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Menschen in Deutschland leiden zunehmend an Herzschwäche
Was leistet die Herzmedizin gegen die Volkskrankheit Herzinsuffizienz?
Deutscher Herzbericht: Weiterhin hohe Sterblichkeit durch Herzinsuffizienz und andere Herzkrankheiten. Spitzenvertreter der deutschen Herzmedizin fordern frühzeitigere Prävention der Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und effizientere Vernetzung der Fachgebiete in der Versorgung herzkranker Kinder und Erwachsener
Atemnot bei Belastung, generelle Leistungseinschränkung, Wassereinlagerungen im Körper sowie eine schlechtere Lebensqualität und deutlich reduzierte Überlebensprognose: die Herzschwäche (Herzinsuffizienz) markiert einen starken Einschnitt in das Leben der Patient:innen. Die Herzinsuffizienz ist nicht nur die häufigste Einzeldiagnose für eine stationäre Krankenhausbehandlung in Deutschland. Sie zählt zugleich zu den zehn häufigsten Todesursachen und ist ein Hauptfaktor für den Plötzlichen Herztod (über 65.000 Todesfälle pro Jahr). Während zwar die Sterblichkeit durch Herzschwäche seit mehreren Jahren kontinuierlich abnimmt und mit 35.131 Gestorbenen im Jahr 2021 ihren niedrigsten Wert erreicht, zeichnet sich seit 2022 eine Trendwende in der Mortalität mit einer Zunahme auf 37.570 Gestorbene ab. Außerdem bewegt sich die Zahl der vollstationären Krankenhausaufnahmen mit 446.814 Hospitalisierungen weiterhin auf hohem Niveau (2021: 438.589, 2020: 429.104). „Diese Entwicklung und ihre Ursachen bedürfen einer genaueren Beobachtung. Die Herzinsuffizienz – ein Syndrom durch verschiedene Herzkrankheiten mit Auswirkungen auf weitere Organe wie Hirn, Lunge und Niere – stellt unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft vor eine enorme Herausforderung, der sich alle an der Patientenversorgung beteiligten Fachgebiete mit hoher Intensität widmen müssen“, betont Prof. Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, bei der Vorstellung des aktuellen Deutschen Herzberichts – Update 2024 gemeinsam mit den wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK), für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) sowie für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) (http://www.herzstiftung.de/herzbericht).
Die chronische Herzinsuffizienz ist in den meisten Fällen das Endstadium von Herzkrankheiten wie koronare Herzkrankheit (KHK), Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen und angeborene Herzfehler. Auch bei diesen Herzkrankheiten dokumentiert der Herzbericht eine Sterblichkeitszunahme für das Jahr 2022:
– Koronare Herzkrankheit (Ischämische Herzkrankheiten): 125.984 Verstorbene (2021:
121.172) davon akuter Herzinfarkt: 46.608 Gestorbene (2021: 45.181)
– Herzklappenerkrankungen: 22.087 Gestorbene (2021: 20.453)
– Herzrhythmusstörungen: 30.618 Gestorbene (2021: 28.219)
– Angeborene Herzfehler: 685 Gestorbene (2021: 606)
„Wir müssen in der medizinischen Versorgung der Herzschwäche mit bis zu vier Millionen Betroffenen in Deutschland interdisziplinär, multiprofessionell und noch stärker vernetzt vorgehen. Im Vordergrund stehen neben differenzierten Therapien vor allem auch die Maßnahmen der Prävention. Dadurch können die Hauptursachen für eine Herzinsuffizienz – koronare Herzkrankheit und Bluthochdruck – wirksam angegangen werden“, betont der Herzstiftungs-Vorsitzende Prof. Voigtländer. „Darüber hinaus müssen wir noch effizienter medizinische Innovationen der Diagnostik, Therapie und Rehabilitation für eine präzise und individuelle Behandlung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen nutzen, die den Boden für eine Herzinsuffizienz bereiten.“ Die weiterhin hohe Krankheitslast und Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit über 348.000 Todesfällen pro Jahr zeigen, dass sich weite Teile der Bevölkerung Deutschlands nicht in ausreichender therapeutischer Versorgung befinden oder gar nicht versorgt sind. Anreize für eine Verbesserung der Situation sehen die Herzstiftung und alle Mitglieder der Nationalen Herz-Allianz (NHA) im Gesundes-Herz-Gesetz (GHG). „Dieses Gesetz ist ein möglicher effektiver Beitrag, die Herzgesundheit in der Bevölkerung zu verbessern und die Krankheitslast und Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Das erfordert gemeinsame Anstrengungen aller beteiligten Fachgebiete: der Kardiologie, Herzchirurgie, Kinderkardiologie und Herz-Kreislauf- Rehabilitation“, so Voigtländer.
