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Defektes Zytoskelett lähmt Immunzellen
Immunzellen bewegen sich fort, indem sie ihr inneres Gerüst, das Zytoskelett, permanent neu anordnen – ein für ihre Funktion entscheidender Prozess. Durch eine seltene Erkrankung wurde nun ein bisher unbekannter Regulationsmechanismus entdeckt, der für das adaptive Immunsystem essentiell ist. Die Studie wurde von einer internationalen Kollaboration von WissenschaftlerInnen unter der Leitung von Forscherinnen von LBI RUD und CeMM durchgeführt und im Journal of Allergy and Clinical Immunology veröffentlicht.
Um sich bewegen zu können, braucht ein Körper ein starkes Gerüst. Das trifft nicht nur auf Tiere zu, deren Muskeln durch ein Skelett gestützt werden; auch auf mikroskopisch kleiner Ebene braucht es Stützstrukturen, um aktive Bewegungen zu erzeugen. Zellen haben dafür das sogenannte Zytoskelett, das sich aus Aktin-Filamenten zusammensetzt. Indem sie diese Filamente umordnen, können sich Zellen in jede Richtung strecken und dorthin wandern, durch kleinste Lücken quetschen oder sich über fremde Objekte stülpen. Diese Prozesse sind insbesondere für die Zellen des Immunsystems, die beweglichsten aller Zellen des menschlichen Körpers, entscheidend, um gegen krankmachende Eindringlinge anzukämpfen. Fehler im Zytoskelett können sowohl verheerende Auswirkungen auf die Immunantwort und daher auf die Fähigkeit zur Infektionskontrolle des Organismus haben, als auch die Entstehung von Tumorzellen begünstigen.
In ihrer neuesten Studie untersuchten WissenschaftlerInnen des Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (LBI RUD) und des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit der Universität Toulouse III und INSERM, einen seltenen genetischer Defekt, bei dem das Immunsystem der Betroffenen versagt. Dabei entdeckten die ForscherInnen, dass durch den Gendefekt Lymphozyten – die wichtigsten Zellen der adaptiven Immunität – die Fähigkeit verloren, ihr Aktin-Gerüst umzubauen. Die im Journal of Allergy and Clinical Immunology veröffentlichte Studie (DOI: 10.1016/j.jaci.2018.04.023) entstand in Kollaboration mit KlinikerInnen aus Izmir und Ankara und SpezialistInnen für Lymphozytenbiologie der Universität Wien und der Universität Rotterdam.
Sechs PatientInnen wurden im Rahmen dieser Arbeit untersucht, die schwere Lungen-, Haut- und Mundschleimhautinfektionen aufwiesen. Genetische Analysen ihrer Genome ergaben, dass sie alle Mutationen in dem Gen für das Protein WDR1 tragen, einem wichtigen Faktor für den Umsatz der Aktin-Filamente und damit für die dynamische Umgestaltung des Zytoskeletts. Kurz zuvor konnte in anderen Studien gezeigt werden, dass der angeborene Teil des Immunsystems durch WDR1-Mutationen beeinträchtigt wird – dass sie auch in die adaptiven Immunantwort eine Rolle spielen, war hingegen unbekannt. Durch eine Vielzahl an umfangreichen Experimenten und Analysen fanden die WissenschaftlerInnen schließlich heraus, dass eine WDR1-Defizienz auch zu einer abnormalen T-Lymphozyt-Aktivierung und B-Lymphozyt-Entwicklung führt.
„Wir konnten zeigen, dass die T-Lymphozyten der PatientInnen, obwohl sie sich normal zu entwickeln schienen, atypische Aktinstrukturen anhäuften. Noch gravierender waren jedoch die Auswirkungen des Gendefekts auf die B-Lymphozyten“ sagt Laurène Pfajfer, PhD-Studentin am LBI RUD und Co-Erstautorin der Studie.
„Wir konnten nur wenige B-Zellen im Blut der PatientInnen finden, und auch deren Vorläuferzellen im Knochenmark waren äußert selten“ führt Loïc Dupré, Gastwissenschaftler am LBI RUD und Co-Letztautor, weiter aus. „Und die wenigen B-Zellen, die wir fanden, zeigten eine ganze Palette an Anomalitäten wie reduzierte Diversität, abnormale Verteilung und häufig auftretender Zelltod nach Stimulierung des B-Zell-Rezeptors.“
„Unsere Arbeit erweitert das Spektrum der Merkmale einer WDR1-Defizienz: Es umfasst sowohl Auswirkungen auf das angeborene als auch auf das erworbene Immunsystem und illustriert dabei die enge Verknüpfung zwischen dem Immunsystem und unkontrollierten Entzündungen, die letztlich zur Erkrankung führen“, fasst Kaan Boztug, Direktor des LBI-RUD und Co-Letztautor der Studie, zusammen. „Die Ergebnisse erlauben uns neue Einblicke in die Dynamik des Aktin-Zytoskeletts und seine Schlüsselrolle für die normale Entwicklung und Funktion von Immunzellen. Damit ist diese Studie ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Forschung an seltenen Erkrankungen – nicht nur für die wenigen Betroffenen, sondern für ein Grundlegendes Verständnis der menschlichen Biologie. Darüber hinaus ist die Aufklärung solch filigrane Mechanismen auf molekularer Ebene ein wichtiger Schritt für die Entwicklung einer modernen Präzisionsmedizin.
Die Studie “Mutations affecting the actin regulator WD repeat–containing protein 1 lead to aberrant lymphoid immunity” erschscheint in der Zeitschrift Journal of Allergy and Clinical Immunology wurde vorab online am 8. Mai 2018 publiziert . DOI: 10.1016/j.jaci.2018.04.023
Autoren: Laurène Pfajfer*, Nina K. Mair*, Raúl Jiménez-Heredia, Ferah Genel, Nesrin Gulez, Ömür Ardeniz, Birgit Hoeger, Sevgi Köstel Bal, MD, Christoph Madritsch, Artem Kalinichenko, Rico Chandra Ardy, Bengü Gerçeker, Javier Rey-Barroso, Hanna Ijspeert, Stuart G. Tangye, Ingrid Simonitsch-Klupp, Johannes B. Huppa, Mirjam van der Burg, Loïc Dupré* und Kaan Boztug*.
Förderung: Diese Studie wurde vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF, dem FWF der Wissenschaftsfonds, Frankreichs Agence Nationale de la Recherche, einem ZonMW-Vidi-Grant und von Grants der National Health and Medical Research Council of Australia gefördert.