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Dem Schlaf auf die Schliche kommen
Was geschieht, während wir schlafen und was können wir tun, wenn der Schlaf-Wach-Rhythmus gestört ist? Claudio Bassetti und Fred Mast wollen es als Koordinatoren der neuen Interfakultären Forschungskooperation IFK «Decoding Sleep» herausfinden. «uniaktuell» hat sich mit dem Professor für Neurologie und dem Professor für Allgemeine Psychologie unterhalten.
Schlaf blieb im Lauf der Evolution nahezu unverändert, was auf dessen fundamentale Bedeutung für das Überleben hinweist. Die Schlafforschung deutet bei Mensch und Tier darauf hin, dass Schlaf sowohl dem Sparen von Energie dient, als auch Erholungs- und Reparaturprozessen im Gehirn und in diversen Organen. Die Forschungskooperation «Decoding Sleep: From Neurons to Health & Mind» möchte ein besseres Verständnis der Mechanismen von Schlaf, Bewusstsein und Kognition erreichen.
«uniaktuell»: Was ist das Neue an Ihrer Herangehensweise?
Claudio Bassetti und Fred Mast: In den letzten Jahrzehnten gab es in der Schlafforschung viele neue Erkenntnisse über die Mechanismen der Schlaf-Wach-Rhythmen. Und auch in der Schlafmedizin gab es grosse Fortschritte bei der Therapie von Schlaf-Wach-Störungen. Die Verbindung zwischen der Schlafforschung und der Schlafmedizin blieb hingegen bis heute unbefriedigend. Unsere trifakultäre Forschungsinitiative möchte deshalb nicht nur die Schlafmedizin und die Schlafforschung fördern, sondern insbesondere deren vielfältige Interaktionen stärken.
Warum kann Ihre Forschungsfrage nur fächer- respektive fakultätsübergreifend beantwortet werden?
Fakultäten sind in erster Linie Organisationseinheiten, deren Zusammensetzung durchaus etwas «künstlich» sein kann. Eine klare Zuordnung der Fachgebiete ist nicht immer offensichtlich. Das trifft auch auf das Thema Schlaf zu. Wir bringen neuartige Methoden, wie zum Beispiel die Optogenetik, mit den Human-, Ingenieur- und Computerwissenschaften zusammen. Diese wiederum bringen neue Verfahren, wie zum Beispiel das maschinelle Lernen, ein. Das wird uns ermöglichen, ungelöste Fragen der Schlafforschung und -medizin neu anzugehen. Die Translationalität und Multidisziplinarität unserer Initiative ist einmalig und vielversprechend.
Wie wird die Zusammenarbeit konkret aussehen?
Es bestehen bereits fakultäts- und fächerübergreifende Netzwerke zwischen Neurologie, Psychologie, Psychiatrie, Neuroradiologie und Physiologie. Für die IFK «Decoding Sleep» wurden gezielt thematische Verstärkungen gesucht. So wurde das Institut für Infektionskrankheiten, das Institut für Informatik und die Universitätsklinik für Pneumologie miteinbezogen. Für unsere Zusammenarbeit werden einerseits die Rückmeldungen des «Advisory Boards» wichtig sein, für das wir weltweit anerkannte Experten gewinnen konnten. Anderseits werden wir uns regelmässig treffen und der Nachwuchs wird mit sogenannten «Lab Rotations» vom Austausch direkt profitieren können. Wir werden auf jeden Fall jährlich ein grösseres und ganztägiges Symposium durchführen.
Wie ist die Idee für die IFK entstanden?
In Bern wurden in den letzten Jahren einige Initiativen zur Schlafforschung umgesetzt. Beispielsweise wurde mit der Gründung des BENESCO (Bern Network for Epilepsy, Sleep and Consciousness) eine Plattform geschaffen, in der Ärztinnen und Forscher, die sich mit Schlaf und benachbarten Gebieten beschäftigen, interagieren können. Auch die langjährige Kooperation zwischen den Neurofächern und der Psychologie, die vor einigen Jahren zur Gründung des CCLM (Center for Cognition, Learning and Memory) geführt hatte, stellte eine hervorragende Grundlage dar. Diese Initiativen haben eine Nähe und eine Interaktion geschaffen, aus der die Idee des IFK-Projekts entstanden ist.
