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Das Knochenmark im Schädel wächst im Laufe des Lebens und bleibt im Alter gesund
Blutgefäße und Stromazellen im Knochenmark schaffen eine ideale Umgebung für hämatopoetische Stammzellen, um Blutzellen zu produzieren. Mit zunehmendem Alter verschlechtern sich diese kritischen Nischenkomponenten und das Knochenmark bildet weniger gesunde Blutzellen, was zu Entzündungen und Krankheiten führt. Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster entdeckten, dass das Schädelknochenmark eine überraschende Ausnahme darstellt und die Blutproduktion während des Lebens sogar erhöht. Spezialisierte Blutgefäße wachsen weiter und treiben die Expansion des Schädelknochenmarks an – ein einzigartiger Fall von lebenslangem Gefäßwachstum im alternden Körper.
Die zelluläre Mikroumgebung des Knochenmarks steuert die Selbsterneuerung und das Schicksal der hämatopoetischen Stammzellen, aus denen alle Blutzellen unseres Körpers hervorgehen. Dieses komplexe und fein abgestimmte Netzwerk zur Aufrechterhaltung der HSCs wird mit zunehmendem Alter gestört, was zu einer überverhältnismäßigen Bildung von Immunzellen und einem allgemeinen Funktionsverlust des Immunsystems führt. Blutgefäße, ein wesentlicher Bestandteil dieser Nische, nehmen in den meisten Organen mit zunehmendem Alter an Zahl und funktioneller Integrität ab. Übermäßige Fettablagerung, Knochenschwund, schwere Entzündungen und eine starke Bevorzugung myeloischer Zellen gegenüber Lymphozyten sind ebenfalls wichtige Merkmale des Alterungsprozesses des Knochenmarks.
Die meisten Knochen in unserem Körper enthalten Knochenmark, aber lange Knochen wie die in Armen und Beinen und flache Knochen wie der Schädel entstehen durch unterschiedliche Entwicklungs- und Verknöcherungsprozesse. Aufgrund seiner dünnen und nahezu transparenten physikalischen Eigenschaften wird der Schädel von Mäusen seit langem als Plattform für die intravitale Bildgebung verwendet, um die Aktivität von HSCs im Knochenmark lebender Mäuse zu beobachten. Man geht davon aus, dass die zelluläre Umgebung im Knochenmark in den verschiedenen Knochen vergleichbar ist.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts haben diese gängige Annahme in Frage gestellt und dabei eine neue Frage aufgeworfen: Altern alle Kompartimente des Knochenmarks gleich? Sie fanden heraus, dass das Knochenmark des Schädels ganz besondere Eigenschaften besitzt, die es ihm ermöglichen, sich im Erwachsenenalter kontinuierlich zu vergrößern und ein Leben lang erstaunlich widerstandsfähig gegen Alterungserscheinungen zu bleiben.
Diese bemerkenswerte Beobachtung machte ein Team von Max-Planck-Forschern unter der Leitung von Ralf H. Adams mit einer speziellen Bildgebungsmethode, die das gesamte Gefäßnetz und alle Knochenmarkzellen im gesamten Schädeldach, dem Calvarium, sichtbar macht. Mit dieser In-vivo-Immunfluoreszenzmethode konnten die Wissenschaftler die allgemeinen Veränderungen im Schädelknochenmark während des Alterns vergleichen.
Bong-Ihn Koh, Erstautor der Studie und Postdoktorand im Labor von Ralf H. Adams, stieß auf eine völlig unerwartete Veränderung, als er die Schädel von ausgewachsenen jungen erwachsenen Mäusen mit denen von 95 Wochen alten geriatrischen Mäusen verglich: „Im Schädel der jungen Erwachsenen befindet sich sehr wenig Knochenmark, und ich hatte nicht erwartet, dass sich die Gesamtmenge des Knochenmarks im Laufe des Alterns wesentlich verändert. Aber als ich zum ersten Mal die Schädel der alten Mäuse betrachtete, war ich überrascht zu sehen, dass das Calvarium nun vollständig mit Knochenmark gefüllt und voller Blutgefäße war.“ Dieses kontinuierliche Wachstum des Knochenmarks im Schädel wurde auch in Computertomographien (CT)-Scans von jungen Erwachsenen im Vergleich zu älteren Menschen beobachtet.
