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Störungen der Geschlechtsidentität bei jungen Menschen

Studie mit Beteiligung der Klinik für Kinder-​ und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm veröffentlicht

Die eigene Identität spielt vor allem für Heranwachsende eine wesentliche Rolle in ihrer Entwicklung. Nicht selten kommt es in dieser Lebensphase zu Unsicherheiten hinsichtlich der Geschlechtsidentität. In einer Studie, an der die Klinik für Kinder-​ und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm (UKU) mitwirkte, wurde die Häufigkeit von Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen untersucht. Die Ergebnisse sind heute im Deutschen Ärzteblatt erschienen.

Geschlechtsidentitätsstörungen (Bezeichnung nach ICD-10; ICD-11: Geschlechtsinkongruenz) können sich mit unterschiedlicher Ausprägung bereits ab dem frühen Kindesalter – also noch weit vor der Pubertät – manifestieren. Junge Menschen mit dieser Störung leiden teils stark darunter, dass sie sich nicht (vollständig) ihrem Geburtsgeschlecht zugehörig fühlen.
Obwohl die Thematik der Geschlechtsidentitätsstörungen auf gesellschaftlicher sowie wissenschaftlicher Ebene in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit gewonnen hat, fehlen nach wie vor quantitative Daten über die aktuelle Situation in Deutschland. Um diese Forschungslücke zu schließen, wirkte die Klinik für Kinder-​ und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am UKU an einem übergreifenden Forschungsprojekt gemeinsam mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Berlin und der Universität Oldenburg mit. Dabei wurden ambulante Versicherungsdaten aller gesetzlich versicherten Personen in Deutschland im Alter zwischen fünf und 24 Jahren (ca. 13,4–14 Millionen Versicherte) von 2013 und 2022 untersucht.

Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Häufigkeit an Diagnosen von Geschlechtsidentitätsstörungen innerhalb von 10 Jahren auf etwa das Achtfache zugenommen hat. Besonders stark sind dabei 15- bis 19-​jährige, weibliche Jugendliche betroffen. Darüber hinaus liegt bei der Mehrzahl der jungen Menschen (>70%) mindestens eine zusätzliche psychiatrische Diagnose vor. Insgesamt war die zeitliche Stabilität der Diagnosen eher mäßig: Nach fünf Jahren lag bei über der Hälfte der jungen Menschen keine Diagnose einer Störung der Geschlechtsidentität mehr vor.

„Die Resultate geben Aufschluss über die Häufigkeit sowie die zeitlichen Trends von Geschlechtsidentitätsstörungen bei jungen Menschen in Deutschland, können aber nicht die Ursachen hierfür aufzeigen“, erläutert Prof. Dr. Dr. Christian Bachmann von der Klinik für Kinder-​ und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am UKU und Erstautor der Studie. Hierzu und zu den optimalen Therapiestrategien für betroffene Kinder und Jugendliche sei noch weitere Forschung erforderlich, so Prof. Bachmann weiter.

Zur aktuellen Diskussion um optimale Therapiestrategien hat Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder-​ und Jugendpsychiatrie/Psychiatrie am Universitätsklinikum Ulm und derzeit Präsident der European Society for Child and Adolescent Psychiatry (ESCAP), gemeinsam mit europäischen Kolleg*innen jüngst eine Stellungnahme veröffentlicht, die die Einhaltung klinischer, wissenschaftlicher sowie ethischer Standards bei der Beratung und Behandlung betroffener Kinder und Jugendlicher anmahnt.

Publikationshinweise:

Bachmann CJ, Golub Y, Holstiege J, Hoffmann F.
Störungen der Geschlechtsidentität bei jungen Menschen in Deutschland: Häufigkeit und Trends 2013–2022. Eine Analyse bundesweiter Routinedaten.
Deutsches Ärzteblatt 2024; 121:370–371. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0098

Drobnič Radobuljac M, Grošelj U, Kaltiala R; ESCAP Policy Division; ESCAP Board; Vermeiren R, Crommen S, Kotsis K, Danese A, Hoekstra PJ, Fegert JM.
ESCAP statement on the care for children and adolescents with gender dysphoria: an urgent need for safeguarding clinical, scientific, and ethical standards.
Eur Child Adolesc Psychiatry. 2024 Apr 27 (online ahead of print). DOI: 10.1007/s00787-024-02440-8.