Wo liegen die Herausforderungen des fach- respektive fakultätsübergreifenden Arbeitens in Ihrer spezifischen Frage?
Eine Herausforderung ist, dass man seine «Komfortzone» verlassen muss. Auf der kleinen Mikroarena der eigenen Disziplin fühlt man sich sicher. Kollaboriert man über die Fachgrenzen hinaus, so muss man sich einerseits auf neue Herangehensweisen einlassen und andererseits die Vorteile seiner eigenen gewinnbringend einbringen können. Das Thema Schlaf schreit förmlich nach einer fachübergreifenden Zusammenarbeit. Nehmen wir als Beispiel die Schnittstelle Kognition und Schlaf, die sowohl für eine bessere Behandlung von Schlafstörungen als auch für ein besseres Verständnis der Herausforderungen durch die «24-Stunden-Gesellschaft» enorm wichtig ist. Dazu brauchen wir Expertinnen und Experten der Neurologie und der Kognitionspsychologie.
Wie würden Sie das bestmögliche Ergebnis beschreiben?
Wir wollen nachhaltige wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, die auch klinisch und gesellschaftlich relevant sind. Das IFK-Projekt soll «Leverage-Effekte» erzeugen und die Universität Bern zu einem internationalen Hub einer modernen und interdisziplinär ausgerichteten Schlafforschung machen.
Welchen Nutzen könnten Ihre Forschungsergebnisse für die Gesellschaft haben?
Schlaf-Wach-Störungen betreffen 20–30 Prozent der Bevölkerung, 10–25 Prozent der Bevölkerung nimmt regelmässig Schlafmittel. Das hat erhebliche Konsequenzen auf die Gesundheit. Das Risiko für Unfälle sowie Herz- und Gefässerkrankungen ist erhöht. Die Störungen können auch Symptome von Erkrankungen wie Parkinson, Demenz oder Depression sein. Auch führen sie, unter anderem durch Arbeitsausfälle, zu enorm hohen Kosten für unsere Gesellschaft. Von der interfakultären Forschungskooperation versprechen wir uns neue Einsichten in die Funktion und Regulation der Schlaf-Wach-Rhythmen, aber auch neue Strategien für eine frühe und präzise Diagnose und gezielte personalisierte Therapie von Schlaf-Wach- und neuropsychiatrischen Erkrankungen.
Inwiefern orientiert sich Ihre Fragestellung an der Strategie der Universität Bern?
In der Strategie 2021 der Universität Bern wird «Gesundheit und Medizin» explizit als Themenschwerpunkt genannt. Hier fügt sich das IFK-Projekt «Decoding Sleep» sehr gut ein. Unsere Forschung trägt einerseits zur Stärkung des Medizinalstandorts Bern bei, der aktuell mit dem Grossprojekt sitem-insel sehr initiativ ist und sich national gut positioniert. Andererseits sieht man, dass auch andere Fakultäten an der Strategie der Universität mitziehen. So hat das Institut für Psychologie im Sinne einer Neustrukturierung den Bereich «Gesundheitspsychologie» als zukunftsweisend erachtet und ihm ab August 2018 schwerpunktmässig eine ganze Abteilung gewidmet. Am Institut für Sportwissenschaft wird der Bereich «Sport und Gesundheit» verstärkt.
Worauf freuen Sie sich am meisten bei der Interfakultären Forschungskooperation?
Die enge Kooperation nicht nur unter klinisch Tätigen und Forschenden der Medizin, sondern auch mit Forschenden aus der Psychologie und den Naturwissenschaften ist in der jetzigen Form auch im internationalen Vergleich einzigartig. Wir freuen uns auch auf die Mitwirkung von Experten und Expertinnen aus der Neuroinformatik und den Ingenieurwissenschaften im entstehenden NeuroTec Center von sitem-insel, welches neue Wege in der Diagnose, im Monitoring und in der Therapie von Schlaf-Wach-Störungen eröffnen wird.
