören, sich zu teilen. Stattdessen beginnen sie, Signale zu senden und die anderen Zellen zu koordinieren. Sie wurden buchstäblich unter Druck gesetzt, Organisatoren zu werden.

„Mit der Mikrotröpfchen-Technik haben wir entdeckt, wie sich der Aufbau von mechanischem Druck auf die Organbildung auswirkt“, ergänzt Campàs. Es ist besonders aufregend, dass gerade Druck eine Rolle bei der Bildung von Signalzentren spielt, weil wir den Druck in Zellen im Exzellenzcluster erforschen. Daher sind wir gespannt, ob oder wie mechanischer Druck andere wichtige Entwicklungsprozesse beeinflusst.“

Schneidezahnzellen können Druck „spüren“ und organisieren sich dadurch

Die Studie, die heute (3. April 2024) in Nature Cell Biology veröffentlicht wurde, zeigt, dass die embryonalen Schneidezahnzellen beim Wachstum den steigenden Druck spüren und diese Information nutzen, um sich zu organisieren. „Im Schneidezahnknoten vermehren sich die Zellen auf engem Raum“, beschreibt Dr. Neha Pincha Shroff, Postdoktorandin an der School of Dentistry der UCSF und Mitautorin der Studie. „Dadurch wird ein Druck in der Mitte aufgebaut, der sich dann zu einem Cluster spezialisierter Zellen entwickelt – dem Organisatorbereich.“

Embryonen nutzen mehrere dieser Organisatoren bzw. Signalzellen, um andere Zellen bei der Bildung von Geweben und Organen zu steuern. Für den Aufbau von Organen sind genaue Planung, viel Koordination und die richtige Strukturmechanik essentiell. Wenn einer dieser Prozesse versagt, kann das katastrophale Folgen haben und beim Heranwachsen im Mutterleib schädlich sein.

„Unsere Arbeit zeigt, dass sowohl der mechanische Druck als auch die molekulare Signalübertragung bei der Organentwicklung eine Rolle spielen“, fasst Prof. Ophir Klein zusammen, Mitautor der Studie, geschäftsführender Direktor des Cedars-Sinai Guerin Children’s in Los Angeles und Inhaber der David-and-Meredith-Kaplan-Ehrenprofessur in Children’s Health. „Wenn wir verstehen, wie ein Embryo Organe bildet, können wir hinterfragen, was bei Kindern mit angeborenen Fehlbildungen schief ging“, meint Prof. Klein. „Daraus könnten weitere Forschungen darüber folgen, wie Geburtsfehler entstehen und verhindert werden können.“

Hintergrund zur Studie

Mitbeteiligt an der Studie waren Pengfei Xu (Co-Erstautor), Sangwoo Kim, Elijah Shelton, Ben Gross, Yucen Liu, Carlos Gomez, Qianlin Ye, Tingsheng Yu Drennon, Jimmy Hu und Jeremy Green.

Die Finanzierung dieser Forschung erfolgte durch das National Institute of Dental and Craniofacial Research in den USA, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern und dem Exzellenzcluster Physics of Life der TU Dresden.

Über den Exzellenzcluster Physics of Life:
Physics of Life (PoL) ist einer von drei Exzellenzclustern an der TU Dresden. Er konzentriert sich auf die Identifizierung der physikalischen Gesetze, die der Organisation des Lebens in Molekülen, Zellen und Geweben zugrunde liegen. In dem Cluster untersuchen Wissenschaftler:innen aus Physik, Biologie und Informatik, wie sich aktive Materie in Zellen und Geweben zu bestimmten Strukturen organisiert und Leben entstehen lässt. PoL wird von der DFG im Rahmen der Exzellenzstrategie gefördert. Es ist eine Kooperation zwischen Forschenden der TU Dresden und Einrichtungen des DRESDEN-concept-Netzwerks, wie dem Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG), dem Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI-PKS), dem Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) und dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR). www.physics-of-life.tu-dresden.de

Über die TU Dresden
Die Technische Universität Dresden (TUD) zählt als Exzellenzuniversität zu den leistungsstärksten Forschungseinrichtungen Deutschlands. Sie ist mit rund 8.300 Mitarbeitenden sowie rund 29.000 Studierenden in 17 Fakultäten eine der größten technisch ausgerichteten Universitäten. Im Jahr 1828 gegründet, ist sie heute eine global bezogene, regional verankerte Spitzenuniversität, die innovative Beiträge zur Lösung weltweiter Herausforderungen leisten will. In Forschung und Lehre vereint sie Ingenieur- und Naturwissenschaften mit den Geistes- und Sozialwissenschaften und der Medizin. Diese bundesweit herausragende Vielfalt an Fächern ermöglicht der Universität, die Interdisziplinarität zu fördern und Wissenschaft in die Gesellschaft zu tragen.

Originalpublikation:

Neha Pincha Shroff, Pengfei Xu, Sangwoo Kim, Elijah R. Shelton, Ben J. Gross, Yucen Liu, Carlos O. Gomez, Qianlin Ye, Tingsheng Yu Drennon, Jimmy K. Hu, Jeremy B. A. Green, Otger Campàs, Ophir D. Klein (2024): Proliferation-driven mechanical compression induces signalling centre formation during mammalian organ development. DOI: 10.1038/s41556-024-01380-4.