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Molekularer Schalter zur stufenweisen Umprogrammierung von Immunzellen entschlüsselt
Zur Abwehr von Krankheitserregern und Krebs aktiviert das Immunsystem bestimmte weiße Blutzellen, die T-Helferzellen (Th-Zellen). Sie werden je nach Ziel (Viren, Bakterien, Parasiten, Tumorzellen) unterschiedlich geprägt und können Entzündungsreaktionen verstärken oder abschwächen. Forschende von Charité – Universitätsmedizin Berlin und Deutschem Rheuma-Forschungszentrum Berlin, ein Leibniz-Institut, haben nun entdeckt, dass sich Th-Zellen in der Stärke ihrer Prägung unterscheiden und unterschiedlich gut umprogrammieren lassen. Das eröffnet neue Therapieoptionen für entzündliche und autoimmune Erkrankungen sowie Immunzelltherapien. Die Daten wurden im Journal Science Advances veröffentlicht.
Dringen Krankheitserreger in den Organismus ein, werden Th-Zellen aktiviert und auf die Abwehr dieser ‚Angreifer‘ spezialisiert. Bei dieser Prägung entstehen verschiedene funktionelle Untergruppen: Th1-Zellen bekämpfen krankmachende Keime und Viren innerhalb der Zellen des menschlichen Körpers. Sie können allerdings auch an autoimmunen Entzündungsreaktionen beteiligt sein. Th2-Zellen dagegen wehren außerhalb der Zellen vorkommende Erreger und Parasiten ab. Sie sind aber auch für die Entstehung von Asthma und Allergien verantwortlich. Jeder Th-Zelltyp wird gesteuert von einem bestimmten Genregulator – dem sogenannten Schlüssel-Transkriptionsfaktor. Die Prägung der Th-Zellen im Rahmen einer Infektionsreaktion galt bisher als einheitlich und unumkehrbar.
Max Löhning, Ahmed Hegazy und Kolleg:innen der Charité und des DRFZ konnten jetzt nachweisen, dass sich bei einer Virusinfektion entwickelnde Th1-Zellen in der Stärke ihrer Prägung unterscheiden: Es entstehen einerseits Th1-Zellen mit großen Mengen des Th1-Schlüssel-Transkriptionsfaktors, deren Prägung dauerhaft stabil ist. Sie erfüllen ausschließlich Th1-Zell-Funktionen zur Virusabwehr. Gleichzeitig entwickeln sich aber auch Th1-Zellen mit geringeren Mengen dieses Schlüssel-Transkriptionsfaktors. Dadurch ist ihre Prägung weniger stabil. Eine Umprogrammierung mit zusätzlicher Th2-Zell-Funktion ist bei diesen Zellen möglich. Bei dieser neuen Prägung auf Parasitenabwehr geht die anfängliche Spezialisierung auf Viren jedoch nicht verloren. Stattdessen ‚lernen‘ die Zellen hinzu und es entsteht ein Zwischentyp, die sogenannten ‚Th1+Th2’-Zellen. Sie vereinen in sich das Abwehrpotential beider Untergruppen und behalten diese Prägung auch über Monate stabil als Gedächtnis-T-Zellen bei. Molekular wird dies dadurch erreicht, dass die neu geprägten ‚Th1+Th2’-Zellen die Schlüssel-Transkriptionsfaktoren der Th1- und der Th2-Zellen gleichzeitig ausbilden.
Diese Ergebnisse zeigen, dass das Immunsystem innerhalb einer Gruppe von Th-Zellen ein Spektrum von völliger Stabilität der Prägung bis hin zu weitreichender Umprogrammierbarkeit schafft. Dadurch kann es sich an verändernde Infektionsumgebungen anpassen. Die gewonnenen Erkenntnisse helfen nicht nur, die ‚Lernprozesse’ in Immunzellen besser zu verstehen, sondern sind auch wesentlich für den therapeutischen Einsatz dieser Zellen, da hierbei die Stabilität ihrer funktionellen Prägung entscheidend ist. Zudem eröffnet das Wissen neue Wege zur Therapie von chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen. Denn besonders die Th1-Zellen tragen maßgeblich zur Entstehung dieser Erkrankungen bei. „Die anteilige Umprogrammierung der Th1-Zellen könnte helfen, die entzündungsverstärkenden Eigenschaften dieser Zellen abzuschwächen und damit ihre krankheitsfördernden Aktivitäten zu durchbrechen“, hoffen die Leiter der Studie, Professor Ahmed Hegazy und Professor Max Löhning.
Das DRFZ ist ein Institut der Leibniz Gemeinschaft. Es untersucht mit grundlagenwissenschaftlichen und epidemiologischen Methoden die Entstehungsbedingungen und Folgen rheumatischer und muskuloskelettaler Erkrankungen. Ziel ist die Entwicklung von neuen und personalisierten, bestenfalls kurativen Therapien und ihre schnelle Übersetzung in den klinischen Alltag. Das DRFZ zeichnen seine enge Anbindung an die klinische Forschung der Charité, eine Vielzahl an drittmittelgeförderten Projekten und zahlreiche nationale und internationale Forschungskooperationen aus. Seit seiner Gründung im Jahr 1988 arbeitet hier ein internationales Team aus Grundlagenforscher:innen der Bereiche Biologie, Biochemie, Mathematik, Physik, Biotechnologie, Chemie, Tiermedizin, Statistik, Soziologie und Dokumentation, Ärzt:innen und Epidemiolog:innen zusammen.
Originalpublikation:
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adk2693