Der Deutsche Herzbericht – Update 2024 wird herausgegeben von der Deutschen Herzstiftung in Zusammenarbeit mit den wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften DGK, DGTHG, DGPR und DGPK und kann unter http://www.herzstiftung.de/herzbericht kostenfrei abgerufen werden.
Wachsende Zahl der Herzschwäche-Fälle auch wegen Altersentwicklung trotz medizinischer Innovationen
Wegen des demografischen Wandels wird die Gesellschaft immer älter und in der Folge nimmt der Anteil der herzinsuffizienten Patient:innen noch weiter zu. Besonders ab 65 Jahren steigt die Zahl der Krankenhauseinweisungen steil an: 13-mal mehr Patient:innen im Vergleich zur Gruppe der 45- bis unter 65-Jährigen. Herzinsuffiziente Patient:innen über 85 Jahren repräsentieren die größte Gruppe der vollstationären Hospitalisierungen. „Zum einen wurden die Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten bei Herzkrankheiten wie der KHK, die eine wesentliche Ursache des Herzinfarkts ist, aber auch bei Herzrhythmusstörungen, Herzklappenerkrankungen und angeborenen Herzfehlern deutlich verbessert, so dass diese Patient:innen länger leben und häufig eine Herzschwäche erst im höheren Lebensalter ausbilden“, erklärt der Kardiologe Prof. Dr. Holger Thiele, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK).
„Aber auch durch die modernen Therapieverfahren der Herzschwäche erreichen diese Patient:innen ein zunehmend höheres Lebensalter. Entscheidende Fortschritte konnten durch die neuen, sehr effektiven medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten erreicht werden. Aber auch die Weiterentwicklung interventioneller und chirurgischer Therapien verbessert die Lebensqualität und Prognose dieser Patient:innen.“ Thiele und Falk nennen beispielhaft die katheterbasierte Ablation bei Vorhofflimmern, die kathetergestützte Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz und der Aortenklappenstenose (TAVI) sowie die modernen operativen Verfahren bei diesen Herzklappenfehlern. Häufig kann ein begleitendes Vorhofflimmern auch im Rahmen der operativen Eingriffe mitbehandelt werden. All diese Verfahren tragen zur Verbesserung der Herzleistung bei Herzschwäche bei.
Pandemiejahr 2022: Patient:innen mieden wegen Covid Krankenhäuser – rückläufige Zahlen der herzmedizinischen Versorgung
Die bereits für die Pandemiejahre 2020 und 2021 dokumentierte Covid-19-bedingte Rückläufigkeit in der kardiologischen und herzchirurgischen Versorgung von Erwachsenen und Kindern, insbesondere bei den sogenannten elektiven, d. h. planbaren Eingriffen und in der kardiologischen Reha, setzte sich 2022 fort. Von 2018 zu 2022 kam es zu einer deutlichen Abnahme bei herzchirurgischen und kardiologischen Eingriffen wie Koronarangiographien, PCIs, Schrittmacher-/ICD-Implantationen beziehungsweise isolierten Koronaroperationen. Ebenso weisen mit Ausnahme der Herzklappenerkrankungen (+1,8 Prozent) im Jahr 2022 die Häufigkeiten der diagnostizierten Herzerkrankungen wie KHK (-16,6 Prozent), Herzinsuffizienz (-8,0 Prozent) oder Angeborene Herzfehler (-7,9 Prozent) eine relative Abnahme auf, wie der Deutsche Herzbericht zeigt. „Wir sehen auch diese Zahlen mit Besorgnis unter anderem mit Blick auf mögliche Auswirkungen auf die Sterblichkeit. Die Zahlen lassen darauf schließen, dass entweder Patient:innen aus Angst vor einer Infektion einen Krankenhausaufenthalt vermieden oder umgekehrt Kliniken ihre Aufnahmen zweitweise auf Notfälle beschränkt haben und selbst für diese nicht immer ausreichende Kapazitäten vorhalten konnten“, berichtet der Herzstiftungs-Vorsitzende und Kardiologe Voigtländer. „Für die Zukunft muss auch die Resilienz der herzmedizinischen Versorgung in Ausnahmesituationen wie der Covid-Pandemie im Fokus der Herzmedizin bleiben“, so sein Fazit.
