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Datenbankstudie liefert robuste Evidenz: Prasugrel überzeugt in der klinischen Praxis
Eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), basierend auf klinischen Routinedaten einer deutschen Krankenkasse, bestätigt die Überlegenheit des Thrombozytenaggregationshemmers Prasugrel gegenüber Ticagrelor bei der Behandlung von akuten Koronarsyndromen (ACS). Die Arbeit bestätigt einerseits Erkenntnisse der randomisierten ISAR-REACT5-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit beider Medikamente und zeigt andererseits, wie innovative Datenbankanalysen randomisierte Studienergebnisse ergänzen können.
Die 2019 veröffentlichte und DZHK-finanzierte randomisiert kontrollierte Studie ISAR-REACT5 hatte gezeigt, dass Prasugrel bei Patient:innen mit akutem Koronarsyndrom (ACS) gegenüber Ticagrelor überlegen ist. Allerdings war bislang unklar, ob diese Ergebnisse auch auf die klinische Praxis übertragbar sind. Das Forschungsteam nutzte Krankenversicherungsdaten von 17.642 Patient:innen mit ACS, um der Fragestellung von ISAR-REACT5 in einer realen Versorgungssituation nachzugehen.
In der klinischen Praxis zeigte Prasugrel gegenüber Ticagrelor ein signifikant reduziertes Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall), wenn die Ein- und Ausschlusskriterien der ISAR-REACT5-Studie in der Datenbank nachgestellt wurden. Das Ergebnis ist vergleichbar mit dem der randomisierten Studie, die ebenfalls eine signifikante Risikoreduktion für Prasugrel gegenüber Ticagrelor berichtete.
Hinsichtlich des Sicherheitsendpunktes (schwere Blutung) gab es sowohl in der Routineversorgung als auch in der ISAR-REACT5-Studie keinen signifikanten Unterschied zwischen Prasugrel und Ticagrelor. Besonders hervorzuheben ist, dass die Ergebnisse bei Patient:innen mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) deutlicher ausfielen. Hier war Prasugrel sowohl in der randomisierten Studie als auch in der Routineversorgung die überlegene Behandlungsoption.
„Die Bestätigung unserer Studienergebnisse durch diese wichtige Datenbankanalyse ist äußerst erfreulich“, sagt Prof. Dr. med. Adnan Kastrati aus dem Deutschen Herzzentrum München, Studienleiter der randomisierten ISAR-REACT5-Studie. „Die Arbeit zeigt, wie wichtig es ist, die Generalisierbarkeit von RCT-Ergebnissen auch in der klinischen Praxis zu überprüfen, um die Versorgung evidenzbasiert weiterzuentwickeln.“
Können Beobachtungsstudien klinische Studien langfristig ersetzen?
Können Beobachtungsstudien zukünftig klinische Studien in der Kardiologie sogar ersetzen? Diese Frage beantwortet Dr. med. Nils Krüger vom TUM Universitätsklinikum, Deutsches Herzzentrum München, DZHK-Wissenschaftler und Autor der Studie. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine gut konzipierte und sorgfältig durchgeführte Datenbankstudie zu denselben klinischen und regulatorischen Entscheidungen führen kann, wenn die zugrundeliegenden Daten die Studienpopulation und Versorgung ausreichend abbilden. Außerdem haben wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung, diese großen Datensätze zu analysieren und die darin enthaltene Evidenz zu extrahieren“, erklärt Krüger.
Der große Vorteil von Routinedatenanalysen ist ihre Effizienz: sie nutzen bereits vorhandene Daten, wie in diesem Fall deutsche Krankenkassendaten, und ermöglichen so eine schnelle und kostengünstige Durchführung. Der neue Ansatz ist besonders dann relevant, wenn randomisiert kontrollierte Studien, auch RCT genannt, aufgrund ethischer oder praktischer Hindernisse schwer oder nicht durchführbar sind. „Während RCTs oft auf idealisierten Versuchsbedingungen basieren, spiegeln Beobachtungsstudien die tatsächliche klinische Praxis wider. Unsere Ergebnisse bestätigen, dass Prasugrel in der Routineversorgung ähnlich wirksam und sicher ist wie in der kontrollierten Umgebung einer RCT“, so Krüger.
Ein Paradigmenwechsel in der Evidenzgenerierung
Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Routinedaten, die auch in Deutschland durch das verabschiedete Gesundheitsdatennutzungsgesetz umfassend zugänglich werden, beobachtet das Münchner Forschungsteam einen Paradigmenwechsel in der Evidenzgenerierung. „Wenn wir die Daten systematisch daraufhin untersuchen, unter welchen Umständen sie verlässliche Schlussfolgerungen zulassen, können wir künftig auch neuartige, hoch relevante Fragestellungen mit größerem Vertrauen beantworten – zum Beispiel in Bereichen, in denen RCTs oft unzureichende Erkentnisse liefern, wie etwa die Frage nach der Wirksamkeit kardiovaskulärer Therapien spezifisch bei Frauen oder bei älteren, multimorbiden Patienten“, ergänzt Krüger.
Aufbauend auf den Erkenntnissen der vorgestellten Studie, für die Krüger mit einem Young Investigator Award der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ausgezeichnet wurde, forscht der junge Arzt an der Harvard Medical School in Boston, USA, an der Entwicklung neuer Methoden zur Ableitung kausaler Effekte aus Routinedaten. Dazu gehören weitere Arbeiten, die Fragen randomisierter Studien nachstellen, die Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit neuer Therapiestrategien für seltene kardiovaskuläre Erkrankungen, sowie der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz zur Vorhersage individueller Behandlungseffekte. „Ziel dieser Arbeiten ist es, die kardiovaskuläre Versorgung auf Basis praxisrelevanter Evidenz weiter zu verbessern“, so Krüger.
Die in JAMA Network Open veröffentlichte Studie unterstreicht die Bedeutung der Entwicklung innovativer Studien, die Ergebnisse von RCTs in der Praxis validieren und die zugrundeliegenden Daten bewerten, um neue Evidenz für klinische Entscheidungsfindung zu generieren.
Originalpublikation:
Ticagrelor vs Prasugrel for Acute Coronary Syndrome in Routine Care. Krüger N, et al., JAMA Network Open doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.48389