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Langsamer Herzschlag: Eine neue Generation der Kapselschrittmacher verbessert die Lebensqualität
Keine Kabel, nicht spürbar, besonders langlebig: In der Klinik für Elektrophysiologie/ Rhythmologie unter der Leitung von Prof. Dr. Philipp Sommer, Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, und weiteren Zentren bundesweit wird jetzt erstmals eine neue Generation elektrodenloser Herzschrittmacher mittels Katheter eingesetzt. Neben dem medizintechnischen Fortschritt versprechen die neuen, nur 38 Millimeter großen und in die rechte Herzkammer zu platzierenden Mini-Pulsgeber weniger Komplikationen und dadurch Lebensqualität für viele Patientinnen und Patienten, die an einer bestimmten, durch einen zu langsamen Herzrhythmus gekennzeichneten Erkrankung leiden.
Ein niedriger Ruhepuls von unter 60 Schlägen pro Minute ist während des Schlafs oder bei Sportlern in den allermeisten Fällen ohne Bedeutung. Eine dauerhaft oder häufig wiederkehrende zu niedrige Herzfrequenz dagegen kann krank machen, weil Organe und Körper dann zu wenig Sauerstoff erhalten. Typische Symptome sind Schwindel, Müdigkeit, Atemnot oder Ohnmacht. Der Fachbegriff heißt Bradykardie. Mit weltweit fast 50 Millionen Betroffenen zählt sie zu den häufigsten Rhythmusstörungen.
„Dem zu langsamen Herzrhythmus liegt oft eine Herzerkrankung zugrunde“, sagt Privatdozent Dr. Guram Imnadze, Oberarzt der Klinik für Elektrophysiologie/Rhythmologie am HDZ NRW. „Die Symptome können aber auch nach Medikamenteneinnahme oder sogar bei jungen Menschen als Rhythmuserkrankung auftreten.“ Wenn der Taktgeber des Herzens, der Sinusknoten, nicht richtig funktioniert oder die Weiterleitung der elektrischen Impulse in die Herzkammern nachhaltig gestört ist, empfiehlt der Kardiologe die Implantation eines Herzschrittmachers.
„Die kabellose Schrittmacher-Therapie zählt bereits seit etwa zehn Jahren zu den Routineeingriffen, die bei bestimmten Patientengruppen und an ausgewiesenen Zentren durchgeführt werden, sagt Imnadze, der als Elektrophysiologe gemeinsam mit den Herzspezialisten der Herzchirurgie und Kardiologie am HDZ NRW etwa 1.300 Schrittmacher- und Defibrillator-Implantationen jährlich begleitet und hierbei auch elektrodenlose Mini-Schrittmacher einsetzt. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese Kapselschrittmacher für bestimmte Patientengruppen wie etwa Dialysepatienten oder Patienten mit vorausgegangenen Schrittmacherinfektionen eine sehr geeignete Alternative zum konventionellen Schrittmachersystem darstellen. Typische Probleme, die in Verbindung mit den Elektroden auftreten können, können beim Kapselschrittmacher nicht auftreten.“
Zwei ganz wesentliche zusätzliche Vorteile bieten jetzt aus Sicht des Schrittmacher-Spezialisten die neuartigen Systeme, die seit September verfügbar sind und die Imnadze selbst Anfang September erstmals am HDZ NRW eingesetzt hat:
- Mapping = Sicherheit
„Einmalig ist eine sogenannte Mapping-Funktion, mit der wir noch vor dem Eingriff die optimale Position in der Herzkammer auslesen und exakt bestimmen, um das Verfahren besonders präzise und sicher durchführen zu können. Zudem kann das System – wie seine Vorgänger-Modelle auch – bei individuellem Bedarf neu positioniert werden.“ Durch dieses Mapping wird es möglich, die Anzahl der Repositionierungen zu minimieren und das Risiko für Verletzungen zu reduzieren, weil das Gerät für die Erhebung der Messwerte noch nicht fest mit dem Herzmuskel in Verbindung gebracht werden muss.
- Batterieleistung = Lebensqualität
Vor allem aber aufgrund der besonders langen Lebensdauer der Aggregate werden seine Patientinnen und Patienten die fortschrittliche Medizintechnik zu schätzen wissen, prognostiziert Imnadze: „Normalerweise steht nach etwa zehn Jahren ein Batteriewechsel an. Das bedeutet für unsere Patienten, dass sie sich dann einem neuen Eingriff unterziehen müssen. Die Lebensdauer der neuen Modelle wird nach Einschätzung des Herstellers (Abbott) auf mehr als 17 Jahre geschätzt.“ Bei der neuen Generation der Kapselschrittmacher wird eine Entfernung am Ende der Laufzeit möglich sein. Ein spezielles System steht hierfür zur Verfügung.
Übrigens werde sich der Kreis der Patienten, die von der ebenso innovativen wie effizienten elektrodenlosen Schrittmachertechnologie profitieren, in einigen Jahren noch deutlich vergrößern, fügt Imnadze an: „Bisher sind diese Systeme ausschließlich solchen Patienten vorbehalten, die eine Stimulation in der rechten Herzkammer benötigen. Die meisten Betroffenen sind jedoch auf 2-Kammer-Systeme angewiesen. Solche kabellosen Systeme sind schon entwickelt und werden derzeit im Rahmen wissenschaftlicher Studien überprüft.“ Im klinischen Einsatz am HDZ NRW werde damit allerdings erst 2024 zu rechnen sein.
Im Video:
Oberarzt PD Dr. Guram Imnadze informiert über den kabellosen Herzschrittmacher
Hintergrundinformation Herzschrittmachertechnologie
Die ersten Herzschrittmacher in Deutschland wurden 1961 implantiert. Sie hatten eine Größe von etwa 55 Millimeter Breite und 16 Millimeter Höhe und mussten einmal pro Woche von außen aufgeladen werden. Moderne Systeme sind heute deutlich kleiner, haben eine durchschnittliche Lebensdauer von mehreren Jahren und besitzen integrierte Selbstkontroll- und Überwachungsfunktionen, auf die telemedizinisch sowohl zur regelmäßigen Diagnostik als auch über Fernkontrolle zugegriffen werden kann. Der Einsatz konventioneller Schrittmacher erfolgt minimalinvasiv mit einem kleinen Schnitt, der unterhalb des Schlüsselbeins durchgeführt wird. In der so entstehenden „Tasche“ unter der Haut wird das Aggregat eingesetzt, dessen Elektroden anschließend über eine Vene bis in den Vorhof oder die Kammer geschoben werden, wo sie Kontakt zum Herzmuskelgewebe haben.
Kabellose Herzschrittmacher sind seit rund einem Jahrzehnt im klinischen Einsatz. Sie werden mittels Herzkatheter über die Leistenvene in der rechten Herzkammer platziert und dort an der Herzwand fixiert. Da das Aggregat somit direkt vor Ort ist und keine transvenös zum Herzen führende Elektroden benötigt werden, sind Komplikationen wie Infektionen an der Haut, Sondenbrüche oder fehlplatzierte Elektroden nicht zu befürchten.
(Quellen: Springer Medizin, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie)