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Forschung trifft Familienplanung: Münsteraner Symposium setzt neue Impulse für die Verhütungsforschung in Deutschland
Münster. Das Kondom hat der Antibabypille den Rang abgelaufen und ist heute das am häufigsten verwendete Verhütungsmittel, Verhütungsgerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ist in aller Munde: Es ändert sich gerade viel im Verhütungsverhalten in Deutschland. Neue Impulse für die Kontrazeptionsforschung setzte nun ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Symposium unter der wissenschaftlichen Leitung der Deutschen Gesellschaft für Andrologie e.V. (DGA). Unter dem Titel „Neue Konzepte in der Kontrazeption: Forschung trifft Familienplanung“, kurz NIKFAM, diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen relevanten Disziplinen vom 10. bis 12. September 2024 in Münster über den aktuellen Stand der Kontrazeptionsforschung aller Geschlechter, über neue Entwicklungen und Forschungsbedarfe einerseits sowie über Bedarfe der Patientenversorgung andererseits. Das BMBF hatte den interdisziplinären Austausch im Vorfeld konkreter Forschungsausschreibungen initiiert, um mögliche förderungswürdige Forschungsfelder zu identifizieren.
Ausgebucht: NIKFAM trifft den Nerv der Fachwelt
Fast 100 nationale und internationale Teilnehmende, neben den Forschenden auch Vertretende des Robert Koch-Instituts, der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), der Male Contraception Initiative (MCI), USA, und der Bill & Melinda Gates Foundation, USA, sowie namhafte Journalisten und Vertreter der forschenden Industrie sorgten für eine ausgebuchte Veranstaltung. „Das große Interesse der Fachwelt, bestätigt die dringliche Notwendigkeit, Kontrazeption aller Geschlechter fachübergreifend zu betrachten und sowohl die klinische als auch die gesellschaftspolitische Ebene einzubeziehen“, sagt DGA-Präsidentin Prof. Dr. med. Sabine Kliesch. Ihr Dank gilt deshalb allen voran den beiden Gründerinnen des gemeinnützigen Vereins Better Birth Control, Rita Maglio und Jana Pfenning, die mit ihrer Initiative und ihrer im Jahr 2021 gestarteten Petition für bessere Verhütung dem Thema Familienplanung endlich politisches Gehör in Deutschland verschafft und damit schließlich auch den Weg für dieses Symposium bereitet hätten.
Noch immer, so kritisierten Maglio und Pfenning in Münster, seien vor allem die Frauen für die Verhütung verantwortlich und bis heute gäbe es keine Kontrazeptiva für Männer, die der Antibabypille vergleichbar sicher sind – nicht zuletzt, weil die Mechanismen des rein wirtschaftlich orientierten Marktes im Hinblick auf die Kontrazeptionsforschung nicht funktionierten und die notwendige umfangreiche Forschung deshalb ausbliebe. Und auch die Zusammensetzung unseres Parlamentes mit einem überwiegenden Anteil verheirateter Männer über 45 Jahre trage nicht unbedingt dazu bei, diesem Thema die erforderliche Aufmerksamkeit entgegenzubringen.
Auf klinischer Ebene bildeten renommierte Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland den aktuellen Forschungsstand sowie neue Forschungsansätze zur männlichen und weiblichen Kontrazeption aus den Disziplinen Andrologie, Biologie, Gynäkologie, Reproduktionsmedizin, Urologie und Veterinärmedizin ab. Darunter neue nicht-pharmakologische Ansätze, die auf die Eizellfunktion und/oder die Spermienfunktion bzw. auf den Ei-/ Spermientransport abzielen.
Soziale Medien prägen die Wahrnehmung zur Kontrazeption
Deutlich wurde in Münster zudem, dass Menschen im reproduktionsfähigen Alter heute anders über neue Verhütungsmittel und Strategien zur Familienplanung denken, und dieses Denken unterscheidet sich zum Teil von dem der Forschenden. „Hier spielen die sozialen Medien eine immense Rolle“, sagt DGA-Pressesprecher Dr. med. Jann-Frederik Cremers. „Die schnelle Information und Meinungsbildung im Netz führen zu einer veränderten Wahrnehmung. So wird die thermische Verhütung durch Erwärmung der Hoden vor allem in Frankreich aber auch hierzulande mithilfe eines Hodenrings bereits vielfach praktiziert, wenngleich aus wissenschaftlicher Sicht weder die Sicherheit noch die Reversibilität der Methode bislang gezeigt wurde.“ Die Menschen wollten nicht auf langfristige Studien warten, vielmehr sollten Verhütungsmittel schnell und einfach, möglichst über den Allgemeinarzt, verfügbar sein, so Cremers weiter. Auch sogenannte Kinderwunsch-Apps zur natürlichen Familienplanung (Ziel: Schwangerschaft) werden heute zur natürlichen Verhütung zweckentfremdet eingesetzt, obwohl sie keine sichere Verhütungsmethode darstellen. „Tatsächliche Kontrazeptions-Apps müssen anders konzipiert sein“, betont DGA-Präsidentin Kliesch.
Mehr Aufmerksamt brauche es, nach Prof. Kliesch, dagegen für die Vasektomie als sicheres Verfahren für Männer mit abgeschlossener Familienplanung. „Die einzige dauerhafte Verhütungsmethode beim Mann wird in Deutschland nur von 4 bis 7 % der Männer genutzt. Anders als zum Beispiel in Australien und Neuseeland. Dort nutzen 27 % der verheirateten Männer die Vasektomie, die zwar als irreversible Methode gilt, aber mittels spezieller mikrochirurgischer Verfahren bei 85 % der Männer erfolgreich rückgängig gemacht werden kann.“ Ein Problem hierbei sieht die Andrologin allerdings auch in der bisher fehlenden Kostenerstattung der Verhütungsmethoden, die auf Seiten des Mannes allesamt nur als Selbstzahlerleistungen zur Verfügung stehen. Auf weiblicher Seite sieht es, mit Ausnahme bei den ganz jungen Frauen bis zum vollendeten 22. Lebensjahr, nicht viel anders aus.
Großes Fortschrittspotenzial sieht die DGA-Präsidentin bei der hormonellen männlichen Kontrazeption: „Die aus Münster geleitete und 2011 aufgrund von Nebenwirkungen aufgrund der Gestagenkomponente eingestellte weltweite WHO-Studie zur sogenannten Verhütungsspritze für den Mann hat uns wertvolle Ergebnisse durch die teilnehmenden Paare geliefert und hat sich prinzipiell als sehr effektiv erwiesen. Hier konnten die Forschenden international konkret anknüpfen, und in den USA stehen bereits klinische Studien mit einem Kombinationsgel anstelle der Injektion in den Startlöchern“.
Förderrichtlinie des BMBF für Ende des Jahres geplant
Ganz konkret geht es auch im Nachgang des NIKFAM-Symposiums weiter. „In Münster ist es gelungen, Aufbruchstimmung unter allen Beteiligten zu initiieren und zugleich den Boden zu bereiten, die Kontrazeptionsforschung in Deutschland voranzubringen“, resümiert DGA-Pressesprecher Cremers. Das Bundesministerium für Forschung und Bildung hat die voraussichtliche Veröffentlichung einer Förderrichtlinie im letzten Quartal des Jahres 2024 geplant.