Diagnose Herzschwäche: Was leisten Medikamente und Schrittmacher-Therapien?
Herzinsuffizienz ist nach wie vor nicht heilbar. Nur in einzelnen Fällen wie einer ausgeheilten Herzmuskelentzündung (Myokarditis) oder einem behobenen Herzklappenfehler kann ein Herz wieder gesund werden. „Mit Medikamenten können wir die Sterblichkeit senken und bei Patient:innen mit einer chronischen Herzschwäche zu einer besseren Lebensqualität verhelfen sowie das Fortschreiten der Herzinsuffizienz verlangsamen“, berichtet der Kardiologe und DGK-Präsident Prof. Thiele. Heute empfehlen Leitlinien eine Therapiestrategie mit vier Medikamentengruppen: Betablocker, ACE-Hemmer/Sartane oder ARNIs (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor), MRA (Mineralkortikoid-Rezeptorantagonisten) und SGLT-2-Hemmer.
Herzschwäche-Patient:innen mit Wassereinlagerungen im Körper (Ödeme) erhalten Diuretika. „Diese Medikamente verbessern bei konsequenter Einnahme die Prognose, indem sie den Herzmuskel stabilisieren und dadurch unter anderem auch lebensgefährliche Rhythmusstörungen reduzieren“, erklärt Thiele. Laut Herzbericht zählen Herzinsuffizienzmedikamente zu den verordnungsstärksten Arzneimitteln, zum Beispiel Angiotensinhemmstoffe (Rang 1 mit 10,8 Mrd. Tagesdosen) und Betarezeptorenblockern (Rang 3 mit 2,1 Mrd. Tagesdosen).
Bringen Medikamente keine ausreichende Verbesserung der Herzschwäche, kommen vielen Patient:innen in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung implantierbare medizinische Geräte (CIED) zu Hilfe: beispielsweise durch die Implantation eines Herzschrittmachers (bei zu langsamem/schwachem Herzschlag) oder eines Defibrillators (bei gefährlich unregelmäßigem Herzschlag). Ein sogenanntes CRT-System zur kardialen Resynchronisationstherapie dient dazu, die Kontraktion der Herzkammern zu synchronisieren und damit die Pumpfähigkeit des Herzens zu verbessern. „Die CRT-Therapie kann die Prognose der Patient:innen verbessern und bei mindestens der Hälfte der Patient:innen auch die Lebensqualität“, berichtet Thiele. 2022 wurden insgesamt 12.849 Neuimplantationen von CRT-Geräten in Deutschland vorgenommen. Eine telemedizinische Überwachung durch ein spezielles Herzschwäche-Team kann die Kontrolle der Geräte und der Herzleistung verbessern, indem verschiedene Fachgebiete zusammenarbeiten. Die Kommunikation zwischen stationärer und ambulanter Patientenversorgung wie in den sogenannten Heart Failure Units (HFUs) – eine Initiative der DGK, DGTHG und des Bundesverbands Niedergelassener Kardiologen – könnte an Bedeutung in der Versorgung von Herzschwäche-Patient:innen hinzugewinnen. In Deutschland gibt es rund 235 erstzertifizierte HFU-Zentren, -Kliniken und -Praxen. „Zusammen mit den HFUs dürfte das vom Gemeinsamen Bundesausschuss etablierte Telemonitoring der Herzinsuffizienz im vertragsärztlichen Bereich die Versorgungssituation in Deutschland verbessern helfen“, betonen DGK-Präsident Prof. Thiele und DGTHG-Präsident Prof. Falk.
Herzschwäche durch Vorhofflimmern: Herzmedizin setzt auf Ablationstechnik
Vorhofflimmern und Vorhofflattern zählen nach Erhebungen im hausärztlichen und stationären Bereich zu den zehn häufigsten Begleitdiagnosen von Herzschwäche- und KHK-Patient:innen, wie der aktuelle Herzbericht zeigt. Dauerhaftes Vorhofflimmern hat einen sehr negativen Einfluss auf eine Herzinsuffizienz. Auch erhöht Vorhofflimmern die Sterblichkeit und Schlaganfallrate. „Vorhofflimmern zu beseitigen, hat immer positive Effekte auf eine Herzschwäche, bei jedem Schweregrad“, betont Prof. Voigtländer. 2022 wurden 107.886 Katheterablationen durchgeführt (2021: 102.737). „Für ein hohes Maß an Qualität spricht, dass mehr als die Hälfte der abladierenden Zentren über 200 Ablationen pro Jahr durchführen“, betont DGK-Präsident Thiele. Gemäß einer Empfehlung der US-amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften für Elektrophysiologie (HRS/EHRA) in einem Consensus-Statement (2024) wird bei etwa fünf Prozent der herzchirurgischen Eingriffe Vorhofflimmern mittherapiert. Die führende Grunderkrankung dieser Patient:innen sind Mitralklappenfehler, bei etwa einem Drittel die KHK.
