Das GesundheitsPortal für innovative Arzneimittel, neue Therapien und neue Heilungschancen
Erste Leitlinie zur Lebertransplantation treibt Harmonisierung und Standardisierung voran
Leipzig. Nach der Transplantation der Niere ist die Lebertransplantation die am zweithäufigsten durchgeführte Organverpflanzung in Deutschland. Wie lässt sich bei Lebertransplantationen das Management auf der Warteliste optimieren? Wie sollte eine Suppression des Immunsystems bestmöglich erfolgen? Und welche Mindestanforderungen gelten bei der Nachsorge der Patienten? Diese und weitere Fragen beantwortet die erste deutschsprachige Leitlinie zur Lebertransplantation, die seit kurzem in gedruckter Version vorliegt. Ihr Ziel ist es, über eine Vereinheitlichung von Diagnostik und Therapie bei Lebertransplantationen die Versorgung der Patient:innen vor und nach der Operation zu verbessern.
Die Leitlinie bietet erstmals einen Überblick über sämtliche Themen, die im Zusammenhang mit einer Lebertransplantation von Bedeutung sind. Sie wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) erarbeitet. Beteiligt waren 19 Fachgesellschaften – von der Infektiologie über die Ernährungsmedizin bis zur Intensivmedizin und Anästhesie – sowie weitere Organisationen, Selbsthilfegruppen und Patientenvertretungen. In insgesamt elf paritätisch besetzten Arbeitsgruppen floss sowohl hepatologisch-internistische als auch chirurgische Expertise ein. Diese Vielfalt und die breite Mitwirkung gewährleisten die nötige Interdisziplinarität und eine patientenorientierte Perspektive der Leitlinie.
Prof. Thomas Berg, Leiter des Bereichs Hepatologie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL), war als einer von vier Koordinatoren maßgeblich an der Erarbeitung der Leitlinie beteiligt. Er erläutert den Hintergrund der Entstehung der Leitlinie: „Vor allem seit den Neunzigerjahren hat die Zahl von Lebertransplantationen in Deutschland stark zugenommen. Dies führte dazu, dass sich in den einzelnen Zentren trotz ähnlicher Hauptindikationen jeweils ein eigenes Management herausgebildet hat. Hinzu kommt, dass im Bereich der Lebertransplantationen die Evidenz durch randomisierte Studien nicht sehr hoch ist. Daher ist gerade hier eine Harmonisierung und eine Standortbestimmung über die Indikation hinaus sehr wichtig. Dazu soll die neue Leitlinie beitragen, die wir bewusst sehr übersichtlich und praxisbezogen gehalten haben und auf die sich jetzt alle Beteiligten beziehen und verlassen können. Ich freue mich sehr, dass wir mit dem 350 Seiten starken Werk einen Standard geschaffen haben – und gleichzeitig eine Basis, von der aus wir auch in Zukunft weiter arbeiten werden.“
Die Leitlinie bildet umfassend, aber dennoch klar strukturiert sämtliche Bereiche der Lebertransplantation ab. Prof. Thomas Berg stellt einen weiteren Aspekt heraus: „Die mit der Leitlinie angestrebte Harmonisierung kann auch dazu beitragen, die Zusammenarbeit zwischen den Lebertransplantationszentren innerhalb Deutschlands zu verbessern und die Forschung zur Lebertransplantation hierzulande zu befördern.“
So bearbeitet die Leitlinie beispielsweise hinsichtlich der Evaluation und der therapeutischen Optionen beim akuten Leberversagen die Themenkomplexe Methodik der Indikationsstellung, notwendige Evaluationsuntersuchungen sowie Therapie des Auslösers. „Vor allem vor dem Hintergrund, dass bei akutem Leberversagen oft noch Hoffnung besteht, dass sich die Leber regeneriert und man daher eine Übertherapie durch Transplantation möglichst vermeiden will, gibt die Leitlinie zahlreiche wertvolle Hinweise, wie in einem solchen Fall in Abhängigkeit von der Grunderkrankung vorzugehen ist“, erläutert der Hepatologe. Ebenso wurden Minimalstandards und Kriterien bei der Evaluation unter besonderen Dringlichkeitskriterien (High-Urgency-Meldung) festgelegt. „Oft geht es hier um einen Zeitraum von nur wenigen Tagen, innerhalb derer ein neues Organ zur Verfügung stehen muss“, so der Leberexperte. Deshalb können oft schon aus zeitlichen Gründen nicht sämtliche Evaluationsuntersuchungen durchgeführt werden. Darüber hinaus geht es um eine möglichst frühzeitige Erkennung des Auslösers einer Lebererkrankung, um zügig mit einer Therapie beginnen zu können. Den aktuellen Stand der hierfür eingesetzten Verfahren stellt die Leitlinie umfassend dar.
