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ESH-Leitlinie: Pragmatische Blutdruckziele, Vermeidung von Folgekrankheiten und neue Risikofaktoren stehen im Fokus
Heute am späten Nachmittag wurde auf dem Kongress der „European Society of Hypertension“ Einblick in die neue europäische Leitlinie zur Behandlung von Bluthochdruck gegeben. Die wichtigsten Neuerungen umfassen eine vereinfachte Zielwertdefinition, eine verbesserte Bluthochdruckklassifikation, basierend auf dem Grad der vorliegenden hochdruckbedingten Organschädigungen, und neue Risikofaktoren, darunter u. a. Schlafstörungen, Migräne, Depression, Luftverschmutzung, Migrationshintergrund sowie die geschlechtsangleichende Hormontherapie bei transsexuellen Menschen.
Heute wurden in Mailand auf dem Kongress der „European Society of Hypertension“ (ESH) die „2023 ESH Guidelines for the Management of Arterial Hypertension“ vorgestellt. Dabei gibt es einige wesentliche Neuerungen im Vergleich zu den bisherigen Leitlinien von 2018:
Zunächst einmal wurden die Blutdruckzielwerte vereinfacht. Ab sofort ist die Empfehlung: Jede Patientin/jeder Patient sollte auf einen Wert unter 140/80 mm Hg eingestellt werden. Allein damit können die blutdruckbedingte Mortalität und Morbidität signifikant gesenkt werden. Eine Senkung auf Werte unter 130/80 mm Hg ist zwar mit einem noch besseren Therapieergebnis verbunden, sollte aber nur erfolgen, wenn die Patientinnen und Patienten unter einer intensiveren Therapie keine Nebenwirkungen entwickeln, die sie nicht tolerieren können. „Diese Zielwertdefinition ist eine pragmatische Lösung, die auch der Behandlungsrealität entgegenkommt. Denn was nützt es, wenn wir Betroffene auf niedrigere Werte einstellen, um das Risiko noch weiter abzusenken, sie die Therapie aber nicht vertragen und dann am Ende ganz absetzen? Das ist leider ein häufiges Szenario – wir wollen das Maximum an Risikosenkung und erreichen am Ende gar nichts damit.“ Prof. Markus van der Giet, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga, freut sich daher über den Spielraum, den die neue Leitlinie in der Praxis nun zulässt.
Auch eine weitere Neuerung begrüßt der Experte: Die Bluthochdruckdefinition wurde jetzt systematisch um Stadien erweitert. Bei Bluthochdruck Stadium 1 handelt es sich um eine unkomplizierte Bluthochdruckerkrankung, die noch nicht zu Schäden an den Organen geführt hat. Das Stadium 2 liegt vor, wenn bereits leichte Schädigungen der Organe durch Bluthochdruck erkennbar sind, z. B. eine noch nicht sehr weit fortgeschrittene chronische Nierenerkrankung, oder wenn begleitend zum Bluthochdruck ein Diabetes mellitus kommt. Bei Stadium 3 liegen bluthochdruckassoziierte Herz- oder Gefäßkrankheiten oder eine fortgeschrittene chronische Nierenkrankheit vor. „Diese Stadieneinteilung gab es auch schon vorher, war aber bisher in den Risikokalkulatoren versteckt zu finden. Sie ist bedeutsam, da sie das Risiko eines unbehandelten Bluthochdrucks klar vor Augen führt und auch die besondere Schwere bei bereits eingetretenen Endorganschäden darstellt. Noch immer ist vielen Menschen nicht klar, dass es sich bei Bluthochdruck um eine ernsthafte Erkrankung mit schweren Spätfolgen handelt. Durch die Herausstellung der Klassifikation wurde dies jetzt deutlich sichtbarer gemacht“, erklärt Prof. van der Giet. „Wir hoffen, dass dadurch mehr Menschen für die Erkrankung sensibilisiert werden und die Möglichkeiten zur Verbeugung – und bei Bedarf auch die Therapie – ernst nehmen, um den Beginn und das Fortschreiten von Bluthochdruck zu verhindern.“
Neben diesen beiden wichtigen Kernneuerungen hält die Leitlinie auch Überraschendes im Hinblick auf Risikofaktoren und Komorbiditäten bereit. Erstmals wurden in der Leitlinie auch Schlafstörungen, Migräne und Depression als Risikofaktoren für Bluthochdruck genannt. Bei Menschen mit diesen Krankheiten sollte regelmäßig eine Früherkennungsuntersuchung von Bluthochdruck erfolgen. Auch Luftverschmutzung und Migrationshintergrund werden als Risikofaktoren diskutiert, ebenso wie die geschlechtsangleichende Hormontherapie bei transsexuellen Menschen. Zudem werden Geschlechterunterschiede bei der Bluthochdruckpathophysiologie und -epidemiologie als neues Thema aufgenommen.
„Alles in allem stellt die neue Leitlinie eine wichtige Weiterentwicklung des bisherigen Therapiestandards dar, die auch gesellschaftliche Änderungen reflektiert. Darüber hinaus lässt sie den Ärztinnen und Ärzten etwas mehr Handlungsspielraum bei der Wahl der individuellen Behandlungsziele, sensibilisiert aber gleichzeitig für die Gefahren eines unzureichend eingestellten Bluthochdrucks. Die Deutsche Hochdruckliga begrüßt die neue Leitlinie und wird sich dafür einsetzen, dass sie schnell in der Behandlungspraxis umgesetzt wird“, so das Fazit des Vorstandsvorsitzenden.