Gefäßstützen retten Herzmuskel: Akutversorgung von Herzinfarkt-Patient:innen durch Stents
Die KHK mit 538.277 vollstationären Klinikeinweisungen 2022 ist die wesentliche Ursache des Herzinfarkts und nach wie vor bei rund Zweidrittel aller Patient:innen Hauptursache der Herzinsuffizienz. Bei der Akutversorgung des Herzinfarkts trägt insbesondere die kathetergestützte Aufdehnung des verengten Herzkranzgefäßes beziehungsweise die Rekanalisation eines verschlossenen Koronargefäßes mit einem Stent/Ballon (Perkutane Intervention, PCI) dazu bei, die Durchblutung des betroffenen Herzmuskelareals zu verbessern oder wiederherzustellen. „Große Herzinfarkte können heute frühzeitiger und effektiver behandelt werden. Somit lassen sich vor allem Todesfälle verhindern. In der Folge gibt es aber mehr Patient:innen mit Herzschwäche oder eine schon bestehende Herzschwäche wird durch einen Herzinfarkt sogar noch verschlechtert“, betont DGK-Präsident Prof. Thiele. 295.429 PCI (IQTIG-Daten) wurden im Jahr 2022 ambulant und stationär durchgeführt. „Die Zahlen der PCI-Eingriffe bewegen sich weiterhin auf einem hohen Niveau, was auch dem Anstieg des Durchschnittsalters der Bevölkerung aufgrund der Altersverteilung geschuldet ist“, interpretiert der Leipziger Kardiologe Thiele die Zahlen. Allerdings sei neben der PCI immer eine „leitliniengerechte medikamentöse Therapie der kardiovaskulären Risikofaktoren Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus sowie durch Lebensstilmaßnahmen wie Rauchstopp, regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung besonders wichtig“, betont Thiele.
Herzmuskel retten mit der koronaren Bypass-OP: häufigste Herzoperation
Die häufigste Herzoperation überhaupt – von insgesamt 89.523 herzchirurgischen OPs – ist die aorto-koronare Bypassoperation (ACB) mit bundesweit 36.167 Eingriffen (2022) (Männer: 28.729; Frauen: 7.438). Die ACB-Operation kommt bei KHK-Patient:innen bei der interventionell schwer zu behandelnden Hauptstammstenose (bei ca. 30 Prozent der Operationen) und der 3-Gefäßerkrankung (bei ca. 30 Prozent der OPs) zum Einsatz. Denn hier reicht eine Aufdehnung hochgradig verengter oder verschlossener Herzgefäße durch einen Ballon oder Stent nicht aus. Das Gefäß kann nur noch durch einen Bypass „umgangen“ werden, der die Durchblutung des Herzmuskels sichert. „Die Bypassoperation ist vor allem aufgrund der hervorragenden Langzeitergebnisse für Patient:innen mit komplexer koronarer Mehrgefäßerkrankung und mit komplexen Verengungen (Stenosen) die Therapie der ersten Wahl“, betont der Herzchirurg Prof. Dr. Volkmar Falk, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) mit Verweis auf die Leitlinien. Insbesondere Patient:innen mit Diabetes mellitus und bereits eingeschränkter Herzleistung profitierten von dem herzchirurgischen Eingriff. Von den 36.167 Bypass-OPs waren 27.994 isoliert und weitere 8.173 erfolgten zumeist in Kombination mit Herzklappenoperationen. „Das Heart-Team aus Kardiologen, Herzchirurgen, und Anästhesisten gibt Patient:innen mit KHK eine individuelle Empfehlung für eine medikamentöse oder invasive – kathetergeführte oder herzchirurgische – Therapie, wenn es die Konstellation der Gefäßproblematik erfordert“, erklärt DGTHG-Präsident Prof. Falk.
