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Die unermüdliche Virensucherin
Wie lassen sich Viren im Wasser und in der Luft unschädlich machen? Diese Frage beschäftigt Tamar Kohn, Professorin für Umweltwissenschaften und -engineering an der EPFL.
Ein Labyrinth von Gebäuden und Gängen führt zu Tamar Kohns Büro an der EPFL. Ohne Umwege kommt die Forscherin direkt auf den Kern ihrer Forschung zu sprechen, der sich in drei Stichworten zusammenfassen lässt: Viren, Wasser, Luft – oder besser vier, denn das Coronavirus verdient eine separate Nennung. So beteiligte sich die Forscherin während der Pandemie an der Entwicklung einer Methode zum Nachweis des Virus im Abwasser. Damit konnte der Verlauf der Pandemie genauer überwacht werden.
Tamar Kohn ist in Zürich aufgewachsen und hat dort Umweltwissenschaften studiert, wobei sie sich auf Umweltchemie und insbesondere auf Grundwassersanierung spezialisierte. Während ihres Postdocs an der University of California in Berkeley weckten die Viren im Wasser erstmals ihr Interesse. Seit 2007 forscht sie an diesem Thema an der EPFL und wurde dort vor Kurzem zur ordentlichen Professorin ernannt.
Tamar Kohn untersucht, was mit Viren passiert, die normalerweise Menschen befallen, wenn diese in die Umwelt gelangen und sich damit ausserhalb ihres bevorzugten, für Menschen eher abstossenden Lebensraums befinden. «Die meisten Viren im Wasser stammen aus Fäkalien», erklärt sie. Mit ihrer Forschungsgruppe untersucht sie Prozesse, mit denen diese Viren unschädlich gemacht werden können. In der natürlichen Umwelt geschieht dies durch Sonnenlicht, Hitze oder das Gefressenwerden von Mikroorganismen und Zooplankton. In Wasseraufbereitungsanlagen werden Desinfektionsverfahren unter Einsatz von UV-Strahlen, Ozon oder Chlor-Verbindungen verwendet. Tamar Kohn setzt für ihre Experimente Viren ein, die sie aus dem Abwasser isoliert und im Labor in hoher Konzentration züchtet, bevor sie sie dann zurück ins Wasser gibt. Das passiert entweder im Labor oder im Genfersee – natürlich unter kontrollierten Bedingungen. Dann prüft sie, wie lange die Viren infektiös bleiben, indem sie sie an Säugetierzellen testet. So kann sie die Lebensdauer und die Infektiosität der Viren je nach Umweltbedingungen modellieren und schliesslich das Risiko für die Bevölkerung bestimmen. In der Schweiz bestehen Risiken durch eine beeinträchtigte Wasserqualität vorwiegend bei Freizeitaktivitäten, zum Beispiel beim Fischen oder wenn beim Schwimmen Wasser geschluckt wird.
Luft ist ihr neues Eldorado
Seit einigen Jahren verfolgt die Forscherin auch das Schicksal von Viren in der Luft, nachdem wir Menschen sie durch die Nase oder den Mund ausgeatmet haben und sie so in Aerosole gelangt sind. «Dieser Bereich war noch bis 2020 wenig erforscht, wurde aber mit dem Coronavirus plötzlich sehr relevant», so die Forscherin.
In einem der Projekte, die sie derzeit mit Unterstützung des SNF leitet, untersucht sie nun, wie sich die Umweltbedingungen auf die Aerosole und damit auf die Infektiosität der darin enthaltenen Atemwegsviren auswirken. Diese Partikel sind sehr unterschiedlich, haben aber auch gewisse gemeinsame Eigenschaften, wie einen niedrigen pH-Wert und oder bestimmte darin enthaltene Proteine. «Wenn wir mehr darüber wissen, können wir bestimmen, welche Zusammensetzung der Raumluft in Gebäuden ideal ist, damit möglichst wenig Influenzaviren und anderen Krankheitserreger wie SARS-CoV-2 über die Luft übertragen werden», erklärt Tamar Kohn. Die Forscherin betont, dass es möglich und sinnvoll wäre, die meisten Gebäude zu belüften, um die Übertragung von Viren zu reduzieren, und dass der Zusammensetzung der Raumluft mehr Beachtung geschenkt werden sollte. «Es könnte helfen, Ammoniak, das von Menschen über Haut und Atem abgegeben wird, aus der Raumluft zu entfernen, weil es den pH-Wert von Aerosolen und dadurch die Überlebenschancen von Viren erhöht. Glücklicherweise beginnt sich diese Einsicht durchzusetzen. So befassen sich heute mehrere Forschungsprojekte mit diesem Thema. Wir erleben fast so etwas wie eine Revolution der sauberen Luft», meint sie schmunzelnd.
Willkommene Flexibilität
Neben den für Menschen schädlichen Viren im Wasser und in der Luft hat die Forscherin damit begonnen, auch andere Arten von Viren zu untersuchen. Ihr neustes Steckenpferd: Cyanophagen. Diese Viren greifen die berühmt-berüchtigten Blaualgen an – auch Cyanobakterien genannt. «Ich möchte verstehen, wie sie Cyanobakterien infizieren und abtöten, das heisst, wie sie Algenblüten beeinflussen oder die Freisetzung von Toxinen bewirken», erklärt sie. Sie stösst unermüdlich in immer neue Territorien vor. «Die Welt der Viren ist riesig, und ich liebe es, darin nach neuen Erkenntnissen zu stöbern – es ist eine wundervolle Herausforderung!»
Neugierde ist die treibende Kraft der in Bern wohnhaften, alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern im Alter von 9 und 11 Jahren. Doch der Alltag erfordert viel Organisation und manchmal auch Verzicht – so kann sie zum Beispiel nicht immer an Konferenzen teilnehmen. «Zum Glück bietet mir meine Position eine gewisse Flexibilität. Neben Arbeit und Familie bleibt mir allerdings nicht viel Zeit. Gerade genug, um den Kopf zu lüften, indem ich ab und zu joggen gehe.»
Der Text dieser Medienmitteilung, ein Downloadbild und weitere Informationen stehen auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Weitere Informationen:
https://www.snf.ch/de/rOpY6jdeNWDWnsHa/news/die-unermuedliche-virensucherin