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Wie ein fehlgeleitetes Immunsystem Gelenkentzündungen nach einem Zeckenstich aufrechterhält

Neue Studie entschlüsselt zentrale Mechanismen hinter antibiotikaresistenter Lyme-Arthritis (ARLA)

Ein Team aus der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) zeigt, wie bestimmte Zellen unseres Immunsystems zuerst die durch einen Zeckenstich ausgelöste Borrelien-Infektion zunächst bekämpfen und dann bei manchen Menschen eine Fehlreaktion auslösen, die zu einer chronischen Gelenkentzündung führt. Dieses Wissen hilft nicht nur bei der Diagnose und Behandlung von ARLA, sondern liefert auch Hinweise darauf, wie Infektionen und das Immunsystem bei anderen Krankheiten wie der rheumatoiden Arthritis zusammenwirken.

Würzburg. Die Wanderröte nach einem Zeckenstich ist ein erster Hinweis auf Lyme-Borreliose. Sie ist die häufigste von Zecken übertragene Krankheit in Europa und Nordamerika. Wird sie nicht rechtzeitig mit einem Antibiotikum behandelt, können sich die Borrelia burgdorferi-Bakterien im Körper ausbreiten und langfristige Beschwerden wie Gelenkentzündungen verursachen. In den meisten Fällen kann die sogenannte Lyme-Arthritis mit Antibiotika behandelt werden, aber bei einem kleinen Prozentsatz bessert sich der Zustand trotz Beseitigung der Bakterien nicht. Diese Form der Arthritis wird als antibiotikaresistente Lyme-Arthritis (ALRA) bezeichnet und erfordert häufig eine spezielle Behandlung mit krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (DMARDs), die das Immunsystem regulieren.

Obwohl bekannt ist, dass Immunzellen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser chronischen Entzündung spielen, waren die genauen molekularen Mechanismen der antibiotikaresistenten Verlaufsformen der Lyme-Arthritis bislang unklar. Dr. Johannes Dirks und PD Dr. Henner Morbach von der Pädiatrischen Entzündungsmedizin des Uniklinikums Würzburg (UKW) haben nun gemeinsam mit einem interdisziplinären Team zentrale Fehlreaktionen des Immunsystems entschlüsselt. Ihre im renommierten Journal of Clinical Investigation veröffentlichte Studie beleuchtet die Rolle des Immunsystems bei der Entstehung chronischer Gelenkentzündungen und liefert wichtige Hinweise für eine genauere Diagnose und effektivere Therapie dieser belastenden Erkrankung. Die Bedeutung der Arbeit wird durch einen begleitenden Kommentar des Entdeckers der Lyme-Arthritis, Dr. Allen Steere von der Harvard Medical School in Boston, unterstrichen.

Genetische Veranlagung für fehlgeleitete Immunantwort

Allen Steere beschrieb die Lyme-Arthritis erstmals 1976, nachdem in der Gegend von Lyme, Connecticut, mehrere Fälle bei Kindern aufgetreten waren, die zunächst fälschlicherweise als rheumatische Erkrankungen diagnostiziert worden waren. Nach der Entdeckung von Borrelia burgdorferi im Jahr 1982 konnte die Mehrzahl der Betroffenen erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden. Das Nichtansprechen auf die Therapie wurde auf eine genetische Prädisposition für eine fehlgeleitete Immunantwort zurückgeführt. Die Patientinnen und Patienten trugen vermehrt bestimmte HLA-Moleküle (HLA = Human Leukocyte Antigene), die dem Immunsystem ein Borrelien-Antigen so präsentierten, dass sich die Immunreaktion gegen den eigenen Körper richtete, statt die Infektion zu bekämpfen.

TCR-β-Motiv unterscheidet ARLA von anderen rheumatischen Erkrankungen

Johannes Dirks und das Würzburger Team haben in den Gelenken von ARLA-Patientinnen und -Patienten aus Deutschland eine besondere Art der Immunantwort entdeckt, die durch T-Zell-Rezeptoren (TCR) gesteuert wird. T-Zell-Rezeptoren sind Proteine auf der Oberfläche von T-Zellen, einer Art weißer Blutkörperchen, die eine zentrale Rolle im Immunsystem spielen. Durch bioinformatische Analysen identifizierten die Forschenden ein charakteristisches Muster in den TCR, das ARLA-Patienten von anderen rheumatischen Erkrankungen unterscheidet, das sogenannte TCR-β-Motiv. Die Struktur in der β-Kette des TCR wird von T-Zellen genutzt, um fremde oder veränderte körpereigene Moleküle zu erkennen.