Ein weiterer Schwerpunkt, der in der Leitlinie behandelt wird, betrifft die Evaluation von Patient:innen mit Zirrhose und sogenanntem akut-auf-chronischem Leberversagen sowie deren Management auf der Warteliste für eine Lebertransplantation. Klar und sehr praxisnah werden Minimalstandards für die Evaluationsuntersuchung, auch in Abhängigkeit von der Dringlichkeit, gesetzt. Dadurch wird die bestehende Richtlinie der Bundesärztekammer um zusätzliche Aspekte ergänzt.
Wichtige Hinweise, wie das Überleben nach einer Operation verbessert werden kann, finden sich ebenfalls in der Leitlinie. Dies beginnt bereits bei einem guten Wartelistenmanagement. Darüber hinaus werden zur gezielten Unterdrückung des Immunsystems (Immunsuppression) bestimmte Korridore vorgegeben. Ebenso sollte die Immunsuppression an die Art der Grunderkrankung angepasst werden.
Ausführlich behandelt die Leitlinie auch die Themen Nachsorge und Langzeitverlauf nach einer Transplantation. Hierbei unterscheidet sie zum einen mögliche frühe postoperative Komplikationen vom späteren Langzeitmanagement und setzt zugleich Minimalstandards – beispielsweise dazu, in welchen Abständen Nachuntersuchungen durchgeführt werden sollten und welche sich als sinnvoll und zielführend erwiesen haben.
Im Kapitel zur Leberlebendspende ist anschaulich aufbereitet, wie Evaluation und Voraufklärung von Spender und Empfänger stattfinden sollen, welcher Personenkreis einzubinden ist, welche Vorgaben notwendig sind und wie schließlich die Spende ablaufen sollte. „Das ist ein Leitfaden, den sich jeder, der damit zu tun hat, auf den Schreibtisch legen sollte“, rät Prof. Thomas Berg, dem im Zusammenhang mit der Leitlinie auch das Thema der alkoholbedingten Leberschädigung und hier insbesondere die oft anzutreffende Stigmatisierung der betroffenen Patienten am Herzen liegt: „Viele zeigen wenig Verständnis dafür, dass Menschen, die sich vermeintlich selbstverschuldet durch übermäßigen Alkoholkonsum in diese Lage gebracht haben, mit einer Lebertransplantation geholfen werden soll. Dabei sollte jedoch immer auch die individuelle Situation der Betroffenen in Betracht gezogen werden“, rät der Hepatologe zu einer differenzierten Betrachtung. „Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, dass die Leitlinie flexiblere und umfassendere Kriterien definiert. So ist es beispielsweise nicht zielführend, an der sechsmonatigen Alkohol-Karenz festzuhalten, wenn ein Patient diese sechs Monate vermutlich nicht überleben wird.“ Die Leitlinie sei hier ein wichtiger Schritt, die Therapiemöglichkeiten für Patient:innen mit einer Alkohol-bezogenen Erkrankung ein Stück weit zu verbessern.