Die Altersentwicklung zeigt sich auch hier: Allein auf die über 80-Jährigen entfallen 9,3 Prozent der Bypass-Operationen, die über 70-Jährigen machen 40,7 Prozent aus. Aber auch die Jüngeren unter 50-Jährigen haben seit Jahren einen festen Anteil um die 4 Prozent. „Jüngere Patient:innen profitieren vor allem von der Nachhaltigkeit der koronaren Bypassoperation“, so DGTHG-Präsident Falk.
Chest-Pain-Unit (CPU): Wichtiger Baustein der Infarktversorgung – ausbaufähig in östlichen Bundesländern
Ein ebenso wichtiger Baustein der Notfallversorgung von Patient:innen mit akutem Koronarsyndrom (ACS: Herzinfarkt, instabile Angina pectoris) sind die bundesweiten rund 370 von der DGK zertifizierten Chest-Pain-Units (CPU). Eine CPU ist eine spezialisierte Abteilung in einem Krankenhaus, die sich auf die schnelle Diagnose und Behandlung von Patient:innen mit akuten Brustschmerzen und Verdacht auf ACS konzentriert. Sie ist mit modernen Geräten für die Notfallversorgung ausgerüstet und rund um die Uhr erreichbar. „Das macht die CPU zu einer wichtigen Notfall-Einheit in der Versorgung schwerwiegender Erkrankungen wie dem ACS, aber auch anderer lebensbedrohlicher kardialer Ereignisse wie der hochgradigen Aortenklappenstenose, der dekompensierten Herzschwäche oder krisenhaft erhöhten Bluthochdruckwerten“, betont der Herzstiftungs-Vorsitzende Prof. Voigtländer. „Wir müssen darauf hinwirken, dass die Verbreitung der CPUs voranschreitet, vor allem in den östlichen Bundesländern, wo es noch viele Gebiete mit geringer CPU-Dichte gibt.“
Herzschwäche, weil die Ventile versagen: Therapie von Herzklappenerkrankungen
Neben der KHK können auch Klappenerkrankungen zur Herzinsuffizienz führen. „Bei den häufigsten Herzklappenerkrankungen, der hochgradigen Aortenklappenstenose und Mitralklappeninsuffizienz, wird die Prognose der Herzinsuffizienz wiederum verbessert, wenn rechtzeitig eine interventionelle oder herzchirurgische Therapie durchgeführt wird“, betonen Prof. Thiele und DGTHG-Präsident Prof. Falk. Im Jahr 2022 erreichte die Sterblichkeit an Herzklappenerkrankungen die höchste Todesrate mit 21,9 von 100.000 Einwohnern seit Erfassung und es kam zu 103.894 vollstationären Krankenhausaufnahmen wegen einer Herzklappenerkrankung, in den meisten Fällen an der Aorten- und der Mitralklappe. „Beim Ersatz der Aortenklappe hat sich die kathetergestützte Aortenklappenimplantation (TAVI) als Standardverfahren für Patient:innen ab dem 75. Lebensjahr oder einem hohen operativen Risiko etabliert“, berichtet DGK-Präsident Thiele. Eine Zunahme von TAVI bei jüngeren Patient:innen zeige sich bislang noch nicht, ergänzt Prof. Falk. TAVI wurde 23.991-mal im Jahr 2022 durchgeführt. Die kathetergeführte Mitralklappentherapie erfolgte 7.434-mal. Die behandelten Patient:innen waren im Mittel 78 Jahre alt.
2022 erhielten 7.778 Patient:innen einen isolierten Aortenklappenersatz (2021: 7.502) und 6.353 isolierte Mitralklappen-Operationen wurden durchgeführt (2021: 6.052); in 64,7 Prozent der Fälle konnte die Mitralklappe mittels Rekonstruktion erhalten werden. „Bei fast 60 Prozent der Patient:innen erfolgte die Operation durch einen minimal-invasiven Zugang“, betont Prof. Falk.
