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Neue Krebstherapien: Resistenzen vorbeugen und überwinden
Die jüngste Generation an Medikamenten, die insbesondere im Bereich der Onkologie zum Einsatz kommen soll, setzt auf einen gezielten Abbau schadhafter, krankheitserregender Proteine mittels sogenannter Degrader. WissenschafterInnen am CeMM, dem Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, sowie der University of Dundee (UK) identifizierten nun in einer aktuellen Studie potenzielle Resistenzmechanismen und Hinweise darauf, wie diese überwunden werden können.
Während traditionelle, zielgerichtete Krebstherapien vorwiegend auf Inhibitor-Medikamente zurückgreifen, bei denen krankheitserregende Proteine gebunden und in ihrer Funktionalität gehemmt werden, setzt die neueste Generation an Medikamenten auf sogenannte „Degrader“. Diese forcieren den gezielten Abbau der schadhaften Proteine, man spricht dabei von einer „targeted protein degradation“. Dadurch soll eine höhere Wirksamkeit erreicht, und gleichzeitig Arzneimittelresistenzen besser überwunden werden. In der Forschungsgruppe von CeMM Principal Investigator Georg Winter widmet man sich bereits seit vielen Jahren der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung derartiger Degrader. Die chemischen Moleküle rekrutieren das schadhafte, krankheitsverursachende Protein zu einem Protein der zelleigenen Müllabfuhr, einer sogenannten E3-Ubiquitin Ligase, die wiederum den Abbau des schadhaften Proteins ankurbelt. Alexander Hanzl, PhD Student in Winters Labor am CeMM, untersuchte in einer Studie, welche Resistenzen im Laufe dieses Prozesses entstehen können. Er erklärt: „Eine Herausforderung bei Degradern besteht darin, dass diese gleich an zwei Stellen binden müssen – sowohl an das schadhafte Protein als auch an ein Protein der E3-Ligase, unseres zelleigenen Abbausystems. Umso wichtiger ist es, den Prozess der Bindung und Ubiquitinierung funktionell genau zu verstehen. Nur so können Degrader bestmöglich modelliert werden.“
Ergebnisse bestätigen bereits beobachtbare Resistenzen
In ihrer Studie konnten die StudienautorInnen in den Zellkulturen eine Vielzahl an Mutationen an den E3-Ligasen als resistenzenmediierend identifizieren – darunter auch jene, die bereits in Patientinnen und Patienten festgestellt wurden, deren Therapie mit Degradern nicht erfolgreich war. Studienleiter Georg Winter erklärt: „Wir haben eine Vielzahl unterschiedlicher Proteine und Degrader getestet. Einerseits sehen wir, dass manche Mutationen in E3-Ligasen die Rekrutierung des schadhaften Proteins unterbinden. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass manche dieser Mutationen gegenüber chemisch veränderten Degradern eine hohe Sensitivität aufweisen. Daraus lässt sich schließen, dass Mutationen durch Veränderung des Degraders überwunden werden, das heißt Resistenzen abgebaut werden können“. Die Ergebnisse der Studie haben somit nicht nur theoretische, sondern auch klinische Relevanz.
Wirksamkeit signifikant erhöhen
Zahlreiche Degrader-Medikamente werden aktuell in klinischen Studien getestet, einige stehen Patientinnen und Patienten bereits zur Verfügung, insbesondere für verschiedene Blutkrebsarten. Das Verstehen von Resistenzmechanismen ermöglicht es, die Medikamente weiter zu verbessern. „Traditionelle Therapeutika, die den Ansatz verfolgen eine isolierte Funktion eines Proteins zu blockieren, erreichen nur rund 20 Prozent unsere Proteine. Die anderen 80 Prozent verfügen über keine geeignete Bindungsstelle und sind somit nicht erschließbar. Wir sehen in der neuen Generation an Medikamenten mittels Degradern zum zielgerichteten Proteinabbau ein großes Potenzial, dass man hier signifikant erhöhen kann und vielleicht in Zukunft bis zu 80 Prozent der Proteine erreicht“, so Winter.
Die Studienergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag zum verbesserten Design von Degradern. Insbesondere Krebs-Patientinnen und -Patienten könnten davon in Zukunft profitieren.
Alessio Ciulli, Professor an der University of Dundee, ergänzt: „Zum ersten Mal konnten wir auf molekularer Ebene untersuchen, wie durch diese E3-Ligase-Mutationen eine Arzneimittelresistenz entsteht. Dies ist äußerst wichtig, da diese Ergebnisse den Mechanismus aufzeigen, der Auskunft darüber geben kann, wie ein Patient auf diese Medikamente reagieren könnte.“
Förderung: Georg Winters Forschungsgruppe wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (Grant Agreement 851478) sowie vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF, Projekte P32125, P31690 und P7909) gefördert.
Georg Winter absolvierte sein PhD Studium am CeMM, wo er im Labor von Giulio Superti-Furga an der Aufklärung des Wirkmechanismus von Antineoplastika arbeitete. Er spezialisierte sich auf Proteomik sowie chemisch-genetische Ansätze zur Identifizierung von Arzneimittelresistenzmechanismen und zur mechanistischen Aufklärung synergistischer Arzneimittelkombinationen. Nach der Promotion an der Medizinischen Universität Wien setzte er seine Ausbildung in chemischer Biologie fort und arbeitete als Postdoktorand bei James Bradner am Dana Farber Cancer Institute der Harvard Medical School. Dort entwickelte er eine pharmakologische Lösung für den Abbau von Zielproteinen und wandte diese Strategie auf die Untersuchung der Genregulation an. Seit 2016 ist Georg Winter Principal Investigator am CeMM. Sein Labor entwickelt Methoden und wendet diese für den Abbau von Zielproteinen an, um onkogene Transkriptionskreise zu verstehen und zu blockieren. Zu diesem Zweck kombiniert das Winter-Labor phänotypische Wirkstoff-Screenings, chemische Genetik und Ansätze zur Identifizierung von Wirkstoffzielen mit ganzheitlichen Messungen der globalen Genaktivität und der Genomstruktur. Ziel der Forschung von Georg Winter ist es, Grundlagenforschung zur Genregulation und zum Ubiquitin-Proteasom-System mit funktioneller Genomik und der Entwicklung chemischer Substanzen zu verbinden, um neue und personalisierte therapeutische Paradigmen zu entwickeln.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen.
Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
http://www.cemm.at
Originalpublikation:
Hanzl, A., Casement, R., Imrichova, H. et al. Functional E3 ligase hotspots and resistance mechanisms to small-molecule degraders. Nat Chem Biol (2022). https://doi.org/10.1038/s41589-022-01177-2