Das GesundheitsPortal für innovative Arzneimittel, neue Therapien und neue Heilungschancen

Stammzellforschung: Warum manche Zellen alles können

Eine neue Studie im Fachmagazin ‚Nature Genetics‘ beschreibt eine Gruppe von embryonalen Stammzellen, die sich zu totipotenten Alleskönnern umprogrammieren lassen. Die Autoren vom Münchner Helmholtz Zentrum und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) konnten zudem den Mechanismus aufklären, wie es dazu kommt.

Der Begriff Totipotenz (von lateinisch totus „ganz“ und potentia „Vermögen, Kraft“) beschreibt die Fähigkeit von Zellen, sich in alle anderen Zelltypen des Körpers zu entwickeln. Das beste Beispiel für so einen Alleskönner ist die befruchtete Eizelle, aus der sich alle weiteren Zellen des entstehenden Lebens bilden. Aber auch noch nach der ersten Teilung im 2-Zell-Stadium bleibt diese Totipotenz erhalten. Die Stammzellen des späteren Embryos hingegen sind lediglich pluripotent, können also viele Zelltypen bilden, aber eben nicht alle.

Hält man allerdings solche embryonalen Stammzellen in Kultur, so entwickelt ein winziger Teil (rund ein Prozent) davon eine Totipotenz, wie sie dem 2-Zell-Stadium entspricht. Im englischen werden diese Zellen 2CLCs (2-cell-like cells) genannt. Herauszufinden was hinter diesem Phänomen steckt, war die Motivation des Teams um Prof. Dr. Maria Elena Torres-Padilla. Sie ist Direktorin des Instituts für Epigenetik und Stammzellen (IES) am Helmholtz Zentrum München und Professorin für Stammzellbiologie an der LMU.

Embryonale Stammzellen mit Farbspiel-Trick abgetrennt

Dazu wollten die Forscher zunächst die aktiven Gene zwischen embryonalen Stammzellen und 2CLCs vergleichen und benutzten dafür einen Trick: Wenn Zellen im 2CLC-Stadium ankommen, wird sehr oft das Gen MERVL abgelesen. Die Forscher fusionierten nun das MERVL-Gen mit dem Gen für ein grün leuchtendes Protein. Anschließend konnten sie die grün leuchtenden 2CL-Zellen von den nicht leuchtenden „normalen“ embryonalen Stammzellen abtrennen.

Der anschließende Vergleich der beiden Gruppen ergab, dass vor allem das Gen Zscan4 während des Übergangs zur Totipotenz aktiv war. Wie beim Trick zuvor, fusionierte das Team das Zscan4-Gen mit dem Gen für ein rotes Protein. Beobachteten sie die Zellen unter dem Mikroskop, färbten sich die betreffenden Zellen zunächst rot und dann grün. „Diese Beobachtungen zeigten uns, dass Zellen offensichtlich durch eine Übergangsphase müssen, bevor sie im 2CLC-Stadium ankommen“, erklärt Torres-Padilla. „Als nächstes wollten wir den treibenden Mechanismus dahinter aufdecken.“

Dazu wählte das Team einen sogenannten siRNA Screen: Mit dieser Methode ist es möglich, mehr als 1000 Gene gezielt zu beeinträchtigen, um zu sehen wie sich das auf die Entwicklung von 2CL-Zellen auswirkt. “Die Ergebnisse waren außergewöhnlich”, beschreibt IES-Wissenschaftler Dr. Xavier Gaume, gemeinsam mit Diego Rodriguez-Terrones, Erstautor der Studie. „Wir konnten zahlreiche Proteine identifizieren, die die Entstehung von 2CLCs regulieren.“ Besonders häufig entstanden 2CLCs, je seltener der Proteinkomplex Ep400/Tip60 vorlag.

Da der Faktor an der Verpackung von Chromatin* beteiligt ist, wollen die Forscher nun herausfinden, ob eine Öffnung des Chromatins grundsätzlich mit einer Totipotenz in Verbindung steht.

Weitere Informationen

* Chromatin bezeichnet das Erbgut (DNA) und die Proteine, die es verpacken und organisieren. Je nachdem wie dicht sich das Chromatin gepackt ist, können bestimmte Gene abgelesen werden oder eben nicht.

Hintergrund:
Erst kürzlich konnten die Forscher ebenfalls in ‚Nature Genetics‘ zeigen, dass sogenannte Retrotransposons eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Embryos spielen. Auch hier ist die Öffnung des Chromatins ein Thema.

Original-Publikation:
Rodriguez-Terrones, D. & Gaume, X. et al. (2017): A molecular roadmap for the emergence of early-embryonic-like cells in culture. Nature Genetics, DOI: 10.1038/s41588-017-0016-5

Verwandte Artikel:
Schlüsselereignis für die Embryonalentwicklung entdeckt
Weltwirtschaftsforum: Maria Elena Torres-Padilla thematisiert Grundlagenforschung
Was nach der Befruchtung im Zellkern passiert

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. Das Helmholtz Zentrum München ist Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e.V.

Das Institut für Epigenetik und Stammzellen (IES) befasst sich mit der Erforschung und der Charakterisierung früher Ereignisse in der befruchteten Eizelle von Säugern. Die Wissenschaftler interessieren sich vor allem für die Totipotenz der Zellen, die im Laufe der Entwicklung verloren geht, und wollen aufklären, welche Veränderungen im Zellkern zu diesem Verlust führen. Ziel ist, ein besseres Verständnis der molekularen Abläufe zu bekommen und dadurch therapeutische Ansätze zu entwickeln, diese zu beeinflussen.

Die LMU ist eine der führenden Universitäten in Europa mit einer über 500-jährigen Tradition. Sie bietet ein breites Spektrum aller Wissensgebiete – die ideale Basis für hervorragende Forschung und ein anspruchsvolles Lehrangebot. Es reicht von den Geistes- und Kultur- über Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bis hin zur Medizin und den Naturwissenschaften. 15 Prozent der 50.000 Studierenden kommen aus dem Ausland – aus insgesamt 130 Nationen. Das Know-how und die Kreativität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bilden die Grundlage für die herausragende Forschungsbilanz der Universität. Der Erfolg der LMU in der Exzellenzinitiative, einem deutschlandweiten Wettbewerb zur Stärkung der universitären Spitzenforschung, dokumentiert eindrucksvoll die Forschungsstärke der Münchener Universität.

 

Ansprechpartner für die Medien
Abteilung Kommunikation, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 2238 – Fax: +49 89 3187 3324 – E-Mail: presse@helmholtz-muenchen.de

Fachliche Ansprechpartnerin
Prof. Dr. Maria Elena Torres-Padilla, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Institut für Epigenetik und Stammzellen, Marchioninistraße 25, 81377 München – Tel. +49 89 3187 3317 – E-Mail: torres-padilla@helmholtz-muenchen.de