Unterschiede zwischen Immunantworten in Europa und Nordamerika

Interessanterweise korrelieren die TCR-β-Motive bei den ARLA-Patienten in Deutschland mit spezifischen genetischen Markern, HLA-DRB1*11 oder HLA-DRB1*13. Diese so genannten Allelen unterscheiden sich jedoch von den Varianten nordamerikanischer Patientinnen und Patienten.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Immunantwort bei ARLA-Patienten in Europa deutlich von der in Nordamerika unterscheidet, was vermutlich auf die unterschiedlichen Borrelien-Spezies zurückzuführen ist. Die bisherigen Forschungsergebnisse, die vor allem in Nordamerika gewonnen wurden, lassen sich daher nicht direkt auf die europäische Situation übertragen“, erklärt Henner Morbach, Leiter der Studie und Letztautor.

Spezifische T-Zell-Rezeptoren halten pathogene T-Helferzell-Reaktionen aufrecht

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie ist die Entdeckung, dass die TCR-gesteuerte Immunantwort zu einer starken Vermehrung von T-peripheren Helferzellen (Tph-Zellen) führt. Tph-Zellen senden entzündungsfördernde Signale aus und scheinen die chronische Entzündung in den Gelenken aufrechtzuerhalten.

Die Forschung in Deutschland geht weiter: „Durch die Identifizierung der spezifischen T-Zell-Rezeptormotive konnten wir erstmals das Genexpressionsmuster krankheitsspezifischer T-Zellen in den betroffenen Gelenken verfolgen. Diese Erkenntnisse sollen in weiteren Studien vertieft werden, um herauszufinden, gegen welche Strukturen sich die Immunantwort richtet – ob es sich um eine Autoimmunreaktion handelt oder um Bestandteile nicht mehr lebensfähiger Borrelien, die die Entzündung aufrechterhalten“, sagt Johannes Dirks.

Auswirkungen auf Diagnose und Behandlung

Das Studienteam, Allen Steere und die Fachwelt sind sich einig: Die Studienergebnisse werden weitreichende Auswirkungen auf die Diagnose und Behandlung von ARLA haben. Denn durch die Entdeckung spezifischer Immunmarker könnte es Ärztinnen und Ärzten künftig möglich sein, die Erkrankung früher zu diagnostizieren und von anderen chronischen Gelenkentzündungen zu unterscheiden. Auch die Erkenntnisse über die Rolle der Tph-Zellen und des TCR-β-Motivs bieten neue Ansätze für therapeutische Interventionen. Zukünftige Behandlungen könnten diese spezifischen Immunwege gezielt modulieren, um Entzündungen zu verringern und das Fortschreiten der Krankheit zu stoppen.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, das überschießende Immunsystem frühzeitig ins Visier der Therapie zu nehmen, statt immer wieder auf Antibiotika zu setzen“, betont Henner Morbach.

Auch über die Lyme-Arthritis hinaus könnte die Forschung wertvolle Erkenntnisse darüber liefern, wie Infektionen chronische Entzündungen und Autoimmunreaktionen auslösen. Daraus könnten neue Strategien zur Vorbeugung und Behandlung anderer Autoimmunerkrankungen entwickelt werden.

Forschungsförderung

Die Untersuchungen wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert (Morbach 2160/4-1). Henner Morbach wird durch das Advanced Clinician Scientist Programm INTERACT des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert (BMBF, 01EO2108), das in das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) des Universitätsklinikums Würzburg integriert ist. Johannes Dirks wird durch das Clinical Leave Program des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) gefördert.

Publikation

Disease-specific T cell receptors maintain pathogenic T helper cell responses in postinfectious Lyme arthritis. Johannes Dirks, Jonas Fischer, Julia Klaussner, Christine Hofmann, Annette Holl-Wieden, Viktoria Buck, Christian Klemann, Hermann J. Girschick, Ignazio Caruana, Florian Erhard, Henner Morbach. J Clin Invest. 2024;134(17):e179391. https://doi.org/10.1172/JCI179391.

Text: Kirstin Linkamp / UKW