Durch den Einsatz verschiedener pharmakologischer Behandlungen zur Modulation der Blutgefäße entdeckten die Wissenschaftler, dass das kontinuierliche Wachstum der Blutgefäße im Knochenmark des Schädels zu dessen beträchtlicher Ausdehnung im Laufe des Lebens führt. „Die meisten Gefäßbetten in verschiedenen Organen unseres Körpers würden mit zunehmendem Alter an Zahl und Funktion abnehmen. Die massive Expansion des Knochenmarks im Schädel während des Alterns war definitiv eine Überraschung, aber die signifikante Zunahme der Blutgefäße im Knochenmark des Schädels war noch überraschender. Wir glauben, dass dies ein sehr einzigartiger Fall von lebenslangem Gefäßwachstum in unserem Körper ist“, sagt Koh.
Nicht nur das Knochenmark und Gefäßsystem des Schädels wuchsen mit zunehmendem Alter beträchtlich, sondern auch die zelluläre Umgebung der HSCs blieb gegenüber den wichtigsten Altersmerkmalen resistent und erstaunlich gesund. „Alle wichtigen Altersmerkmale, die im Oberschenkelknochen alternder Mäuse beobachtet wurden, wie übermäßige Fettablagerung, Entzündungen und eine Vorliebe für bestimmte Arten von Immunzellen, waren im Knochenmark des Schädels derselben Mäuse praktisch nicht vorhanden. Verschiedene funktionelle Experimente bestätigten schließlich, dass die alternde zelluläre Umgebung des Schädelknochenmarks die HSCs in einem besseren Zustand hält als in den langen Knochen“, sagt Koh.
Die aktuelle Studie zeigte auch mehrere Unterschiede in den molekularen Signalwegen der HSCs und der Endothelzellen, die die Blutgefäße des Knochenmarks bilden, zwischen dem Knochenmark des Schädels und dem Oberschenkelknochen alter Mäuse. „Obwohl wir jetzt wissen, dass das Knochenmark im Schädel auch im Alter noch wächst und erstaunlich gesund bleibt, müssen wir noch herausfinden, wie diese nährende und widerstandsfähige Zellumgebung geschaffen und erhalten wird“, sagt Koh. „Das ist erst die Spitze des Eisbergs. Wenn wir verstehen, wie bestimmte Komponenten der Nische auf einzigartige Weise reguliert werden, können wir dieses Wissen nutzen, um auch andere Kompartimente des Knochenmarks widerstandsfähig gegen das Altern zu machen.“
Diese bahnbrechende Studie, die in Nature veröffentlicht wurde, ist nicht nur ein bedeutender Beitrag zur Altersforschung, sondern hat auch das große Potenzial, unser Verständnis von spezialisierten Funktionen zwischen ähnlichen Geweben grundlegend zu verändern, wie zum Beispiel die spezielle immunologische Funktion des Knochenmarks im Schädel im gesunden Körper und bei verschiedenen Krankheiten.
Diese interdisziplinäre Studie wurde in Zusammenarbeit mit Young Jun Choi vom Asan Medical Center, Peter Vajkoczy von der Charité-Universitätsmedizin Berlin und Daniela S. Krause von der Universitätsmedizin Mainz durchgeführt.
Originalpublikation:
Adult skull bone marrow is an expanding and resilient haematopoietic reservoir
Bong Ihn Koh, Vishal Mohanakrishnan, Hyun-Woo Jeong, Hongryeol Park, Kai Kruse, Young Jun Choi, Melina Nieminen-Kelhä, Rahul Kumar, Raquel S. Pereira, Susanne Adams, Hyuek Jong Lee, M. Gabriele Bixel, Peter Vajkoczy, Daniela S. Krause, Ralf H. Adams
Nature, 13. November 2024
DOI: 10.1038/s41586-024-08163-9