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Behandlung von Psychosen bei Demenzerkrankungen: welche Alternativen zu den Antipsychotika stehen zur Verfügung?
Original Titel:
Perceptions vs. evidence: therapeutic substitutes for antipsychotics in patients with dementia in long-term care
Bei der Langzeitpflege Demenzkranker stehen Psychosen mit im Zentrum der Behandlungsnotwendigkeiten. Typische Symptome sind starke Unruhe und Aufgewühltsein (Agitation), häufig führt die Gehirnerkrankung zu Wahnvorstellungen und Halluzinationen und in der Folge auch Aggressionen. Bei der Behandlung von Psychosen bei Demenzkranken ist generell der Umgang mit den Patienten wichtig – demente Menschen ängstigen sich häufig aufgrund der unbekannten (nicht erinnerten) Situation, ‚fremder‘ Menschen oder unvorhersehbarer Ereignisse. Stellt man sich diese rundum erschreckende Situation vor, in der nichts den Erinnerungen entspricht, kann man manche Angst und Aggression besser nachvollziehen. Entsprechend zielt man inzwischen häufig stärker darauf, den Patienten bekannte Dinge, Gerüche, Klänge als beruhigende Stützen zu bieten.
Wesentlich bei Psychosen Demenzerkrankter: Ruhe, Bekanntes, Angenehmes
Ganz ohne Medikamente geht es bei den Demenzpsychosen häufig aber doch nicht. Klassische sogenannte Antipsychotika (auch als Neuroleptika bekannt) sind allerdings oft mit Nebenwirkungen verknüpft, die gerade beim älteren Menschen nicht gut toleriert werden können. Manche der Neuroleptika sind beispielsweise auch auf der Priscus-Liste (Deutsche Seniorenliga) der altersunangemessenen Medikamente aufgeführt – zu den Nebenwirkungen im fortgeschrittenen Alter können Herzprobleme, starke Müdigkeit und Benommenheit gehören. Neuere Antipsychotika sind auch für Störungen des Stoffwechsels bekannt, die zu einem sogenannten Metabolischen Syndrom führen können: der Kombination aus Bluthochdruck, Übergewicht und erhöhter Werte von Blutzucker und Blutfetten. Daher wird mit diesen Medikamenten im Allgemeinen nur ergänzend zu Therapien mit Antidementiva und typischerweise möglichst niedrig dosiert und kurz behandelt. Welche Medikamente stehen aber alternativ zu den Antipsychotika zur Verfügung, wenn es wirklich nicht ohne geht und diese nicht verträglich oder wirksam sind? US-amerikanische Pharmakologen von der Northeastern University in Boston untersuchten nun, welche Alternativen behandelnden Ärzten typischerweise in den Sinn kamen – und welche Medikamente auf wissenschaftlicher Evidenz basierend anzuraten waren.
Wenn Medikamente nötig sind: welche Alternativen zu Antipsychotika gibt es?
Dazu ermittelte die Forschergruppe die derzeitige Studienlage zu möglichen Alternativen zu Antipsychotika. Sie identifizierten 41 entsprechende Substanzen und bestimmten für diese die jeweilige Evidenzqualität – also wie vertrauenerweckend die jeweils vorliegenden Studienergebnisse waren und wie klar die Ergebnisse das jeweilige Medikament stützten. Anschließend führten sie eine Befragung von 55 Langzeitpflege-Ärzten durch. Darin ließen sie die Kliniker bewerten, wie wahrscheinlich sie jede dieser Substanzen als Ersatz für Antipsychotika einsetzen würden. Zusätzlich sollten die Ärzte Vorschläge für nicht medikamentöse Behandlungsansätze machen. Auch die Studienlage zu diesen alternativen Therapien wurde von den Forschern mit standardisierten Methoden bewertet.
Befragung von Ärzten in den USA im Vergleich zum wissenschaftlichen Konsens
Von den 55 befragten Ärzten beantworteten 36 (65 %) die Fragen. Als Behandlungsalternativen nannten sie Valproat (ein Antiepileptikum, das auch zur Stimmungsstabilisation bei der Bipolaren Störung eingesetzt wird), Serotonin-modulierende Antidepressiva, rasch wirkende Benzodiazepine, Antidepressiva des SSRI-Typs, Alpha-Adrenozeptorantagonist (auch Alpha-Blocker genannt und vor allem als Blutdrucksenker eingesetzt), Buspiron (ein Angstlöser), Acetaminophen/Paracetamol, Antidepressiva des SNRI-Typs, Memantin (ein Demenz-Medikament) und einen sogenannten Cholinesterase-Hemmer (auch AChE-Inhibitoren genannt, beispielsweise Rivastigmin oder Galantamin).
Häufig genutzt: Antiepileptika, Antidepressiva, Beruhigungsmittel, Betablocker und Angstlöser
Wie sah aber die wissenschaftliche Studienlage zu diesen Mitteln aus? Unterstützung hoher Qualität gab es lediglich zu Memantin sowie den Cholinesterase-Hemmern als Medikamente, die bei psychotischen Symptomen einer Demenzerkrankung nutzen können. Deutliche Warnung aus der Forschung gab es dagegen zum Antiepileptikum Valproat – dieses Medikament scheint nach aktueller Studienlage nicht bei Demenzpsychosen angeraten zu sein. Weitere Alternativen zu Antipsychotika konnten in den verschiedenen klinischen Studien demnach nicht ausreichend zur Behandlung von Psychosen bei Demenzerkrankten überzeugen oder sind bei älteren Menschen nicht empfehlenswert (z. B. nach der Priscus-Liste). Als nicht-medikamentöse Alternativen fanden die befragten Kliniker beispielweise Musiktherapie sinnvoll – hierfür ist die derzeitige Forschungslage jedoch noch zu sehr begrenzt, um ein Antipsychotikum zu ersetzen.
Begründung der Medikamentenwahl nachfragen: gegen Psychosen wirksame Mittel stehen oft scheinbar im Kontrast zu verwendeten Mitteln
In dieser kleinen Befragungsstudie mit US-amerikanischen Demenzpflege-Ärzten fanden sich demnach eine Vielzahl von Medikamenten als Ersatz für Antipsychotika im Gebrauch, für die es nur geringe oder keine Unterstützung aus der aktuellen klinischen Forschung gibt. Die verschiedenen Medikamente sind natürlich für ihre jeweils eigentlichen Behandlungsziele durchaus sinnvoll. Beispielsweise nutzen Antidepressiva selbstverständlich bei Depressionen, die bei einer Demenz nicht selten als Begleiterkrankung auftreten. Auch können demente Menschen starke Ängste entwickeln. Angstlöser sind daher nicht immer abwegig und könnten so auch gegen manche der scheinbar psychotischen Symptome helfen. Auch leiden demente Menschen manchmal unter Schmerzen – ein klassischer Auslöser für Unruhe, Gereiztheit und Aggressionen. Wenn also unklar ist, ob eine echte Demenzpsychose oder aber anderweitig behandelbare Auslöser für psychotische Symptome vorliegen, kann eines der alternativ genannten Medikamente durchaus Klarheit und Symptombesserung bringen. Grundlegend darf aber die Medikamentenwahl und deren Begründung hinterfragt werden – nicht jede Behandlung basiert auf klaren Studienempfehlungen. Zusätzlich schadet eine Überprüfung der Priscus-Liste nicht und beruhigt, dass das jeweilige Medikament zumindest nicht zusätzliche Probleme bei den älteren Patienten schafft.
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