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Bösartiger Tumor bei Kindern: Neuer Krankheitsmechanismus aufgedeckt
Neuroblastome sind bösartige Tumore des Nervengewebes, entwickeln sich aus unreifem Nervengewebe im Körperinneren und können Tochtergeschwülste ausbilden. Sie treten bei Kindern zumeist vor Erreichen des Schulalters auf. Um die Behandlung weiter zu optimieren, müssen die Mechanismen der Tumorentstehung besser verstanden werden. In der Arbeitsgruppe von Prof. Holger Scholz am Institut für Translationale Physiologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde mit finanzieller Unterstützung der Wilhelm Sander-Stiftung ein neuer molekularer Signalweg entdeckt, der bei Sauerstoffmangel in Neuroblastomzellen aktiviert wird und das Tumorwachstum fördern kann.
Das Neuroblastom ist mit ca. 8 Prozent aller Krebserkrankungen im Kindesalter einer der häufigsten bösartigen Tumore bei Kindern. Die Erkrankung betrifft eines von 100.000 Kindern. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 14 Monaten. Sehr selten sind auch Erwachsene betroffen. Neuroblastome (Abb. C, D) entwickeln sich aus fehlgesteuerten Nervenzellvorläufern (Abb. A), die in einem unreifen Stadium verbleiben und sich unkontrolliert mit hoher Rate teilen. Über die Entstehungsmechanismen der Tumore ist bislang wenig bekannt. Neuroblastome sind häufig im Bereich der Nebennieren und in der Nähe der Wirbelsäule lokalisiert. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung hat die Hälfte der Tumore bereits im Körper gestreut. Metastasierungsorte sind vor allem Skelettsystem, Lymphknoten und Leber.
In Abhängigkeit vom Krankheitsstadium und dem feingeweblichen Befund erfolgt die Behandlung üblicherweise durch operative Tumorentfernung, gegebenenfalls in Kombination mit Chemo- oder Strahlentherapie. In manchen Fällen kommen auch spezielle Verfahren der Immuntherapie mit Antikörpern und die Behandlung mit radioaktiven Substanzen zur Anwendung. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt über alle Tumorstadien gemittelt ca. 55 Prozent. Die Prognose ist wesentlich günstiger, wenn die Tumore in einem frühen Stadium erkannt und behandelt werden.
Neuroblastome treten zumeist sporadisch auf. Lediglich in ca. 1 Prozent der Fälle wird eine familiäre Häufung beobachtet. Generell ist der Krankheitsverlauf stark vom Risikoprofil der Patienten abhängig. Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählt eine Vervielfältigung des MYCN-Krebsgens in Neuroblastomen. Ein Sauerstoffmangel (Hypoxie), der in rasch wachsenden Tumoren mit hohem Sauerstoffverbrauch und geringer Durchblutung auftreten kann, gilt ebenfalls als ungünstiger Prognosefaktor. Interessanterweise wird nicht selten eine spontane Rückbildung von Neuroblastomen beobachtet. Dies weckt die Hoffnung, dass Neuroblastom-Patient:innen, insbesondere solche mit günstigem Risikoprofil, grundsätzlich geheilt werden können. „Die Entwicklung neuer Behandlungsstrategien setzt allerdings ein besseres Verständnis derjenigen Mechanismen voraus, die für die Entstehung und das Wachstum von Neuroblastomen verantwortlich sind“, so Holger Scholz.
Vor diesem Hintergrund hat der Wissenschaftler mit seiner Arbeitsgruppe die Auswirkungen eines reduzierten Sauerstoffangebots auf Neuroblastomzellen untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass insbesondere Neuroblastomzellen mit MYCN-Vervielfältigung bei Sauerstoffmangel das WT1-Gen anschalten. Die Aktivierung des WT1-Gens war in den untersuchten Neuroblastomzellen durch Hypoxie-induzierbaren Faktor 2 (HIF-2) vermittelt (Abb.). WT1 wurde ursprünglich als ein Molekül identifiziert, das die Ausbildung von Nierentumoren bei Kindern unterdrückt. Spätere Untersuchungen haben gezeigt, dass WT1 in verschiedenen bösartigen Tumoren, u.a. in Lungen-, Prostata- und Eierstockkarzinomen, vorkommt. Dies hat zu der Auffassung geführt, dass WT1 in manchen Geweben das Tumorwachstum fördert. WT1 konnte auch in besonders aggressiv wachsenden Neuroblastomen nachgewiesen werden. Funktionell handelt es sich bei WT1 um einen Transkriptionsfaktor, d.h. um ein Eiweißmolekül, das Gene an- und abschaltet. WT1-regulierte Gene kontrollieren u.a. die Teilung und Differenzierung von Zellen und spielen für die normale Entwicklung eine wichtige Rolle. Durch Auswertung von Patientendaten konnten die Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass Neuroblastome mit hohem Gehalt an HIF-2 und WT1 einen ungünstigen klinischen Verlauf nehmen und mit signifikant geringeren Überlebensraten einhergehen (Abb. D).
Zukünftige Arbeiten sollten nach Aussagen der Wissenschaftler darauf ausgerichtet sein, die neu gewonnenen Erkenntnisse an einer größeren Anzahl von Neuroblastomen zu überprüfen und damit der Entwicklung neuer Therapiekonzepte den Weg zu bahnen.
* Die in diesem Text verwendeten Genderbegriffe vertreten alle Geschlechtsformen.
Wilhelm Sander-Stiftung: Partnerin innovativer Krebsforschung
Die Wilhelm Sander-Stiftung hat das Forschungsprojekt mit knapp 183.000 Euro über 36 Monate unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 270 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz ausbezahlt. Damit ist die Wilhelm Sander-Stiftung eine der bedeutendsten privaten Forschungsstiftungen im deutschen Raum. Sie ging aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.
Originalpublikation:
1) Krueger K, Catanese L, Sciesielski LK, Kirschner KM, Scholz H. Deletion of an intronic HIF-2α binding site suppresses hypoxia-induced WT1 expression. Biochimica et Biophysica Acta Gene Regulatory Mechanisms 862: 71-83, 2019. doi: 10.1016/j.bbagrm.2018.11.003.
2) Eggert A, Simon T, Hero B, Lode H, Ladenstein R, Fischer M, Berthold F: Neuroblastom. in: Niemeyer C, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, 419-439, Springer Verlag, 2018, ISBN: 978-3-662-43685
Weitere Informationen:
http://www.wilhelm-sander-stiftung.de
https://www.linkedin.com/company/wilhelm-sander-stiftung/