Herzinsuffizienz im Endstadium: Herzunterstützungssystem als Option
Für Patient:innen mit schwerer Herzinsuffizienz im Endstadium ist die Herztransplantation eines Spenderorgans unangefochten der Goldstandard. Allerdings standen 2023 in Deutschland 1.094 (2022: 699) Herzpatienten auf der Warteliste nur 330 Herztransplantationen (2022: 358) gegenüber. Für diese Patient:innen der Spenderherz-Warteliste gibt es bis zur sehr seltenen Erholung des Herzmuskels oder zur Überbrückung bis zur Transplantation die Option eines Herzunterstützungssystems. Am häufigsten kommt das Linksherzunterstützungssystem (LVAD) zum Einsatz, 2022 mit 655 Implantationen (2021: 731). „Gerade bei der Versorgung von Patient:innen mit schwerer Herzinsuffizienz im Endstadium stellt die LVAD-Therapie einen wichtigen Therapiebaustein dar, der auch von den Kardiolog:innen vermehrt berücksichtigt werden sollte“, so der Herzstiftungs-Vorsitzende Prof. Voigtländer. Es sind auch ventrikuläre Assist-Systeme für den rechten Ventrikel oder für beide Herzkammern (RVAD, BVAD) verfügbar. Die meisten der permanent implantierbaren Systeme, vorrangig LVAD, werden meist in herzchirurgischen Fachabteilungen implantiert, die auch gleichzeitig über ein Transplantationsprogramm verfügen.
Prävention: Risikofaktoren von KHK und Herzschwäche konsequenter behandeln
Für den kontinuierlichen Rückgang der Sterblichkeitsrate der KHK in vergangenen Jahrzehnten (2000: 167.681, Gestorbene, 2022: 125.948 Gestorbene) haben neben Fortschritten in Diagnostik und Therapie nicht zuletzt auch verstärkte Präventionsaktivitäten gesorgt – insbesondere gegen die Risikofaktoren Rauchen, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen (hohes LDL-Cholesterin), Diabetes mellitus, Übergewicht sowie psychosozialer Stress. Allerdings zeigen Studiendaten (1) auch, dass Deutschland bei der durchschnittlichen Lebenserwartung im Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern weit hinten steht. Die Gründe hierfür sehen die Studienautoren u.a. in Defiziten bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Neben Alter und Genetik sind durch einen ungesunden Lebensstil verursachte Risikofaktoren wesentlich am Entstehen von KHK und anderen Herzkrankheiten wie Herzschwäche beteiligt. „Die Vermeidbarkeit der Herzschwäche durch Lebensstiländerungen – zusätzlich zur medizinischen Therapie – müssen wir mit gezielten Präventionsprogrammen noch mehr in den Fokus nehmen“, so Prof. Voigtländer.
Dies gelte genauso für die kardiologische Rehabilitation, wie Dr. Eike Langheim, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR), unterstreicht: „Herzschwäche entsteht überwiegend durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die genannten Risikofaktoren, die alle einer primären, sekundären und tertiären Prävention zugänglich sind.“ Die kardiologische Rehabilitation unterliege hohen Qualitätsstandards und biete einen multimodalen und bio-psycho-sozialen Behandlungsansatz der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dieser berücksichtige neben Krankheitsmechanismen auch psychische und soziale Faktoren sowie die Möglichkeit präventiv wirksame Lebensstilmaßnahmen umzusetzen, so der Reha-Spezialist: „Dieser Ansatz ist auch sinnvoll bei Menschen mit einem hohen Risikoprofil, ohne dass bereits Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgetreten sind.“
Kardiologische Reha viel zu selten genutzt
Trotz der durch Studien belegten Wirksamkeit für herzkranke Patient:innen nimmt nur etwa die Hälfte der Anspruchsberechtigten eine kardiologische Reha (KardReha) wahr – und davon noch einmal deutlich weniger Frauen als Männer. Das geht erneut aus den Daten von 92.859 Patient:innen aus 72 Reha-Einrichtungen im Rahmen einer DGPR-Umfrage hervor, die der Herzbericht vorstellt. „Wieder zeigen die Zahlen, dass kardiologische Rehabilitation – obwohl sie die Mortalität und Rehospitalisierungen senkt sowie Lebensqualität, depressive Symptome, soziale und berufliche Teilhabe verbessert – nicht ausreichend genutzt wird“, berichtet Rehaspezialist und DGPR-Präsident Dr. Langheim und fügt hinzu: „Angesichts der Diskrepanz zwischen der Zahl der vollstationären Krankheitsfälle von 1.574.352 im Jahr 2022 und den nur ungefähr zur Hälfte erfassten Patientenzahlen der ambulanten und stationären kardiologischen Rehabilitation von rund 93.000 Patient:innen schätzt die DGPR, dass selbst bei Annahme einer ,Dunkelziffer‘ von weiteren 90.000 im Herzbericht nicht dokumentierten Rehabilitationsfällen, nur jede/r neunte bis zehnte Herzpatient:in eine kardiologische Rehabehandlung erreicht.“
Im Jahr 2022 wiesen etwas weniger als 50 Prozent der KardReha-Patient:innen eine KHK und über zehn Prozent eine dekompensierte Herzschwäche oder Herzmuskelkrankheit (Kardiomyopathie) auf. Bei den kardiovaskulären Risikofaktoren überwogen der Bluthochdruck (46,7 Prozent) und Fettstoffwechselstörungen (44,7 Prozent). Studiendaten zeigen, dass die Teilnahme an einer Reha-Maßnahme nicht nur die Therapietreue hinsichtlich Medikamenteneinnahme, körperlicher Bewegung, Nikotinverzicht, gesunder Ernährung und Lebensstil fördert sowie die Lebensqualität deutlich verbessert. Auch kommt es zu weniger Krankenhausaufenthalten aufgrund der Herzerkrankung. „Jede Dekompensation bei Herzinsuffizienz verringert die Überlebenschance des Betroffenen, daher stellt gerade die KardReha eine unverzichtbare Maßnahme dar, eine Dekompensation zu vermeiden und so die Prognose der Patient:innen zu verbessern“, betont Dr. Langheim.
