Das GesundheitsPortal für innovative Arzneimittel, neue Therapien und neue Heilungschancen
Organtransplantation: Patientinnen und Patienten in Deutschland profitieren kaum von neuen Möglichkeiten der Präzisionsmedizin
Berlin/Köln – Warten als tödliche Falle: Nirgendwo in Europa rettet Organspende so wenig Leben wie in Deutschland. Obwohl Tests für die Verträglichkeitsbewertungen von Organspenden immer präziser und moderner werden, bringen sie für die Patientinnen und Patienten hierzulande keinen Fortschritt. Denn in Deutschland müssen Patientinnen und Patienten nehmen, was sie kriegen können – egal wie schlecht die Verträglichkeit ist. Warum das so ist, welche Lösungen helfen können und welche neuen Möglichkeiten die Präzisionsmedizin bei der Organtransplantation bietet, haben Experten bei der heutigen Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie e.V. (DGTI) erläutert.
Rund 8500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Täglich sterben im statistischen Schnitt 2,5 von ihnen, weil das lebensrettende Organ fehlt. Professor Dr. med. Rainer Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover und Kongresspräsident der 56. Jahrestagung der DGTI, warnt: „Die Mortalitätsraten auf den Wartelisten für Leber und Lunge sind im Vergleich zu anderen Eurotransplant-Ländern sogar mehr als doppelt so hoch. Und im Gegensatz zur Dialysetherapie bei Niereninsuffizienz gibt es für diese Organe keine Ersatztherapie.“
Hinzu kommt, dass vor allem bei der Lebertransplantation auch die Überlebensraten der transplantierten Empfänger niedriger sind als im europäischen Ausland. „Das liegt daran, dass die Organknappheit bedingt, dass jeweils nur die Schwerstkranken mit den schlechtesten Prognosen transplantiert werden können“, erläutert Blasczyk. Immer wieder wird der Konflikt zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussicht diskutiert. Im letzten Jahr haben in Deutschland nur 869 Menschen Organe nach ihrem Tod gespendet (Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation). Tendenz: weiter sinkend.
Ein Ausweg wäre die Lebendspende – zumindest für die Nierentransplantation. „Aber genau hier geht die Problematik weiter: Die Qualität der Nieren-Lebendtransplantationen ist in Deutschland nicht gut, da mit sie mit besonders vielen Mismatches verbunden ist“, erklärt Blasczyk. Den Grund dafür sieht der Experte im veralteten Transplantationsrecht in Deutschland, welches ein Näheverhältnis (Verwandte, Partner) zwischen Spender und Empfänger verlangt. „Im Vordergrund steht also die Frage nach dem Verwandtschaftsverhältnis und nicht die Fragen, welche Spenderniere am besten zum Empfänger passt“, so der Transfusionsmediziner. Abhilfe könnte die Cross-over-Spende ermöglichen, die in Deutschland nicht erlaubt ist, in Ländern mit modernerem Transplantationsrecht hingegen ist sie eine Selbstverständlichkeit. Dabei werden die lebend gespendeten Organe so verteilt, dass ein bestmöglicher Match für die Patientinnen und Patienten erreicht wird, so dass das neue Organ möglichst gut vom Transplantierten angenommen und eine Abstoßung unwahrscheinlicher wird.
Auf der diesjährigen Tagung der DGTI werden nun zwei vollkommen neue und mehrfach preisgekrönte Ansätze für die Vermeidung einer Organabstoßung präsentiert. Die erste Innovation hat Tarnkappen für Organe entwickelt. Anstatt das Immunsystem beim Empfänger herunterzufahren, damit es sich nicht gegen das neue Organ „wendet“, wird das Spenderorgan, während es noch außerhalb des Körpers ist, gentechnisch verändert. Dadurch ist es nach Einsetzen in den Empfänger für dessen Immun-Zellen nicht erkennbar und damit nicht angreifbar. „Dies ist eine neue Dimension in der Organtransplantation“, so der Experte.
Die zweite Innovation löst das Problem der Antikörper-vermittelten Abstoßung, welche für die Mehrzahl der späten Organverluste verantwortlich ist. Dazu werden Patienten-eigene Immunzellen durch gentechnische Veränderung in Killerzellen umgewandelt. Diese können passgenau exakt diejenigen Zellen des Immunsystems eliminieren, die ansonsten Antikörper gegen das Transplantat bilden würden. Alle anderen Antikörper-produzierenden Zellen bleiben dabei verschont, so dass das Immunsystem des Empfängers voll funktionstüchtig bleibt.
Professor Blasczyk: „Um Fortschritte zu erzielen, muss Transplantation immer wieder neu gedacht werden. Beide Verfahren haben das Potential dazu, die Organtransplantation in ein neues Zeitalter zu führen. Wir brauchen jedoch mehr Spenderorgane. Diese bekommen wir nur, wenn Deutschland, wie andere Länder auch, die Widerspruchslösung einführt, nach der Jeder nach seinem Tode ein potenzieller Spender ist, wenn er nicht ausdrücklich widerspricht.“