Claudio Bassetti
Claudio Bassetti ist ordentlicher Professor für Neurologie und Direktor der Universitätsklinik für Neurologie. Er ist zudem Sprecher des Neurozentrums am Inselspital sowie Vizedekan Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bern.
Claudio Bassetti ist im Kanton Tessin aufgewachsen und hat an der Universität Basel Medizin studiert, wo er 1986 promovierte. 1992 erwarb er an der Universität Bern den Facharzttitel in Neurologie. Ab 1998 lehrte Bassetti als Privatdozent an der Universität Bern, ab 2000 als Extraordinarius an der Universität Zürich, wo er als stellvertretender Klinikdirektor am Universitätsspital Zürich wirkte. Im Jahre 2009 gründete er das Neurozentrum der Italienischen Schweiz, welches er bis 2012 leitete. Claudio Bassetti hat zwei Research Fellowships in experimenteller Neurophysiologie (Basel, 1984-85) und Schlafmedizin (Ann Arbor, Michigan, USA, 1994-95) absolviert. Sein Hauptinteresse in der Forschung – wo er sowohl klinisch als auch tierexperimentell aktiv ist – gilt den Beziehungen zwischen Schlaf und Gehirn in physiologischen und pathologischen Zuständen.
Fred Mast
Fred Mast ist ordentlicher Professor für Allgemeine Psychologie und Quantitative Methoden am Institut für Psychologie und Leiter der Abteilung Kognitive Psychologie, Wahrnehmung und Methodenlehre.
Fred Mast ist in der Ostschweiz aufgewachsen und studierte an der Universität Zürich Psychologie, Neurophysiologie und Philosophie. Nach fünf Jahren Assistenztätigkeit in der Biologisch-Mathematischen Abteilung des Psychologischen Instituts promovierte er an der Universität Zürich und übernahm danach bis 1998 eine Oberassistenz. Von 1998 und 2002 war er an der Harvard University (USA) im Departement für Psychologie und als assoziierter Forscher am Massachusetts Institute of Technology (USA) tätig. 2003 erfolgte die Habilitation für das Fach Psychologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Fred Mast wurde im Jahr 2005 als Ordinarius für Kognitive Psychologie an die Universität Lausanne berufen und leitete am Collège des Humanités der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne den Fachbereich Kognitive Psychologie. Im Jahr 2008 erfolgte der Ruf an die Universität Bern. Er leitete das Institut für Psychologie und war von 2015 bis 2017 Dekan der Philosophisch-humanwissenschaftlichen Fakultät. Die Forschung von Fred Mast ist in den Bereichen der Kognitions- und Wahrnehmungspsychologie sowie den kognitiven Neurowissenschaften situiert.
DIE INTERFAKULTÄREN FOSCHUNGSKOOPERATIONEN IFK
Mit den Interfakultären Forschungskooperationen IFK lanciert die Universität Bern Netzwerkprojekte, die jeweils 8 bis 13 Forschungsgruppen aus verschiedenen Fakultäten umfassen und die spezifisch gefördert werden. Pro IFK müssen mindestens zwei Fakultäten beteiligt sein.
Drei Projekte wurden in einem kompetitiven Verfahren bewilligt. Die IFK orientieren sich an den fünf strategischen Themenschwerpunkten der Universität Bern gemäss der Strategie 2021: Gesundheit und Medizin, Nachhaltigkeit, Politik und Verwaltung, Materie und Universum sowie Interkulturelles Wissen. Gefördert werden die Forschungskooperationen während vier Jahren mit je 1,5 Millionen Franken pro Jahr. Die IFK lehnen sich an die Gefässe der Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS bzw. NCCR) des Schweizerischen Nationalfonds an.
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