Die Basis der KardReha sind Bewegungstherapie und körperliches Ausdauer- und Krafttraining. Die psychosoziale Unterstützung spielt ebenfalls eine große Rolle, weil Angst und Depressionen oft einer gesundheitlichen Verbesserung im Weg stehen. Dieser multimodale Therapieansatz, ergänzt um patientenspezifische Herzinsuffizienz-Schulungen für ein verbessertes Krankheits-verständnis und um die sehr gute und überwachte Möglichkeit zur Einstellung und Ergänzung der medikamentösen Behandlung der Herzschwäche, verringert zukünftige Rehospitalisierungen.
Herzschwäche bei angeborenem Herzfehler: Therapiestandards fehlen (noch)
Von den jährlich mehr als 8.500 Kindern, die mit Herzfehlern in Deutschland geboren werden, erreichen heute dank verbesserter Diagnostik, medikamentöser, operativer und interventioneller Therapieverfahren mehr als 90 Prozent das Erwachsenenalter. In der Folge leben Expertenschätzungen zufolge in Deutschland bis zu 360.000 Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH). Ihre Zahl ist inzwischen größer als die Zahl der Kinder mit angeborenem Herzfehler (AHF) und ihre Präsenz als stetig wachsendes Patientenkollektiv zeigt sich auch bei medizinischen Eingriffen. Laut Deutschem Herzbericht entfallen von den 8.131 Herzkatheteruntersuchungen bei AHF-Patient:innen im Jahr 2022 24 Prozent auf Erwachsene. 938 Operationen mit/ohne Herz-Lungen-Maschine von insgesamt 5.283 wurden bei EMAH-Patient:innen durchgeführt.
Die stetig steigende Zahl der Gruppe der EMAH-Patient:innen führt auch zu einem erheblichen Anstieg der EMAH, die eine Herzinsuffizienz entwickeln. Bis zu 40 Prozent der AHF-Patient:innen entwickeln eine Herzschwäche innerhalb von 20 Jahren nach einer AHF-Operation. Bis zu 20 Prozent der AHF-Patient:innen (12 Prozent mit einfachem, 40 Prozent mit komplexem Herzfehler) benötigen eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie während der Nachsorge. Während in der
Normalbevölkerung die Herzinsuffizienz die dritthäufigste Todesursache ist, stellt sie bei AHF-Patient:innen die Nummer 1 dar (bei 25-40 Prozent der EMAH-Patient:innen) (3, 4).
Das Risiko einer Herzinsuffizienz ist bei EMAH-Patient:innen besonders hoch bei komplexen Herzfehlern wie sogenannte Einkammerherzen (nach Fontan-Operation) und sogenannten systemischen rechten Ventrikeln (zum Beispiel Transposition der großen Arterien [TGA] nach Vorhofumkehroperation). Bei EMAH kommt es daher seltener zur „klassischen“ systolischen Herzinsuffizienz der linken Herzkammer. Vielmehr stehen bei ihnen ein Pumpversagen der rechten Herzkammer, Herzklappeninsuffizienzen, Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie) und eine diastolische Funktionsstörung der Herzkammern im Vordergrund. Die medizinische Nachsorge für EMAH-Patient:innen mit Herzinsuffizienz unterscheidet sich deutlich von den Therapiestandards für Patient:innen mit erworbenen Herzerkrankungen. „Angesichts der Komplexität und Variabilität angeborener Herzfehler haben wir eine sehr heterogene Patient:innengruppe, auf die wir eine Herzinsuffizienztherapie ausrichten müssen“, betont die Kinderkardiologin und EMAH-Spezialistin Prof. Dr. Ulrike Herberg, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK).
Anbindung der Herzinsuffizienztherapie an EMAH-Fachexpertise nötig
Komplexe angeborene Herzfehler sind heterogen und wurden nur in kleinen Patientenkollektiven untersucht. So fehlen für viele Therapiemaßnahmen bei AHF und Herzschwäche noch ausreichende Daten aus kontrollierten Studien und größeren Registern. „Deshalb erfordert die Therapie einer Herzinsuffizienz bei diesen Patient:innen besondere Fachkenntnisse in der klinischen, laborchemischen und apparativen Diagnostik und Therapie“, berichtet Prof. Herberg, selbst Leiterin einer EMAH-Ambulanz in Aachen. Die Patient:innen profitierten von einer Anbindung an entsprechende spezialisierte Zentren mit EMAH-Expertise und Möglichkeiten der spezialisierten Herzinsuffizienzbehandlung. Der Deutsche Herzbericht stellt die EMAH-Versorgungsstruktur mit einem bewährten dreistufigen System aus den folgenden drei Bereichen vor, die eine EMAH- spezifische medizinische Basisversorgung gewährleisten:
– hausärztliche Versorgung (Allgemeinmediziner:innen, hausärztliche Internist:innen, Kinder- und Jugendärzt:innen) in Kooperation mit EMAH-Schwerpunktpraxen,
– regionalen EMAH-Schwerpunktpraxen und -Kliniken,
– überregionalen EMAH-Zentren.
Für mehr valide Daten zur Herzschwäche bei EMAH fördert die Deutsche Herzstiftung das „Pathfinder-AHF-Register“ (Fördervolumen: 83.000 Euro) mit sieben teilnehmenden universitären Herzzentren bzw. Universitätskliniken und die Studie „Epidemiologie, Behandlung und Verlauf von Herzinsuffizienz bei EMAH“ und einer Auswertung der Daten des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler (NR-AHF)“ (Fördervolumen: 67.720 Euro). „Solche Register helfen uns unter anderem dabei, Risikokonstellationen frühzeitig zu erkennen und die therapeutischen Möglichkeiten besser zu bewerten“, erklärt DGPK-Präsidentin Prof. Herberg.
(wi)
Hinweis – Bei Abdruck/Nutzung der Presse-Information bitten wir um folgende Angabe:
Der Deutsche Herzbericht – Update 2024 wird von der Deutschen Herzstiftung zusammen mit den wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK), für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK)
und für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) alljährlich herausgegeben. Infos und ePaper: http://www.herzstiftung.de/herzbericht
Service
Der Deutsche Herzbericht – Update 2024 ist kostenfrei als ePaper mit vielen weiteren Infos abrufbar unter: www.herzstiftung.de/herzbericht
Infos für Patient:innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bietet die Herzstiftung kostenfrei unter http://www.herzstiftung.de an.
Tipp
Podcast: Was der Herzbericht – Update 24 über Herzschwäche verrät
Der Herzbericht fasst die aktuellen Daten zu den wichtigsten Herzerkrankungen zusammen. Bei der Herzschwäche etwa zeigt sich Handlungsbedarf. Dies ist Thema der aktuellen Podcastfolge mit Expert:innen aus allen Bereichen der Herzmedizin und der Herzpatientin Tamara Schwab.
http://www.herzstiftung.de/podcast-herzbericht-2024
Herzinfarkt-Risikotest: Die Herzstiftung bietet unter http://www.herzstiftung.de/risiko einen kostenfreien Herzinfarkt-Risikotest an.
Quellen/Literatur
(1) Jasilionis D et al. (2023), European Heart Journal of Epidemiology 38(8): 839-850).
(2) Dtsch Arztebl 2022; 119(37): [6]; DOI: 10.3238/PersKardio.2022.09.16.01
(3) Amdani et al., Circulation, Vol. 150, Issue 2, 9 July 2024; Pages e33-e50. https://doi.org/10.1161/CIR.0000000000001245
(4) Diller G-P, Baumgartner H, Herzinsuffizienz bei EMAH: Was ist anders bei Diagnostik und Therapie?, in: Deutsche Herzstiftung (Hg.), Leben mit angeborenem Herzfehler im Erwachsenenalter – Ein Leitfaden, Frankfurt a.M. 2021.