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Forschungsprojekt: Betroffene leiten mit Erfolg Aphasie-Selbsthilfegruppen
Menschen mit einer neurologischen Sprachstörung (Aphasie) erfahren eine signifikante Verbesserung ihrer Lebensqualität, wenn sie in einer Selbsthilfegruppe mitwirken, die von Betroffenen selbst geleitet wird. Das ist das zentrale Ergebnis des Forschungsprojekts „Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie zur Steigerung der Lebensqualität und Kompetenz“ (shalk). Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 500.000 Euro geförderte Projekt wurde gemeinsam von der Hochschule Fresenius in Idstein und der Katholischen Hochschule Mainz in Kooperation mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg durchgeführt.
Im Rahmen eines Symposiums in Idstein präsentierten Wissenschaftlerinnen jetzt erste Ergebnisse.
Insgesamt 126 Betroffene nahmen an dem auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt teil. Sie verteilten sich auf bundesweit neun verschiedene Selbsthilfegruppen. Die Leiter der Gruppen wurden in intensiven Schulungen auf ihre Aufgabe vorbereitet. Jeweils nach einem halben Jahr maßen die Wissenschaftlerinnen anhand des Aachener Lebensqualitätsinventars (ALQI) die Entwicklung hinsichtlich objektiver Beschwerden und subjektiver Belastungen. „Die Beschwerden der Personen mit Aphasie reduzierten sich im Verlauf des ersten Jahres der Studie, in dem eine intensive, aber schrittweise abnehmende Begleitung stattfand, erheblich. Das betrifft gleichermaßen den kognitiven, psycho-sozialen und sprachlichen Bereich“, erläutert Prof. Dr. Norina Lauer, Mitinitiatorin des Forschungsprojekts. „Kaum Veränderungen waren bei den physischen Beschwerden festzustellen, das haben wir aber auch nicht erwartet.“ Noch deutlicher waren die positiven Veränderungen bei den Probanden, was die subjektiven Belastungen angeht, also in dem Bereich, in dem es vor allem um Empfindungen und die persönliche Einstellung zu den objektiven Beschwerden geht. „Wir stellen eine signifikante Steigerung der Lebensqualität fest“, so Lauer.
Ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes von shalk ist neben der Leitung der Selbsthilfegruppe durch Betroffene deren bewusste Trennung von den Angehörigen. Die Vorgehensweise stieß anfangs auf Skepsis. Schon nach kurzer Zeit wich diese aber bei den meisten Teilnehmern großer Akzeptanz. „Druck und Scheu nehmen ab, der Mut, sich aktiv in die Selbsthilfegruppe einzubringen, steigt. Das führt zu einem Gefühl, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, ohne fremde Hilfe etwas erreichen zu können“, sagt Lauer. Und Reinhard Denk, selbst nach einem Schlaganfall betroffen, bestätigt das: „Über die Teilnahme am shalk-Projekt weiß ich, dass ich mich um viele Dinge selbst kümmern und ausprobieren kann. Es ist außerdem wichtig, etwas im Team zu machen und sich gegenseitig zu helfen.“
Verändert hat sich in wenigen Monaten auch das Moderationsverhalten der Gruppenleiter. Videoanalysen zeigen, dass sie zu Beginn die Gespräche noch stark koordinieren und die anderen Betroffenen zum Mitmachen auffordern mussten. Mit der Zeit etablierte sich eine erfreuliche Gesprächskultur mit gut gelingendem Sprecherwechsel. Die Rolle der Leiter ist nun weniger steuernd. Das hängt auch mit den Inhalten zusammen: diese sind bei shalk im Gegensatz zu anderen Konzepten auf die Biographiearbeit ausgerichtet. „Die Betroffenen sprechen über ihr eigenes Leben, ihre Erfahrungen vor und nach dem Ereignis, das die Aphasie ausgelöst hat; darüber, wie es vorher war, Freunde zu finden und wie es heute ist“, berichtet Prof. Dr. Sabine Corsten, auf Seiten der Katholischen Hochschule Mainz verantwortlich für das Projekt. „Die enge Verbindung mit dem eigenen Schicksal und der Dialog mit gleichsam Betroffenen führt zu einem regen Austausch untereinander.“ Das Konzept zur Schulung und das zur Biographiearbeit entwickelte Material sollen nun standardisiert werden und flächendeckend Eingang in die Aphasie-Selbsthilfe finden.