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Neugeborenenscreening auf Vitamin-B12-Mangel: Die Vorteile überwiegen
Da sich im Einzelfall ein erheblicher Nutzen und ein sehr geringer Schaden gegenüberstehen, spricht sich das IQWiG im Abschlussbericht – anders als im Vorbericht – für die Früherkennung eines erworbenen Vitamin-B12-Mangels bei Säuglingen aus.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) untersucht, ob die Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels sowie der Krankheiten Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie in das erweiterte Neugeborenenscreening (ENS) aufgenommen werden sollte. Nach sorgfältiger Auswertung der Stellungnahmen zum Vorbericht kommt das Institut nun im Abschlussbericht zum Ergebnis, dass zumindest beim Screening auf einen Vitamin-B12-Mangel die Vorteile überwiegen. Um die Frage zu beantworten, ob dies auch für die drei anderen Zielerkrankungen gilt, reicht das Wissen aus den vorliegenden Studien nicht aus.
Es geht um Stoffwechselerkrankungen, die irreversible Schäden verursachen
Vitamin B12 und bestimmte Enzyme sind für den Abbau von Eiweiß im menschlichen Körper unerlässlich. Kann eine werdende Mutter kein Vitamin B12 aufnehmen, ist dies für das Neugeborene gefährlich, weil der menschliche Körper Vitamine nicht selbst erzeugen kann. Es kommt auch vor, dass der Abbau von Eiweiß beim Neugeborenen wegen eines Mangels an speziellen Enzymen blockiert ist. Dies ist bei den sehr seltenen angeborenen Stoffwechselerkrankungen Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie der Fall. Alle vier Erkrankungen (Vitamin-B12-Mangel, Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie) können die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern gefährden und zu Hirnschäden, Krampfanfällen, Koma sowie Schäden an Augen, Nieren und Blutgefäßen führen. Manchmal ist das Leben der Kinder bedroht.
Um einen Vitamin-B12-Mangel und die anderen Erkrankungen festzustellen, kann auf Filterpapier aufgetropftes Blut analysiert werden. Beim in Deutschland gemäß der Kinder-Richtlinie des G-BA bereits durchgeführten ENS wird in der 36. bis 72. Lebensstunde Venen- oder Fersenblut gewonnen, auf Filterpapier getropft und hinsichtlich bestimmter Erkrankungen untersucht. Die im Fokus dieses Berichts stehenden Zielerkrankungen zählen bislang nicht dazu.
Das Ziel eines Neugeborenenscreenings auf Vitamin-B12-Mangel und die anderen Zielerkrankungen besteht darin, betroffene Kinder frühzeitig zu identifizieren und zu behandeln – also bevor der Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht gerät und irreversible Schäden, insbesondere am Gehirn, verursacht.
Zur Einordnung wichtig ist, dass die Zielerkrankungen sehr selten sind. Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie betreffen jeweils nur etwas 1 von 100 000 bis 500 000 Neugeborenen. Der mütterlich bedingte Vitamin-B12-Mangel ist dagegen mit einer Inzidenz von weniger als 1 von 5000 Kindern häufiger, wobei schwere Fälle ebenfalls sehr selten sind. Eine vegane oder streng vegetarische Ernährung während der Schwangerschaft kann einen Vitamin-B12-Mangel beim Neugeborenen herbeiführen. Und obwohl allgemein empfohlen wird, während der Schwangerschaft ausreichend Vitamin B12 zu sich zu nehmen, kommt es weiterhin vor, dass Babys wegen des Vitamin-Mangels der Mutter mit schwerem Vitamin-B12-Mangel zur Welt kommen.
Auch wenn nur wenig Evidenz vorliegt: Die Vorteile eines Vitamin-B12-Screenings überwiegen
Für die Beantwortung der Frage, ob die Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels und weiterer Zielerkrankungen in das ENS aufgenommen werden sollte, recherchierte das IQWiG drei Studien, die ein Screening mit keinem Screening verglichen haben, sowie 13 Studien, die eine frühe Behandlung im Vergleich zu einer späten Behandlung untersuchten.
