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Dem kognitiven Abbau vorbeugen: Das soziale Netzwerk ist entscheidend

FAU-Studie untersucht den Einfluss von sozialer Isolation auf die kognitiven Fähigkeiten

Neben Hörverlust, Bluthochdruck und Diabetes gehört soziale Isolation bei älteren Menschen zu den veränderbaren Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Demenz begünstigen können. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) hat nun den Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und kognitiven Beeinträchtigungen erforscht. Die Ergebnisse zeigen: Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben ein hohes Risiko, sozial isoliert von Freunden und Familienangehörigen zu sein. Dies berichten die Forschenden des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM Bayern) in der renommierten Fachzeitschrift PlosOne*.

Ob das gemeinsame Kaffeekränzchen oder die Senioren-Sportgruppe: Soziale Interaktionen sind ein wichtiger Eckpfeiler des Lebens. Mangelt es an diesen oder fehlen soziale Bindungen, gelten Menschen als sozial isoliert. „Aktuelle internationale Studien zeigen, dass auch bei kognitiv gesunden älteren Menschen die geistige Leistungsfähigkeit abnimmt, sobald sich die Betroffenen vom gesellschaftlichen Leben zurückziehen“, sagt Lisa Laininger, Erstautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Versorgungsforschungsprojekt digiDEM Bayern.

Risikofaktor für Demenz

Besonders unter älteren Menschen ist das Phänomen der sozialen Isolation weit verbreitet und kann mit gravierenden gesundheitlichen Problemen verbunden sein. Soziale Isolation kann darüber hinaus den Rückgang kognitiver Funktionen begünstigen. „Sind die sozialen Bindungen beeinträchtigt, kann dies zu einem erhöhten Risiko für körperliche sowie psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Demenz, aber auch zu einer erhöhten Sterblichkeit führen“, berichtet der Neurologe Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Co-Autor und digiDEM Bayern-Projektleiter.

Daten von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen

In ihrer Studie haben die FAU-Forschenden über eine Verlaufszeit von 12 Monaten die Daten von 106 Personen ausgewertet. Erhoben wurden deren Daten im Rahmen des Versorgungsforschungsprojektes digiDEM Bayern, einer Langzeituntersuchung mit Teilnehmenden aus allen Regierungsbezirken Bayerns. Eine weitere Besonderheit der Studie ist es, dass alle Befragten bereits Anzeichen kognitiver Beeinträchtigungen aufzeigten und darüber hinaus nicht auf die Unterstützung von pflegenden An- und Zugehörigen angewiesen waren.

„In den Netzwerken älterer Menschen sind Familie und Freunde die beiden wichtigsten Komponenten“, erläutert Lisa Laininger. „Wir wissen auch aus anderen Studien, dass die Zusammensetzung des persönlichen Netzwerks, also ob es sich um Freunde oder Familienmitglieder handelt, eine weitaus größere Rolle zu spielen scheint als die Größe des Netzwerkes oder die Häufigkeit der Kontakte.“

Dabei gibt es vielfältige Gründe, weshalb das Risiko der sozialen Isolation mit dem Alter zunimmt. „Ältere Menschen neigen einerseits eher dazu, sich zurückzuziehen, andererseits wird der Freundeskreis oft kleiner, wenn Altersgenossen pflegebedürftig werden oder versterben.“

Ausmaß der sozialen Isolation

Ein zentrales Interesse der Wissenschaftler um Lisa Laininger galt der Frage nach dem Ausmaß der sozialen Isolation – ein bislang noch wenig untersuchter Aspekt. So zeigte sich, dass 42,5 Prozent der Teilnehmenden ein erhöhtes Risiko für ein inadäquates Netzwerk aus Freunden aufwiesen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch andere Forschende. Im Unterschied dazu lag das Risiko der sozialen Isolation gegenüber Familienmitgliedern bei nur 17 Prozent.

