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Berührungsmedizin: Forscher werben für neue medizinische Disziplin
Eine Umarmung, eine Massage und andere soziale oder professionelle Berührungen steigern das Wohlbefinden und wirken sich positiv auf die Gesundheit aus. In einem jetzt veröffentlichten Artikel schlagen international bekannte Forscher die Etablierung einer neuen medizinischen Disziplin vor: die Berührungsmedizin. „Dieser innovative Ansatz zielt darauf ab, die Lücke zwischen den jüngsten Entdeckungen in der Berührungsforschung und der klinischen Medizin zu schließen und das Potenzial der zwischenmenschlichen Berührung als therapeutisches Instrument in verschiedenen medizinischen Fachgebieten zu erschließen“, sagt Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Seniorprofessor für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) und einer der Autoren des Beitrags.
Forschung im Bereich der Berührungsmedizin ausgeweitet
Die zwischenmenschliche Berührung wird seit langem als grundlegendes sensorisches Erlebnis anerkannt, das für die Förderung sozialer Bindungen und des allgemeinen Wohlbefindens entscheidend ist. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat die Entdeckung von speziellen dünnen Nervenfasern in der Haut von Säugetieren, die entscheidend für die Wahrnehmung von emotionalen Berührungen wie beispielsweise Streicheln sind, zu einem Anstieg der Forschung über affektive Berührungen geführt. Dabei handelt es sich um Berührungen mit emotionaler Bedeutung, die über besondere Rezeptoren in der Haut eine chemische Reaktion auslösen, die positive Effekte auf Gesundheit und Wohlbefinden hat. Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Nachweise für die Wirksamkeit professioneller Berührung (z. B. in Form sog. psychoaktiver Massagen) bleibt die Integration von berührungsbasierten Therapien in die klinische Praxis bisher begrenzt.
Die Autoren, alle Experten auf dem Gebiet der Berührungsforschung,- zwei von ihnen sind an der MHB tätig – betonen die tiefgreifende Wirkung von Berührung auf die psychosoziale und körperliche Gesundheit. Studien haben einen Mangel an Berührung in der Kindheit mit negativen Auswirkungen auf das spätere Leben in Verbindung gebracht, während professionelle Berührungstechniken sich als wirksam bei der Vorbeugung und Behandlung verschiedener Krankheiten erwiesen haben.
Ein wissenschaftlicher Schwerpunkt der beiden an der MHB tätigen Autoren Prof. Müller-Oerlinghausen und Michael Eggart liegt in der Anwendung solcher Be“hand“lungen bei depressiven Patient:innen. Kontrollierte Studien und die Auswertung bereits bestehender Untersuchungen haben die antidepressiven, angstlösenden und schmerzlindernden Effekte spezifischer Massagetechniken hervorgehoben. Die Wirkungsmechanismen solcher Berührungen, die die Summe der ständig aus unserem Körperinneren kommenden Signale positiv beeinflussen, hormonelle Reaktionen (z. B. die Freisetzung von Oxytocin) stimulieren, die Stressregulation harmonisieren und andere psychologische Faktoren positiv beeinflussen, werden derzeit international erforscht.
Einsatzmöglichkeiten in zahlreichen Fachgebieten
„Die Berührungsmedizin ist nicht auf ein einziges medizinisches Fachgebiet beschränkt, sondern stellt vielmehr ein interdisziplinäres Unterfangen mit weitreichenden anderen Einsatzmöglichkeiten insbesondere auch innerhalb der Pflege dar“, betont Prof. Müller-Oerlinghausen. Von der Behandlung Frühgeborener oder erkrankter Neugeborener (Neonatologie) bis hin zur Schmerzmedizin, Anästhesie, Psychiatrie und Geriatrie könnten verschiedene Fachgebiete von der Integration berührungsbasierter Interventionen in ihre klinische Praxis profitieren. Hierfür setzt sich auch speziell die Deutsche Gesellschaft für Berührungsmedizin e.V. ein. Darüber hinaus sind die Klinische Psychologie und die Psychosomatische Medizin in der Lage, diese Erkenntnisse zu nutzen, um die Patient:innenversorgung zu verbessern.
„Die Etablierung der Berührungsmedizin markiert einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen, der die tiefgreifende Bedeutung der Berührung für die Förderung einer ganzheitlich gedachten Gesundheit anerkennt. Während sich die Forschung in diesem aufstrebenden Bereich weiterentwickelt, ist das Potenzial, die klinische Praxis schon jetzt zu transformieren und damit unsere Be‘hand‘lungsergebnisse zu verbessern, enorm“, so Prof. Müller-Oerlinghausen.
Der Beitrag basiert auf dem kürzlich veröffentlichten Artikel: McGlone, F., Uvnäs Moberg, K., Norholt,
H., Eggart, M., & Müller-Oerlinghausen, B. (2024). Touch medicine: Bridging the gap between recent insights from
touch research and clinical medicine and its special significance for the treatment of affective disorders. Frontiers
in Psychiatry, 15, 1390673. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2024.1390673