Die drei Studien, die die Effekte von Screening untersuchten, lieferten kaum aussagekräftige Daten. Denn obwohl diese drei Studien insgesamt mehrere Hunderttausend Kinder eingeschlossen hatten, waren nur knapp 20 Kinder von einer der Zielerkrankungen betroffen.
Auch die 13 Studien, in denen eine frühe mit einer späten Behandlung verglichen wurde, hatten erhebliche Mängel. Das Hauptproblem dieser Beobachtungsstudien war, dass sich die früh und spät behandelten Kinder in vielen Aspekten unterschieden: Alter, Nachbeobachtungsdauer, Patientenauswahl, Erkrankungsschwere. Daher konnten eventuelle Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen nicht auf den Zeitpunkt der Behandlung zurückgeführt werden.
Dennoch sieht das IQWiG für den erworbenen Vitamin-B12-Mangel jetzt im Abschlussbericht einen Anhaltspunkt für einen Nutzen der Früherkennung. Mitberücksichtigt hat das IQWiG hierbei Ergebnisse aus einem großen Pilotprojekt in Heidelberg sowie einer deutschlandweiten Erfassung seltener Erkrankungen („Erhebungseinheit für Seltene Pädiatrische Erkrankungen in Deutschland“, ESPED). Hierzu wurden dem IQWiG neue Auswertungen vorgelegt. Vor allem aber bestätigte das Stellungnahmeverfahren zum Vorbericht, dass letztlich auch ohne Studiendaten klar ist, dass eine früh- und rechtzeitige Gabe von Vitamin B12 mögliche irreversible Schäden eines erworbenen Vitamin-B12-Mangels bei Neugeborenen verhindern kann.
Die Behandlung eines erworbenen Vitamin-B12-Mangels ist ursächlich, kurzzeitig und mit einem sehr geringen Schadensrisiko für das Neugeborene verbunden. Bei Neugeborenen mit Vitamin-B12-Mangel bei Geburt ist ohne jegliche Zufuhr von Vitamin B12 die körperliche und geistige Entwicklung stark gefährdet. Daher ist ein Screening in Hinblick auf einen frühen Therapiebeginn vorteilhaft, zumal zum Zeitpunkt eines auffälligen Screeningbefunds die Babys in aller Regel noch symptomfrei sind. Auf der Schadensseite sind drei Aspekte relevant: die Sorge der Eltern bis zur finalen Diagnose (auch bei Fehlalarm) und eine mögliche kurzzeitige Übertherapie durch die Supplementation mit Vitamin B12. Für ein relevantes Schadenspotenzial einer Überdosierung von Vitamin B12 gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Drittens kann es in sehr seltenen Fällen passieren, dass Krankheitsvarianten festgestellt werden, die so milde sind, dass sie auch ohne Behandlung nie mit Beschwerden aufgefallen wären.
In der Abwägung stehen sich hier im Wesentlichen ein im seltenen Einzelfall erheblicher Nutzen (Vermeidung der irreversiblen Schäden eines erworbenen Vitamin-B12-Mangels) und ein sehr geringer Schaden (psychische Belastung und Vitamin-B12-Gabe bei falsch-positivem Befund) gegenüber. Hier überwiegen laut abschließender Beurteilung des IQWiG die Vorteile des Screenings auf einen Vitamin-B12-Mangel bei Neugeborenen.
Zum Ablauf der Berichterstellung
Der G-BA hat das IQWiG im November 2022 mit diesem Projekt beauftragt. Die vorläufigen Ergebnisse, den Vorbericht, veröffentlichte das IQWiG im September 2023 und stellte sie zur Diskussion. Nach dem Stellungnahmeverfahren wurde der Bericht überarbeitet und im Februar 2024 als Abschlussbericht an den Auftraggeber versandt. Die eingereichten schriftlichen Stellungnahmen zum Vorbericht werden in einem separaten Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. In die Bearbeitung des Projekts hat das Institut einen externen Sachverständigen eingebunden.
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