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Chromosomen-Chaos fördert Therapieresistenz von Leukämiezellen und eröffnet neue Behandlungsansätze

Chromosomale Instabilität spielt eine entscheidende Rolle beim Fortschreiten von Krebserkrankungen: Sie formt die Eigenschaften der Tumorzellen und treibt die Entstehung von Therapieresistenzen an. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom DKFZ, vom Heidelberger Stammzellinstitut HI-STEM* und vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) setzten modernste Methoden der Einzelzell-Analyse ein, um die zelluläre Heterogenität einer bestimmten Form der akuten myeloischen Leukämie zu analysieren. Ihre Daten zeigen, wie genetische und nicht-genetische Faktoren die funktionelle Heterogenität der Blutkrebszellen bestimmen und zeigen neue therapeutische Ansatzpunkte auf.

Insbesondere unter dem Selektionsdruck von Krebstherapien durchlaufen Tumorzellen eine regelrechte Evolution, um sich den veränderten Bedingungen anzupassen – und entkommen dadurch oft der Therapiewirkung. Diese Evolution unter Therapiedruck wird durch eine Kombination aus genetischen Veränderungen und nicht-genetischen Einflüssen vorangetrieben. Dabei spielen epigenetische Modifikationen und Veränderungen im Transkriptom eine zentrale Rolle, die die Anpassung und Aktivierung von Proliferations- und Überlebensprogrammen fördern.

So entsteht eine extrem heterogene Population an Krebszellen mit unterschiedlichen Eigenschaften in jedem Patienten – wobei es für die Experten fast unmöglich ist zu erkennen, welche zelluläre Veränderung sich wie auf die Überlebensfähigkeit oder Aggressivität des Tumors auswirkt.

Dies gilt nicht im gleichen Maße für alle Krebsarten. Besonders betroffen sind beispielsweise Patienten mit einer speziellen Form von Blutkrebs, der akuten myeloischen Leukämie mit komplexem Karyotyp (CK-AML). In den Chromosomen dieser Leukämiezellen herrscht enorme Unordnung: Abschnitte sind verloren, verdoppelt oder falschherum eingefügt. Experten bezeichnen diesen chaotischen Zustand als chromosomale Instabilität oder auch als „Chromothripsis“. Die Prognose der Betroffenen ist deutlich schlechter als die von AML-Patienten mit regelrechten Chromosomensätzen, da ihre Erkrankung oft auf keine der verfügbaren Therapien anspricht.

„Zwar halten alle Experten das chromosomale Chaos für die Ursache des schlechten therapeutischen Ansprechens dieser Leukämiezellen – doch niemand weiß bislang genau, welche molekularen Veränderungen sich wie genau auf das Fortschreiten der Erkrankung und auf die Resistenzentstehung auswirken“, sagt Maija Leppä, Erstautorin der Arbeit. Um die Wissensgrundlagen für die Entwicklung besserer Therapien zu schaffen, hat ein Team um Andreas Trumpp, HI-STEM-Direktor und Leiter der Abteilung „Stammzellen und Krebs“ am DKFZ und Jan Korbel vom EMBL nun die Heterogenität und Evolution der CK-AML in bisher nie dagewesener Detailtiefe analysiert. Die Proben stammten von acht Patienten vor Beginn der Behandlung, von zwei weiteren Patienten wurden Proben sowohl vor als auch nach der Therapie entnommen.

Die molekularen Analysen auf Einzelzell-Ebene erfassten strukturelle genomische und epigenetische Varianten in ein- und derselben Zelle sowie Untersuchungen des Transkriptoms sowie der Zelloberflächenproteine.

Dabei deckten die Forschenden eine enorme zelluläre und molekulare Heterogenität von Leukämiezellen innerhalb der Erkrankung jedes einzelnen Patienten auf. Das Erbgut war teilweise extrem umgebaut, mit bis zu 64 strukturellen Genomveränderungen in einer einzelnen Krebszelle. In sechs der acht Proben fanden sich mehrere Subklone von Leukämiezellen. Auch die Evolution der Klone ließ sich mit diesen Analysemethoden nachvollziehen: Neben einer linearen Abfolge gab es auch hochverzweigte Entstehungsmuster, bei denen zahlreiche Subklone zur gleichen Zeit nachweisbar waren.

An sogenannten „patient derived xenografts“ (auf immunsupprimierte Mäuse übertragene Leukämiezellen) konnten die Forscher die molekulare Evolution dieser Subklone mitverfolgen und untersuchen, welche molekularen Veränderungen hinter der Dominanz einzelner Klone stecken. Ein einzelner Subklon etwa, der nur ca. fünf Prozent der ursprünglichen AML ausmachte, erwies sich bei den Transplantationen auf Mäuse als sehr dominant und war auch für den Rückfall der Erkrankung des Patienten verantwortlich, während die anderen Subklone von der Chemotherapie eliminiert wurden.

Bei einer ex vivo-Wirkstoffprüfung konnten für einige Subklone, die gegen die Standardtherapie resistent waren, therapeutische Alternativen aufgezeigt werden. So sprachen beispielsweise Klone, gegen die das Medikament Venetoclax, (das den überlebensfördernden Faktor Bcl-2 blockiert) nicht mehr wirkte, auf den Wirkstoff Elesclomol an, der oxidativen Stress in den Leukämiezellen auslöst.

Längsschnittanalysen von Patientenproben vor und nach Therapiebeginn konnten bestimmte genomische Ereignisse als Ursachen für einen Rückfall der Erkrankung identifizieren. So entwickelten sich beispielsweise Leukämiezellen mit ausgeprägteren Stammzelleigenschaften und aggressiverem Wachstum in Zusammenhang mit der Aktivierung des Ras-Signalwegs, gegen den gerade weltweit neue Medikamentenklassen entwickelt werden.

„Durch den Einsatz modernster Einzellzell-Analysen illustrieren wir hier beispielhaft die zelluläre Heterogenität der CK-AML und zeigen die evolutionären Prozesse, die sie durchläuft. Unsere Arbeit liefert ein Modell, wie in Zukunft Leukämiestammzellen, die die Erkrankung und Therapieresistenz antreiben, frühzeitig identifiziert und gezielt bekämpft werden können. Auch andere Krebsarten mit chromosomalem Chaos, wie beispielsweise Karzinom-Metastasen, können mit dieser Technologie viel präziser untersucht werden“, resümiert Andreas Trumpp.

Leppä, M. et al.: Single-cell multiomics analysis reveals dynamic clonal evolution and targetable phenotypes of acute myeloide leukemia with komplex karyotype.
Nature Genetics 2024, DOI: 10.1038/s41588-024-01999-x

*Das Heidelberger Institut für Stammzellforschung und experimentelle Medizin (HI-STEM) gGmbH wurde 2008 als Public-Private-Partnership von DKFZ und Dietmar Hopp Stiftung gegründet.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.