Freund/-innen wichtiger als Familie

Des Weiteren untersuchten die Forschenden, inwiefern sich das Risiko der sozialen Isolation auf den Verlauf der kognitiven Fähigkeiten auswirkt. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Freundschaften einen größeren Einfluss auf den Verlauf der kognitiven Fähigkeiten zu haben scheinen als familiäre Bindungen“, sagt die digiDEM Bayern-Wissenschaftlerin Lisa Laininger. Dafür kann es eine Vielzahl an Gründen geben. In Freundschaften neige man eher dazu, gemeinsam an sozialen Aktivitäten teilzunehmen oder sich zwanglos auszutauschen. Co-Autor Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas ergänzt: „Dies fördert die kognitive Leistungsfähigkeit. Zudem können gleichaltrige Freund/-innen hinsichtlich des Gesundheitsbewusstseins auch als Vorbild dienen und zum Beispiel zur Teilnahme an sportlichen Aktivitäten motivieren.“

In ihrer Studie haben die Forschenden aber nicht nur den Zusammenhang zwischen dem Grad der Zurückgezogenheit und der Kognition untersucht. Werden andere klassische Risikofaktoren für Demenz wie zum Beispiel Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad in der Auswertung berücksichtigt, sind die Einflüsse der Netzwerke von Freund/-innen auf die Kognition nicht mehr eindeutig nachweisbar. „In diesem Fall scheinen diese Faktoren einen größeren Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten zu haben“, sagt Lisa Laininger.

Aufmerksamkeit schenken

Dennoch erfordere das Thema „Freundschaften im Alter“ speziell für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine besondere Aufmerksamkeit. „Das Risiko, enge und vertrauensvolle Beziehungen zu Menschen außerhalb ihres familiären Umfelds nicht mehr aufrechterhalten zu können, scheint für diese Personengruppe besonders hoch zu sein“, sagt Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas. Schwierigkeiten, sozial zu interagieren oder erste Anzeichen von Gedächtnisverlust – wenn man sich etwa nicht mehr an Termine zu erinnern vermag – können das Sozialverhalten beeinträchtigen und den individuellen Rückzug fördern.

Zielgruppenspezifische Angebote schaffen

Für die Forschenden ist es daher ein entscheidender Faktor, dass zukünftig gerade für diese Personengruppe entsprechende Angebote ins Leben gerufen werden. „Um Menschen, die bereits von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen sind, dabei zu unterstützen, bestehende Freundschaften aufrechtzuerhalten oder sogar neue, nicht verwandtschaftliche Beziehungen aufzubauen, ist es notwendig, zielgruppenspezifische Angebote wie Kunst- oder Bewegungsaktivitätsgruppen für Menschen mit und ohne Demenz oder kognitive Beeinträchtigung zu schaffen“, fasst Lisa Laininger zusammen. Soziale Isolation gehört – wie auch Rauchen, Bewegungsmangel oder Diabetes – zu den Risikofaktoren für Demenz, die veränderbar sind.
* Direkt zur Studie: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0306447
Mehr über digiDEM Bayern

digiDEM Bayern baut ein digitales Demenzregister für Bayern auf, um den Langzeitverlauf der Erkrankung besser zu verstehen und die Versorgungssituation von Menschen mit Demenz und deren An- und Zugehörigen in ganz Bayern zu verbessern. Dafür werden Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen oder Demenz und ihre pflegenden An- und Zugehörigen zu ihrer Situation systematisch befragt.

Mit 2.000 Studienteilnehmenden aus ganz Bayern hat das Digitale Demenzregister Bayern (digiDEM Bayern) mittlerweile einen Rekordstand erreicht. Damit ist digiDEM Bayern das größte Demenzregister in Deutschland und gehört im Bereich Demenzforschung zu einem der umfangreichsten Projekte zur Erfassung von Langzeitdaten in der Europäischen Union (EU).

digiDEM Bayern ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, des Universitätsklinikums Erlangen und des Innovationsclusters Medical Valley Europäische Metropolregion Nürnberg. Gefördert wird das Projekt vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention (StMGP) im Rahmen des Masterplans „BAYERN DIGITAL II“.

https://digidem-bayern.de